Die Parteien wollten den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr unbedingt aus dem Wahlkampf heraushalten. Nun ist der Krieg am Hindukusch Thema Nummer eins. Das kann eine Chance sein – wenn die Diskussion ehrlich geführt würde. Leider sieht es nicht danach aus.
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Wegducken, lavieren, Zeit gewinnen – so könnte das Motto der Parteien lauten. Und so war offenbar auch die Devise, als es jetzt im Bundestag zur Aussprache über den Angriff westlicher Bomber auf zwei Tanklaster bei Kundus kam; ein Luftschlag, der Dutzende Tote forderte, darunter womöglich nicht nur Taliban-Kämpfer, sondern auch Zivilisten – und der von der Bundeswehr angeordnet wurde. Die Truppe wird immer tiefer verstrickt in die kriegerischen Auseinandersetzungen – und die Politik reagiert immer ratloser.
Etwa die SPD. Nur zu gern möchten nicht wenige Genossen, denen der Einsatz in Afghanistan schon immer nicht so recht behagte, die Bundeswehr schnellst möglich heimholen. An der sozialdemokratischen Basis, wo viele SPD-Mitglieder pazifistischen Träumen nachhängen, war der Waffengang ohnehin nie sonderlich geliebt. Dumm nur: Die SPD hat den Beschluss für den deutschen Afghanistan-Einsatz nicht nur zugestimmt, sondern auch unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder 2001 maßgeblich auf den Weg gebracht. Eine Revidierung des eigenen Beschlusses käme politischem Selbstmord gleich.
Auch die Union bringt keine Begeisterung mehr auf
Ähnlich sieht es bei den Grünen aus. Sie waren 2001 Regierungspartner der Sozialdemokraten, als der Afghanistan-Einsatz im Bundestag abgesegnet wurde. Auch sie stimmten zu. Allerdings: Anders als die SPD sitzen die Grünen heute nicht mehr auf der Regierungsbank; entsprechend sind deutliche Absetzbewegungen Richtung schnellem Abzug der Truppen erkennbar.
CDU und CSU stehen zwar hinter dem militärischen Engagement – doch Begeisterung ist auch auf Seiten der Union nicht zu spüren. Die Christdemokraten fürchten offenbar, der auch in weiten Teilen der Bevölkerung unpopuläre Afghanistan-Einsatz könnte in der heißen Phase des Wahlkampfs vor dem 27. September zum Wahlkampf-Schlager der Gegner werden. Zwar droht der Union – siehe oben – keine Kampagne von Seiten der SPD wie 2002, als Gerhard Schröder mit seinem entschiedenen Nein zu einer deutschen Beteiligung am Irak-Krieg der Amerikaner eine schon verloren geglaubte Wahl noch zu einem gefühlten Sieg für seine Partei umbog; aber auch Wahlabstinenz mancher Anhänger könnte für die Union am Wahltag böse Folgen haben. Die Mehrheit für Schwarz-Gelb steht derzeit in den Umfragen nur hauchdünn.
Die Stunde der Linkspartei
Ihre große Stunde gekommen sehen dagegen die Strategen von der Linkspartei. Oskar Lafontaine und Gregor Gysi scheinen nur darauf gewartet zu haben, dass die Lage am Hindukusch eskaliert. Lafontaine war der erste, der nach dem Luftschlag von Kundus vor die Presse trat und in routinierter Empörung den Abzug der deutschen Soldaten forderte. Was danach geschieht? Darauf haben auch die Linken keine Antwort.
So unterschiedlich die Ansätze und Ausgangspositionen der verschiedenen Parteien auch sind – eines haben sie gemeinsam: das Fehlen einer durchdachten und soliden Zukunftsstrategie für das deutsche Engagement in Afghanistan. Stattdessen wirft man mit Jahreszahlen für einen Abzug um sich, so wahllos die genannten Daten auch sein mögen. Selbst Alt-Kanzler Schröder hat sich mit seiner Forderung nach einem Rückzug spätestens im Jahr 2015 aus dem politischen Ruhestand gemeldet.
Eiertanz und halbherzige Strategie
Andere, darunter Schröders Nachfolgerin Angela Merkel (CDU) fordern nun vehement, es müsse ein klares Szenario für die Übergabe der Macht an die afghanischen Behörden aufgezeichnet werden. Das klingt gut – ist aber in einem Land, das zu einem Drittel von Aufständischen beherrscht wird und dessen Präsident Karsai mehr durch seine korrupte Verwaltung und durch Wahlfälschungs-Vorwürfe Schlagzeilen macht als durch kluge und verlässliche Politik, nur ein frommer Wunsch der Kanzlerin.
Nun rächt sich, dass der Großteil der in der Verantwortung stehenden Politiker den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan über Jahre hinweg gleichsam nur mit spitzen Finger angefasst hat: Man machte mit, weil man irgendwie nicht anders konnte, obwohl man doch lieber nicht gewollt hätte. Man redete sich ein, die Bundeswehr würde in und um Kundus ein paar Brücken reparieren und Brunnen ausheben; als dann die ersten Soldaten tot heimkehrten, tat die Politik ebenso überrascht und hilflos wie betroffen. Der Eiertanz, den Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) und andere vollführen, indem sie beharrlich den Begriff Krieg in Zusammenhang mit dem Einsatz vermeiden, ist symptomatisch für die halbherzige Strategie.
Leidtragende sind in erster Linie die deutschen Soldaten, die in Afghanistan ihr Leben riskieren. Sie vermissen seit langem ein klares Bekenntnis der Politik zu ihrer Arbeit. Und sie vermissen ebenso eine klare Strategie wie es für den deutschen Einsatz in Kundus weitergehen soll. Die letzten Tage in Berlin dürften für die Truppe in dieser Hinsicht wenig Hoffnung gebracht haben.