Berlin. Das Verteidigungsministerium wehrt sich gegen Vorwürfe der Nato. Es sei noch nicht klar, ob Bundeswehr-Oberst Klein mit der Anforderung eines Luftangriffs in Afghanistan seine Kompetenzen überschritten hat. Dennoch wird Klein noch in diesem Monat abgezogen.
Die Nato hat noch kein klares Bild von den Verantwortlichkeiten für das Bombardement zweier entwendeter Tanklaster, bei der vergangene Woche in Nord-Afghanistan Dutzende Menschen getötet wurden. „Es ist klar, dass einige Fehler gemacht worden sind“, heißt es in Natokreisen. Ob ein klares Versagen des Bundeswehr-Obersten Georg Klein vorliege, stehe aber noch nicht fest. Klein, Befehlshaber in der Region Kundus, hatte den Bomber-Einsatz angefordert.
In mehreren Medien war von einem „Zwischenbericht“ der Nato die Rede gewesen, wonach Klein dabei die Lage falsch eingeschätzt und seine Befugnisse überschritten habe. Tatsächlich gibt es nach Informationen aus dem Bündnis derzeit nur eine Zusammenstellung von Befunden, Eindrücken und offen Fragen Erkenntnissen, die ein Team des Isaf-Kommandeurs General Stanley McChrystal bei einer ersten Erkundung am Ort des Geschehens und in Gesprächen mit Verletzten und lokalen Amtsinhabern zu Papier gebracht habe.
„Das ist eher ein Reisebericht als ein Zwischenbericht“, hieß es. Die genaue Analyse des Hergangs und der Verantwortlichkeit werde erst das Ergebnis der jetzt eingeleiteten offiziellen Untersuchung sein. Das werde „nicht vor dem 27. September“ vorliegen – Termin der Bundestagswahl.
Ermittlungen seien bisher vorläufig
Das Verteidigungsministerium in Berlin nahm unterdessen den Bundeswehr-Oberst Georg Klein gegen den Vorwurf in Schutz, mit der Anforderung eines Luftangriffs in Afghanistan seine Kompetenzen überschritten habe. Sprecher Thomas Raabe sagte am Donnerstag, erste Ermittlungen eines Isaf-Teams seien «vorläufig und nicht konsolidiert». Für die Beurteilung des Bombardements von Tanklastzügen, bei dem Dutzende Menschen getötet wurden, müsse der Abschlussbericht abgewartet werden.
Raabe sprach von einer «Art Reisebericht», der angefertigt worden sei, nachdem eine Nato-Delegation vor Ort den Vorfall untersucht habe. Nach dem von Klein am vergangenen Freitag angeordneten Bombenabwurf hatte Isaf-Kommandeur Stanley McChrystal ein Ermittlungsteam nach Kundus geschickt.
Oberst Klein kehrt nach Deutschland zurück
McChrystals Bericht kommt laut «Süddeutscher Zeitung» zu dem Schluss, dass der Kommandeur des Wiederaufbauteams (PRT) Kundus, Klein, seine Kompetenz überschritten und die Lage falsch eingeschätzt habe, als er die Bombardierung zweier von Taliban gekaperter Tanklastzüge anforderte. Die «Süddeutsche Zeitung» zitierte einen Nato-Offizier mit den Worten, es sei «sonnenklar», dass Klein den vorgeschriebenen Befehlsweg nicht eingehalten habe. Zu einer Entscheidung von solcher Tragweite sei er ohne Rücksprache mit dem Isaf-Hauptquartier nicht befugt gewesen, schrieb das Blatt. Es habe keine unmittelbare Bedrohung für Isaf-Truppen gegeben.
Klein soll noch im September nach Deutschland zurückkehren. Das sagte der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, Thomas Raabe, der «Mitteldeutschen Zeitung» in Halle. Die Rückkehr Kleins stehe jedoch nicht im Zusammenhang mit dem von Klein angeforderten Nato-Luftangriff auf zwei Tanklaster, bei dem in der vergangenen Woche mehr als 50 Menschen ums Leben kamen. Kleins Dienstzeit ende dann «regulär», sagte Raabe der Zeitung.
Afghanische Journalisten rügen Nato
Die kühne Befreiung eines «New York Times»-Reporters durch britische Kommandoeinheiten am Mittwoch in Afghanistan hat für Wut bei einheimischen Journalisten gesorgt. Denn während Stephen Farrell unversehrt aus der Gewalt der Taliban gerettet wurde, kam der afghanische Journalist und Übersetzer Sultan Munadi im Kugelhagel ums Leben.
