Kundus. Der Bundeswehr-Oberst hat offenbar mit dem von ihm angeordneten Bombardement seine Kompetenz überschritten. Laut Nato sei der Luftangriff eine Fehleinschätzung gewesen, heißt es in einem Medienbericht. Die Bundeswehr verteidigt sich: Der Einsatz von Bodentruppen sei nicht möglich gewesen.
Der umstrittene Luftangriff gegen die Taliban in Afghanistan mit zahlreichen Toten sorgt auch weiterhin für heftige Debatten. Der Nato zufolge war der Befehl zur Bombardierung von zwei durch die Taliban entführten Tanklastern offenbar eine Fehlentscheidung. Der deutsche Oberst habe seine Kompetenz überschritten und die Lage falsch eingeschätzt, ergebe sich aus dem vorläufigen Bericht der Internationalen Schutztruppe ISAF zu dem Angriff bei Kundus, schreibt die «Süddeutsche Zeitung» unter Berufung auf hochrangige Nato-Kreise. Der afghanische Außenminister Rangin Spanta stellte sich im Streit über die vom deutschen Oberst Georg Klein angeordnete Bombardierung unterdessen vor die Bundeswehr.
Nur wenige Stunden nach dem am vergangenen Freitag angeordneten Bombenabwurf, bei dem mehr als 50 Menschen getötet wurden, hatte ISAF-Kommandeur Stanley McChrystal ein Untersuchungsteam nach Kundus geschickt. Dessen Bericht veranlasste McChrystal am Dienstag, eine offizielle Untersuchung anzuordnen. Sie soll klären, warum der Bundeswehr-Kommandeur des Provinz-Aufbauteams (PRT) die Bombardierung angeordnet hat.
Vorgeschriebener Befehlsweg nicht eingehalten
Es sei «sonnenklar», dass der deutsche Offizier den vorgeschriebenen Befehlsweg nicht eingehalten habe, erklärte laut Zeitung nun ein führender Nato-Offizier. Zu einer Entscheidung von solcher Tragweite sei er ohne Rücksprache mit dem ISAF-Hauptquartier nicht befugt gewesen. Es habe keine unmittelbare Bedrohung für ISAF-Truppen gegeben.
Die beiden Tanklaster, die nach Darstellung der Bundeswehr als rollende Bomben hätten eingesetzt werden können, hätten auf einer Sandbank im Fluss Kundus festgesteckt. Die Lage sei über Stunden hinweg beobachtet worden, eine schnelle Entscheidung sei nicht erforderlich gewesen. Man hätte bis Tagesanbruch warten können, um zu versuchen, die mutmaßlichen Taliban zu fassen oder zu vertreiben. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums nannte das Papier einen «Reisebericht», der unbestätigte Spekulationen enthalte.
Realtive Truppenschwäche
Die Bombardierung in Kundus ist nach Informationen der «Neuen Osnabrücker Zeitung» auch auf die relative Truppenschwäche der Bundeswehr in der afghanischen Unruheprovinz zurückzuführen. Wie die Zeitung unter Berufung auf hochrangige deutsche Militärs berichtet, hatte der Leiter des deutschen Wiederaufbau-Teams in Kundus in der fraglichen Nacht keine Möglichkeit gehabt, Bodentruppen zu dem nur sechs Kilometer vom Lager entfernten Aufmarschgebiet der Taliban zu entsenden.
Die Ergebnisse der Aufklärung in der Nacht zum 4. September hätten ergeben, dass sich zwischen 70 und 100 Talibankämpfer an den beiden Tanklastwagen versammelt hatten, um die in einem Flussbett festgefahren Lkw aus dem Schlamm zu befreien. Nach Ansicht des Verteidigungsministeriums in Berlin und den Verantwortlichen vor Ort bestand eine unmittelbare Bedrohung für das Bundeswehrlager.
Merkel will offen mit dem Thema umgehen
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte von der Union einen offenen Umgang mit dem Thema Afghanistan im Wahlkampf. «Wir müssen im Wahlkampf über die Dinge reden, die die Leute beschäftigen», sagte Merkel nach Informationen der «Rheinischen Post» bei einer internenen Sitzung der Unionsfraktion in Berlin. Die Union müsse das Thema Afghanistan «annehmen und nicht als Störgröße wegdrücken», lautete der Appell der Kanzlerin.
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Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erwartet, dass sich die Verhältnisse in Afghanistan bis 2015 deutlich bessern. Steinmeier spielte damit auf Äußerungen von Ex-Kanzler Gerard Schröder an, der jüngst einen Abzug der deutschen Truppen forderte. «Wie Schröder glaube auch ich, dass wir in den nächsten fünf, sechs Jahren entscheidende Fortschritte erzielen werden, um an eine Reduzierung unseres Engagements denken zu können», sagte Steinmeier.
Afghanischer Außenminister nimmt Bundeswehr in Schutz
Der afghanische Außenminister Spanta betonte, die Bundeswehr leiste in Afghanistan seit Jahren gute Aufbauarbeit, zudem seien die afghanische Polizei und das Militär noch nicht allein in der Lage, das Land zu verteidigen. Zwar müsse bei militärischen Aktionen der Schutz von Zivilisten im Vordergrund stehen, «aber das ist ein Krieg, und bedauerlicherweise kann so etwas passieren», sagte Spanta.
Ein klares Bekenntnis der Kirchen und Gewerkschaften zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan forderte der Deutsche Bundeswehrverband. Die Soldaten brauchten mehr Rückhalt in der Öffentlichkeit, sagte der Verbandsvorsitzende Ulrich Kirsch. «In Kundus ist Krieg», sagte der Oberst. (ddp)