Essen. . Seit Christian Wulffs Rücktritt geht es in der Debatte um den Affären-Präsidenten erst richtig rund. Nie zuvor ist ein Politiker so ins Zentrum öffentlicher Abstrafung geraten. Wulff ist offenbar zur Projektionsfläche geworden für den ­geballten Unmut vieler Menschen über „die da oben“. Ein Kommentar.

Wer gedacht hatte, mit dem Rücktritt Christian Wulffs sei die Debatte über den Affären-Präsidenten beendet, lag völlig daneben. Seit seinem Abgang geht es erst richtig los: Ehrensold, Büro, Dienstwagen, sogar der Zapfenstreich – alles wird infrage gestellt. Spott und Häme ergießen sich ­kübelweise über Wulff. Nie zuvor geriet ein Politiker dermaßen ins Zentrum öffent­licher Abstrafung. Was geschieht da gerade?

Der Privatkredit, die Umsonst-Urlaube, das sture Klammern an seine Privilegien; Christian Wulff ist – bei aller, auch in der Schärfe gerechtfertigten Kritik – durch seine ausgeprägte Abstauber-Mentalität offenbar zur Projektionsfläche geworden für den ­geballten Unmut vieler Menschen über „die da oben“ insgesamt. Da hatte sich bei den Menschen viel Wut aufgestaut.

Neidfaktor reicht nicht als Begründung für die Wucht der Abstrafung Wulffs

Wut auf Unternehmens-Manager, die für Kurzzeit-Jobs fette Abfindungen einstreichen oder satte Boni dafür kassieren, dass sie im Konzern Stellen streichen; über Abgeord­nete, die sich selbst großzügig die Diäten ­erhöhen, aber Sozialleistungen kürzen; über Minister, die nach wenigen Jahren im Amt eine höhere Pension kassieren als ein ­Normalverdiener nach einem langen Arbeitsleben. Auch sie sind gemeint, wenn nun auf Wulff eingedroschen wird.

Der Neidfaktor mag dabei eine Rolle ­spielen. Aber das reicht nicht als Begründung für Ausmaß und Wucht der Abstrafung Wulffs. In Zeiten von Hartz und Aufstocker-Jobs, in denen zudem immer mehr Leute in Leiharbeit oder befristeten Stellen arbeiten, sind die Menschen immer weniger gewillt, als ungerecht empfundene Zustände hin­zunehmen. Die Kluft zwischen denen, die vom Wirtschaftsboom profitieren und jenen, die auf der anderen Seite keine reelle ­Chance sehen, am Aufschwung teilzuhaben, wächst. Das alles fokussiert sich nun auf Christian Wulff.

Der Fall Wulff hat eine längst fällige Debatte über Vorzugsbehandlung ausgelöst

Zumindest eine positive Seite ist dem Fall Wulff abzugewinnen. Er hat eine längst fällige Debatte über fragwürdige Vorzugsbehandlungen einzelner Gruppen ausgelöst. Dazu gehören nicht nur Manager-Abfindungen und Politiker-Diäten, sondern auch Rabatte und Sonderpreise etwa für Beamte oder Journalisten. Ein bisschen Wulff steckt in jedem.

Fazit: Ein Großteil der Wulff-Kritik zielt auf als ungerecht empfundene Zustände in Politik und Wirtschaft insgesamt. Die ­soziale Kluft wird größer. Vorzugsbehandlungen müssen auf den Prüfstand