Berlin. Am Sonntag wird der ehemalige Bürgerrechtler zum Bundespräsidenten gewählt - in der Talkrunde von Anne Will wurde nochmals hinterfragt, ob er das Amt ausfüllen kann. Die Antwort fiel deutlich aus - Kritik kam von absehbarer Seite: von den Linken und ehemaligen Stasi-Widersachern

Die Koffer wird Joachim Gauck wohl längst gepackt haben. Sein Einzug ins Schloss Bellevue gilt als sicher, seine Wahl zum Bundespräsidenten am Sonntag scheint reine Formsache. Doch ist der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und Ex-Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde überhaupt der Richtige für das höchste Amt im Staat? Diese Frage stellte ARD-Talkerin Anne Will ihren Gästen am späten Mittwochabend.

Die meisten beantworteten sie mit einem klaren „Ja“. „Ich halte ihn für fähig“, sagte der CDU-Politiker und Theologe Heinz Eggert. Vor allem bei den Themen Demokratie, Freiheit und Verantwortung könne Gauck aufgrund seiner Vergangenheit und seines Wirkens punkten. „Ich denke er ist der Richtige“, meinte auch Politikberaterin Gertrud Höhler, die schon Helmut Kohl zur Seite stand. „Es gibt noch viele unerledigte Konflikte, die in den nächsten fünf Jahren ausgetragen werden können“, spielte sie auf Gaucks Rolle als Aufklärer des DDR-Regimes an.

Die Linke sieht in Gauck einen Spalter

Genau darin sieht Luc Jochimsen, kulturpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, das größte Problem: „Das Land ist nach wie vor gespalten. Ich wünsche mir eine Person, die keine Konflikte auslösen wird, einen Versöhner, aber das ist Gauck nie gewesen.“ 2010 trat Jochimsen für ihre Partei noch gegen Gauck an und sorgte mit der Aussage für Aufsehen, die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen. Zudem nannte Jochimsen die gemeinsame Kandidatenkür von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen, von der die Linke ausgeschlossen wurde, einen höchst undemokratischen Prozess. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe das Amt dadurch „unendlich beschädigt.“ „Gott sei Dank hat Gauck Konflikte ausgelöst“, hielt Journalist Michael Jürgs dagegen und forderte: „Gebt ihm eine Chance.“ Ohnehin könne es nur besser werden, konnte sich Jürgs einen Seitenhieb auf Amtsvorgänger Christian Wulff, der sich selbst demontiert habe, nicht verkneifen.

In die überschaubare Riege der Kritiker reihte sich noch Peter-Michael Diestel ein, Rechtsanwalt und letzter Innenminister der DDR. Er hält Gauck für „vollständig ungeeignet“, weil er Bürgerrechte nur für sich und seine Familie erstritten habe, spaltend wirke und von den Menschen in Ostdeutschland abgelehnt wurde. Doch schnell wurde klar, woher die Abneigung gegen Gauck stammt: Der hatte Diestel verklagt, weil dieser behauptet hatte, Gauck sei ein Begünstigter der Stasi gewesen. Letztlich legte man den Streit 2001 mit einem Vergleich bei. Diestel betonte zwar mehrfach, er wolle die alte Geschichte ruhen lassen und über den Prozess nicht sprechen. Doch man merkte ihm förmlich an, dass er nur darauf wartete, den Fall im Fernsehen ausbreiten zu dürfen. Diesen Gefallen tat ihm Anne Will jedoch nicht.

Bürgerrechtler oder nicht?

Stattdessen diskutierte die Runde lieber über das Prädikat Bürgerrechtler, dass Gauck anhaftet. Wie mutig, kühn und radikal trat der Bundespräsident in spe zu DDR-Zeiten tatsächlich auf? Als Beispiel wurde ein Interview mit dem Bürgerrechtler Heiko Lietz gezeigt. Darin bemängelt er, Gauck sei damals nicht präsent gewesen. Gauck selbst relativierte per Einspielfilm schließlich: Er habe sich eher als „oppositioneller Geistlicher“ gesehen, sagte er da. Gauck: „In diesem Sinne war ich kein Bürgerrechtler.“

So blieb Gauck-Kritikerin Luc Jochimsen nur, sich an dessen Freiheitsbegriff abzuarbeiten. Der sei kalt und es fehle ihm an Gerechtigkeit. „Er muss sich auf die Seite der Schwachen stellen“, forderte sie. „Er hat ein uneingeschränktes Herz für die Schwachen“, widersprach Hanns-Jürgen Wunderlich, der gleich zu Beginn der Sendung als enger Freund Gaucks vorgestellt wurde.

Gauck sei ehrlich und verlässlich, habe eine klare Überzeugung und stehe zu dem, was er wolle, sagte Wunderlich. Zudem sei er einfühlsam und habe „ein tiefes Verständnis für Leute, die ihm begegnen“. Gauck könne zwar stur sein, sei mittlerweile aber souveräner geworden und habe „das Größere im Blick“. Gauck und Wunderlich waren in der ehemaligen DDR Pastoren, obwohl sie eigentlich Journalist (Gauck) werden oder zur See fahren (Wunderlich) wollten. Im Schutz der Kirche setzten sie sich schließlich für ihre Überzeugungen und Bürgerrechte ein.

Klarsfeld - Ohrfeige im Auftrag der Stasi?

Blieb die Frage, wie es denn um die Gegenkandidatin der Linken, Beate Klarsfeld, bestellt sei. Jochimsen lobte sie als „Individuum, das sich gegen alle Macht eingesetzt hat und den Mut hatte, gegen die versiffte Bundesrepublik anzugehen.“ Gemeint ist die Ohrfeige, die Klarsfeld 1968 dem damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger wegen seiner Nazi-Vergangenheit gab. Wie jetzt bekannt wurde, soll sie jedoch im Auftrag der SED gehandelt und 2000 Westmark für ihre Aktion erhalten haben. Auch die Aussagen der Deutsch-Französin, sie unterstütze den konservativen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy sorgten im Lager der Linken nicht gerade für Begeisterung. So kam Michael Jürgs zu dem Schluss: „Sie hat nicht das Format eines Bundespräsidenten.“ Ob Gauck es hat, könne man in fünf Jahren beurteilen, meinte Hanns-Jürgen Wunderlich.