Berlin. . Joachim Gauck wird am Sonntag zum Bundespräsidenten gewählt. Danach entscheidet sich, wie der ehemalige Bürgerrechtler in die Politik eingreifen wird. Die SPD spekuliert darauf, dass er Kanzlerin Angela Merkel (CDU) häufig zum Duell herausfordern wird.

Auf der Ehrentribüne: der Clan. Zig Gäste mit dem Namen Gauck listet das Protokoll auf. Joachim Gaucks Frau fehlt, seine Lebensgefährtin nicht. Im Kreis der Familie wird er die Bundesversammlung im Reichstag verfolgen. Erst zur Verkündung des Ergebnisses wird der Kandidat im Plenarsaal Platz nehmen.

Anders als 2010, als er Christian Wulff unterlag, wird kein zweiter oder dritter Wahlgang nötig sein. Die große Mehrheit der 1240 Wahlfrauen- und männer legte sich auf den 72 Jahre alten evangelischen Theologen fest. Kein Duell.

Duell mit Merkel

Doch, beharrt Franz Müntefering. „Das mit dem Duell stimmt, da ist was dran.“ Der SPD-Politiker hat allerdings nicht Beate Klarsfeld von den Linken oder NPD-Kandidat Olaf Rose im Auge, sondern vielmehr Angela Merkel.

Gauck war der Vorschlag von SPD und Grünen, weil er großes Ansehen genießt, weil sie sich bei ihm in der Pflicht sahen – und weil man die Kanzlerin ärgern konnte. Sie wollte Gauck nicht. „Wenn sie etwas ausschließt“, frohlockte SPD-Chef Sigmar Gabriel, „wird’s interessant.“

Intern, gegenüber der FDP, wandte Merkel ein, Gauck sei thematisch zu schmalspurig. Gegenüber der SPD klagte sie, er sei ihr nicht zuzumuten. 2010 hatte sie ihn abgelehnt. Nun sollte es nicht so aussehen, als gäbe sie einen Fehler zu. Sie war aber für einen gemeinsamen Bewerber, ihretwegen sogar einen mit SPD-Parteibuch (Henning Voscherau) – nur nicht für Gauck.

Erst als die FDP sich auf Gaucks Seite schlug, gab Merkel klein bei. Längst beteuern Kanzlerin und Union, man werde ihn auch aus Überzeugung wählen. Das stimmt sogar, es ist ein offenes Geheimnis, dass Merkel ihn persönlich schätzt. Das klingt wie ein Widerspruch. Wer ihn auflösen will, kommt zurück auf Münteferings „Duell“. Gauck deckt Merkels Schwächen auf: Er ist ein Mann des Wortes, sie eine Frau der Tat. Er stellt Gefühle zur Schau, sie Fakten. Er neigt zu Pathos, sie bleibt nüchtern. Er hat die großen Linien im Auge, sie das nächste praktische Problem. Er liebt die Inszenierung, gern die eigene. Sie sei „anti-pompös“, so ihr Biograf Gerd Langguth.

Bruchlandung möglich?

Ist Gauck erst mal im Amt, so Münteferings Kalkül, ziehe er seine eigene Bahn. Im direkten Vergleich mit Gauck würde den Bürgern bald klar werden, was Merkel fehlt: Emotionen, Orientierung, Werte.

Müntefering hält sie für eine „Technikerin der Macht“. Er liebt den Vergleich mit einem Piloten. Mit Merkel am Steuer würde ein Flugzeug heil landen, nur wüsste man nicht – wo. Bei Gauck sei es andersherum. Das Ziel ist klar. Und eine Bruchlandung möglich?

Wie viel Widerspruch erträgt ein Seiteneinsteiger? Jeder Auftritt wird beäugt, jedes Wort politisch abgeklopft. Wie viel Spontaneität darf sich der Präsident leisten? Freiheit ist sein Thema, Freiheit vom Protokoll ist damit nicht gemeint. Gauck muss sich mit der Regierung abstimmen; schon weil Außenpolitik einen Großteil seiner Aufgaben ausmacht. Auf die Lotsen kommt es an, die Themen und Timing abstimmen. Drei oder vier Leute sind es, allen voran David Gill, der das Präsidialamt leiten soll. Auch er, Sohn eines Bischofs, kommt aus der evangelischen Kirche. Der Jurist ist Gauck seit den Wendetagen verbunden. Zum engeren Zirkel gehören Johannes Sturm, von dessen Diskretion und Organisationstalent sie in der SPD-Spitze schwärmen, und Andreas Schulze, der 2010 die Grünen erst auf Gauck gebracht haben soll.

Sonntag, 12 Uhr, schlägt Gaucks Stunde. Zwei Stunden später dürfte die Zeremonie mit dem Abspielen des Deutschlandlieds enden. Am Freitag kommt Gauck erneut ins hohe Haus, zur Vereidigung. Möglich, dass dann Wulff auf der Ehrentribüne sitzt. Danach ist Gauck in Schloss Bellevue angekommen. Bei den Grünen sagte er kürzlich: „Ich bin bereit zu lernen.“ Ein Anfang.

Frauen auf verlorenem Posten

Isabel Peron, Vigdis Finnbogaditir, auch Corazon Aquino: Island, Argentinien oder die Philippinen haben weibliche Präsidenten gehabt. Deutschland? Fehlanzeige. Die Deutschen haben Frauen immer nur in aussichtslose Rennen um das Amt des Bundespräsidenten geschickt. Am Ende siegten dann Männer.

Schon sieben Mal waren sie nur Zählkandidatinnen. Morgen wird es mit Beate Klarsfeld wohl der achte Fall werden. Dabei hatte schon die erste Politikerin, die sich der Bundesversammlung zur Wahl stellte, null Chance. Annemarie Renger (SPD) trat 1979 gegen eine absolute Mehrheit der Union an, die dann Karl Carstens wählte.

Ob Renger oder die Schriftstellerin Luise Rinser 1984, ob Dagmar Schipanski (CDU), die 1999 gegen Johannes Rau den Kürzeren zog, die Linke Luc Jochimsen 2010 oder Uta Ranke-Heinemann. Jede trat vergeblich an. Jede konnte hinterher aber die eigene Geschichte zur aussichtslosen Kandidatur erzählen. Gesine Schwan versuchte es, 2004 und 2009, sogar zwei Mal.

Das dramatischste Finale erlebte Hildegard Hamm-Brücher. Sie wurde von der FDP 1994 aufgestellt, weil der zunächst nominierte Unions-Kandidat Steffen Heitmann Umstrittenes zu den Themen Nation, Nazis und Frauen geäußert hatte.

Hamm-Brücher dabei

Am Pfingstmontag stand deshalb die Koalition Helmut Kohls kurz vor dem Aus. Erst der dritte Wahlgang brachte einen Ausweg: Die FDP zog Hamm-Brücher zurück. Roman Herzog wurde Präsident.

Die Verlierer in diesem Präsidenten-Rennen sind – auch – Unbekannte gewesen. Wer kennt noch Hans Hirzel von den rechten „Reps“, der nicht Mal ein Prozent der Stimmen bekam? Andere blieben Politiker von Rang: Kurt Schumacher, Gegenkandidat des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss, und Carlo Schmid, der Heinrich Lübke unterlag. Johannes Rau und Richard von Weizsäcker kamen dann in einem zweiten Anlauf ins höchste Staatsamt.

Und Hamm-Brücher? Die Ex-Kandidatin kehrt am Sonntag in die Bundesversammlung zurück. Diesmal als von den Grünen aufgestellte Wahlfrau. Die 90-jährige strahlt: „Ich freue mich so.“