Berlin. Der neue Chef-Diplomat Guido Westerwelle muss sich erst noch beweisen. Mit seiner Ernennung zum Außenminister und Vize-Kanzler erhält er nun eine Aufgabe, die ihm dazu Gelegenheit bieten wird. Die Partner in Europa und den USA erwarten die ersten Schritte auf internationalem Parkett.
Verantwortung zu übernehmen, sei sein Ziel, hat Guido Westerwelle in den vergangenen Wochen wiederholt verkündet. Mit seiner Ernennung zum Außenminister und Vize-Kanzler erhält er nun eine Aufgabe, die ihm dazu ausreichend Gelegenheit bieten wird: Als Chef-Diplomat werden der Afghanistan-Konflikt, Nahost und das Atomprogramm im Iran sein Alltagsgeschäft, außerdem wird er das größte Ministerium mit derzeit 6.900 Mitarbeitern leiten.
Mit Westerwelle zieht nach elf Jahren wieder ein FDP-Politiker ins Auswärtige Amt. Zugleich folgt der 47-jährige Chef der Liberalen zweien seiner politischen Vorbilder im Amt: Hans-Dietrich Genscher und Walter Scheel, die zwischen 1969 und 1992 fast durchgehend die deutsche Außenpolitik leiteten und in ihrem Geschäft als sehr erfolgreich galten.
Seine Eignung fürs Außenamt muss Westerwelle noch unter Beweis stellen. In seiner politischen Karriere profilierte er sich zumeist mit Wirtschaftsthemen, zuletzt vor allem in Sachen Steuersenkung. In einer Rede vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Mai dieses Jahres setzte er aber eigene Eckpfeiler in seinem künftigen Politikfeld: Kooperation innerhalb der Europäischen Union, Schulterschluss mit den USA unter Barack Obama, dazu noch Abrüstung, freier Handel und ein Bekenntnis zu den Menschenrechten.
Abzug der letzten Atomwaffen aus Deutschland
Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags am Wochenende machte er schon mal deutlich, dass es in der Außenpolitik nicht nur Kontinuität geben werde, sondern dass er auch «Dinge neu beginnen» wolle. Vor allem solle der Abzug der letzten Atomwaffen aus Deutschland mit den Verbündeten vereinbart werden.
Zu viel Erneuerung ist bei Diplomaten aber unerwünscht. Sie pflegen Kontinuität und Zurückhaltung, denn niemanden zu verprellen, steht ganz oben in der Stellenbeschreibung. Dies entspricht einer Haltung, die Westerwelle in seiner Karriere nicht immer pflegte. Auch zuletzt nicht, als er einen BBC-Reporter, der seine Frage auf Englisch stellte, in die Schranken wies mit dem Hinweis: In Deutschland spreche man doch bitte Deutsch. Die Szene, die im Internet mehrere hunderttausend Mal angeklickt wurde, ließ daraufhin Zweifel an Westerwelles Englisch-Kenntnissen aufkommen.
Doch derlei Zwischenfälle können den krisenerprobten Rheinländer nicht verunsichern. Er ließ in den mehr als 25 Jahren seiner politischen Karriere Widersacher noch immer hinter sich. Als Außenminister ist er der erste Bundesminister, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt und dessen Lebenspartner auf den Seiten der Hochglanz-Magazine regelmäßig an Westerwelles Seite zu sehen ist. Immerhin gibt es weltweit noch schätzungsweise 80 Länder, in denen Homosexualität als illegal gilt. Doch sehen Experten Westerwelles Rolle in diesem Punkt positiv, nämlich als die eines Botschafters der Toleranz.
In seinem Ministerium dürfte der neue Außenminister großen Rückhalt haben. In 60 Jahren Bundesrepublik war das Auswärtige Amt rund 29 Jahre unter Führung eines FDP-Politikers. Neben Scheel und Genscher leitete auch Klaus Kinkel es sechs Jahre. Nicht wenige Diplomaten sehen sich - ganz so wie der neue Minister - als Ziehsöhne der großen, alten Liberalen.
USA hoffen auf einen Transatlantiker
Die Partner in Europa und den USA erwarten Westerwelles erste Schritte auf internationalem Parkett mit Neugier. Anders als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist Westerwelle in den USA ein unbeschriebenes Blatt. Selbst Deutschland-Experten wie Steven Szabo, Direktor der Transatlantic Academy in Washington, räumen ein: «Hier in Washington ist er überhaupt nicht bekannt.» Mit Westerwelles Amtsantritt verbindet sich in den USA die Hoffnung, dass er in der Tradition früherer FDP-Ressortchefs großen Wert auf die transatlantischen Beziehungen legen wird. Neugier ist Westerwelle gewiss: Alle großen US-Zeitungen thematisierten seine Homosexualität. Die «New York Times» etwa wertet seinen Aufstieg als «Zeichen für die gesellschaftlichen Veränderungen im einstmals traditionsverhafteten Deutschland».
Fragezeichen in der EU
"Wer ist dieser Guido Westerwelle?» Das werde er von Kollegen aus anderen Ländern immer wieder gefragt, erzählt ein deutscher EU-Kommissionsmitarbeiter. Der FDP-Chef könnte seinen ersten Auftritt als frischgekürter Außenminister beim EU-Gipfel am 29. und 30. Oktober an der Seite der Bundeskanzlerin haben. Beim letzten Brüssel-Besuch vor 15 Monaten traf Westerwelle unter anderem Chefdiplomat Javier Solana. Als Geheimtipp in den EU-Institutionen gilt das Internet-Video, auf dem der FDP-Chef mit seinem Englisch kämpft. Für die Ko-Chefin der europäischen Grünen, Rebecca Harms, steht fest: «Für die EU-Verhandlungen muss Westerwelle neben Englisch auch Ernsthaftigkeit lernen.»
Franzosen rechnen mit "perfektem Schwiegersohn"
Auch in Frankreich ist Westerwelle gänzlich unbekannt. Französische Medien wie die Tageszeitung «Libération» beschreiben ihn als eine Art «perfekten Schwiegersohn» - mit dem Hinweis darauf, dass er sich zu seiner Homosexualität bekennt. Das Nachbarland ist vor allem gespannt darauf, was aus Westerwelles Wahlkampfforderung nach einem Rückzugsplan für Afghanistan und seiner Haltung zu einem möglichen EU-Beitritt der Türkei wird. Probleme erwartet Paris aber nicht: Die FDP gelte in Frankreich als «konstante Partei in der Außenpolitik» mit einem Bekenntnis zur europäischen Integration und deutsch-französischen Zusammenarbeit, meint Henrik Uterwedde vom Deutsch-französischen Institut in Ludwigsburg.
Sympathien in der Türkei
Vielen türkischen Zeitungslesern ist Westerwelle erst seit dem guten Abschneiden der FDP bei den Bundestagswahlen ein Begriff. Während der Koalitionsverhandlungen gewann der designierte Außenminister am Bosporus erste Sympathien, indem er den Wunsch der CSU ablehnte, ein Nein Deutschlands zur türkischen EU-Bewerbung verbindlich festzuschreiben. Das Privatleben des FDP-Chefs wird in der Türkei mit Interesse und mit einigen Seitenhieben auf die eigene konservative Regierung und Bevölkerung kommentiert. Mehrere Zeitungen fragten, was geschehen werde, wenn Westerwelle bei einem Besuch seinen Lebensgefährten mitbrächte. Türkische Diplomaten wurden zitiert, dass es für Michael Mronz natürlich ein Begleitprogramm geben werde - doch Mronz wird wohl kaum mit der Ehefrau des türkischen Außenministers einen Tee trinken. (afp)