Rostow. . Wenn es einen interessanten Kandidaten gibt bei dieser Präsidentschaftswahl in Russland, dann ist das Michail Prochorow. Wer ist der Milliardär, der gegen Putin antritt? Mann der Opposition oder Mann des Kremls?
Die Vorhänge über der Bühne sind in patriotischen Farben ausgeleuchtet: Weiß, das sich langsam rosa färbt und in Himmelblau übergeht, das Prisma der Nationalflagge. Auf der Bühne steht etwas breitbeinig der Kandidat und sieht 15 Jahre jünger aus, als er ist. Hinter ihm sitzen drei Reihen noch jüngerer Menschen, darunter viele hübsche Mädchen. Der Kulturpalast der Rosselmasch-Fabrik in Rostow am Don ist heute sehr fotogen.
Aber einer der blonden Engel auf der Bühne stellt dem Kandidaten gleich eine gemeine Frage: „Wieso wollen Sie die Vereinigung mit Europa? Was haben Sie gegen eine Union mit den früheren Sowjetrepubliken, die sind uns doch viel näher?“
Angeblich ein Mann von Putins Gnaden
Michail Prochorow, 47, unabhängiger Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen am 4. März, kommt diese Frage nur recht: „Die Integration mit den Exrepubliken bringt uns nichts. Die haben die gleichen Probleme wie wir. Aber wem verkaufen wir unser Öl, unser Gas? Europa.“ Prochorow verkündet, er wolle Russland nach Europa zurückführen. Das Publikum klatscht.
Dieser Wahlkampf ist sonderbar. Das staatliche Meinungsforschungsinstitut WZIOM verspricht Premierminister Putin einen souveränen 58,6-Prozent-Sieg. Aber seit Monaten gehen in Moskau Zehntausende aus Protest gegen Putin auf die Straße. Die Presse verspottet die übrigen vier Kandidaten, darunter Prochorow, als Putins „Spoiler“-Kandidaten. Viele Experten glauben, der Wirtschaftsoligarch, laut Forbes mit 18 Milliarden Dollar der drittreichste Russe, habe Putins persönlichen Segen, die Stimmen der liberalen Protestwähler einzusammeln.
Prochorows Ziel ist die Stichwahl
Prochorow sammelt Stimmen: Laut WZIOM wuchs seine Wählerschaft von 2,8 Prozent Anfang Januar auf inzwischen 8,7 Prozent. Prochorow selbst versichert den Rostowern, er habe schon über 10 Prozent der Wähler hinter sich, bis zum Wahltag würden es 20 Prozent sein, genug, um Putin in einen zweiten Wahlgang zu zwingen.
Der Kulturpalast ist brechend voll, 1000 Sitzplätze, auch auf den Gängen dazwischen drängen sich Studenten, Unternehmer, Rentner, sogar Beamte. Prochorow verspricht ihnen keineswegs Milch und Honig. Eine Lehramtsstudentin beklagt sich über ihr künftiges Gehalt: „Wissen Sie nicht, dass wir bei unseren jetzigen Klassengrößen schon 100.000 überflüssige Lehrer haben?“, fragt Prochorow zurück. Das Publikum staunt. Prochorow schimpft auf das gesamte Bildungssystem, auf zu viele, zu schlechte Hochschulen, auf viel zu viele Akademiker und viel zu wenig Facharbeiter. Aber dann verkündet er plötzlich eine einfache Lösung: „Ich werde die Wehrpflicht abschaffen. Damit keiner mehr studiert, bloß um sich vor der Armee zu retten.“ Brausender Applaus. Die Leute hier scheinen lange auf einen wie Prochorow gewartet zu haben.
Seine Kritik richtet sich nicht direkt gegen Putin
Prochorow hütet sich, Putin persönlich anzugreifen. Der habe als Präsident fünf, sechs Jahre gute Arbeit geleistet. Aber die Lage habe sich geändert. Prochorow redet von mittlerweile zwei Millionen obdachlosen Kindern. Davon, dass die Zahl der Beamten von 1 Million auf 1,9 Millionen gestiegen sei. Und dass der Staatsdienst die gewinnträchtigste Branche im Land ist. Prochorow mag seine Kandidatur mit dem Kreml abgesprochen haben. Aber er benimmt sich nicht wie dessen Handpuppe. Indirekt kritisiert er Putin so heftig wie die Wortführer der Straßenopposition.