Der afghanische Journalistenverband warf den NATO-Soldaten vor, die gewaltsame Befreiungsaktion gestartet zu haben, ohne andere Kanäle ausgeschöpft zu haben.
Erste Wahlergebnisse für ungültig erklärt
Gut drei Wochen nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan erklärte unterdessen die von den UN unterstützte Beschwerdekommission die ersten Resultate für ungültig. Betroffen sind fünf Wahllokale in der Provinz Paktika, wie das Gremium am Donnerstag mitteilte. Die Entscheidung stellt eine schärfere Maßnahme dar als die bloße Anordnung einer Nachzählung und ist endgültig. Weitere derartige Schritte könnten folgen.
Insgesamt gingen bei der Kommission, der drei von den UN ernannte internationale Mitglieder und zwei Afghanen angehören, 720 größere Beschwerden ein. Nach den bisher vorliegenden Ergebnissen liegt Amtsinhaber Hamid Karsai klar vorn. Sein schärfster Rivale Abdullah Abdullah sprach von «staatlich inszeniertem» Wahlbetrug.
Deutsche Soldaten in Gefecht verwickelt
Deutsche ISAF-Soldaten sind im Norden Afghanistans in Gefechte mit gegnerischen Kräften verwickelt worden. Wie die Bundeswehr mitteilte, wurden die Truppen am Mittwochabend und Donnerstag im Raum Kundus und Talokan mit Handfeuerwaffen und Panzerabwehrwaffen angegriffen. Die Bundeswehrsoldaten hätten das Feuer erwidert. Sie seien dabei nicht verletzt worden, ein Transportpanzer Fuchs sei aber leicht beschädigt worden. Die deutschen Soldaten unterstützen laut Bundeswehr afghanische Sicherheitskräfte, die im Rahmen der Operation «Aragon» im Osten der Provinz Kundus im Einsatz sind.
Die Grünen fordern eine unabhängige Kommission zur Untersuchung des deutschen Engagements in Afghanistan. Es gebe bislang keine Bestandsaufnahme des Einsatzes, sagte der Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei am Donnerstag in Berlin. Nötig sei ein «ehrlicher Umgang» mit der Verschlechterung der Sicherheitslage in der Provinz Kundus. Dort gebe es «gigantische Probleme». Die Bundesregierung sei mit der Bewertung der Situation jedoch überfordert. Deshalb müssten überparteiliche Experten das Engagement überprüfen.
Grüne wollen Entsendung von Beratern
Nachtwei plädierte außerdem für die Gründung einer Afghanistan-Task-Force der Bundesregierung. Bei der Ressortabstimmung gebe es bislang Probleme. Der Grünen-Politiker verlangte zusätzlich die Entsendung von 500 deutschen Beratern und Ausbildern für die Polizeiausbildung in Afghanistan. Dies sei ein «zentraler Faktor» beim Aufbau des Landes. Das Geld für den zivilen Aufbau müsse deutlich aufgestockt werden. Bislang liege das Budget für den militärischen Einsatz dreimal höher als das Geld für ziviles Engagement. Dieses Missverhältnis müsse korrigiert werden.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hält eine Verringerung der Bundeswehrtruppen in Afghanistan in wenigen Jahren für möglich. Er erwarte, dass sich die Verhältnisse bis zum Jahr 2015 deutlich besserten, sagte der SPD-Kanzlerkandidat der «Augsburger Allgemeinen» vom Donnerstag. Ebenso wie sein Parteigenosse und frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder glaube auch er, «dass wir in den nächsten fünf, sechs Jahren entscheidende Fortschritte erzielen werden, um an eine Reduzierung unseres Engagements denken zu können». Schröder hatte kürzlich einen Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan bis 2015 gefordert.
Kopfloser Abzug sei falsche Antwort
Ein kopfloser Abzug der Bundeswehr sei jedoch die «ganz falsche Antwort», sagte Steinmeier. Afghanistan dürfe nicht wieder zum Ausbildungslager für Terroristen werden: «Nach 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg wollen wir gemeinsam mit anderen Staaten diesem geschundenen Land wieder auf die Beine helfen.» Um «uns selbst überflüssig zu machen», müssten die afghanische Polizei und die afghanische Armee in die Lage versetzt werden, selbst für Sicherheit in ihrem Land zu sorgen, sagte der Außenminister. (krp/ap/afp/ddp)