Berlin. Schwarz-Gelb gibt sich im Koalitionsvertrag als Bündnis der Reformen in der Wirtschaftskrise. Doch die Rechnung scheint schon jetzt klar: Steuern runter, Beiträge rauf - rechte Tasche, linke Tasche. Dem Papier fehlt der frische Wind.
Ohne neues Wachstum "ist der Sparbedarf nicht zu erbringen." O-Ton Angela Merkel. Daran erkennt man das wahre Motto ihrer Regierung: "Alles oder nichts." Union und FDP setzen mit der Steuerreform auf Pump alles auf eine Karte. Das ist mutig (Merkel). Und waghalsig.
Vor der NRW-Wahl geht wenig
Die Herausforderung ist klar: die Finanz- und Bankenkrise. Eine andere erahnt man nur: Die Überalterung der Gesellschaft. Auf die Arbeitnehmer kommen höhere Kosten für Pflege und Gesundheit zu. Ausdrücklich mochte die Kanzlerin am Samstag nicht ausschließen, dass die Sozialbeiträge steigen werden; und zwar krass einseitig für die Arbeitnehmer in Form einer Kopfpauschale (Gesundheit) oder als Zusatzversorgung bei der Pflegeversicherung. Steuern runter, Beiträge rauf - rechte Tasche, linke Tasche. Alles klar?
Schwarz-Gelb setzt aus einem Grund eine Reform-Kommission im Gesundheitswesen ein: FDP und Union wollen Zeit gewinnen und die NRW-Wahl im Mai 2010 abwarten. Erst danach öffnet sich ein Zeitfenster, um über die zukünftige Finanzierung der Krankenversicherung zu reden. Schon in der großen Koalition war es das härteste Feld - zu viel Geld, zu viele Lobbyisten, zu viele Sachzwänge -, und unter Schwarz-Gelb wird das nicht anders werden. Man kann sich da nur unbeliebt machen.
Minenfeld Gesundheitspolitik
Schwer zu sagen, ob man den künftigen Gesundheitsminister Philipp Rösler um diese Chance beneiden oder bedauern soll. Er betritt mit der Bundespolitik die ganz große Bühne und mit der Gesundheitspolitik obendrein ein Minenfeld. Bei jedem Streit wird er als Vertreter einer kleinen Partei schwer haben. Da wird jedes Lebensjahr im neuen Amt doppelt zählen. Mindestens.
Die Koalitionsverhandlungen waren bloß ein Rauschen im Hintergrund. Nicht der Vertrag, das Regieren ist der Ernstfall. Wo bleibt das Konservative? Der Vertrag ist unideologisch, aber zugleich auch erschreckend konventionell. Von frischem Wind kann keine Rede sein.
Warum tut sich Schäuble das an?
Ein Wort zum Kabinett: Mit Wolfgang Schäuble wird - anders als bei Rösler - der richtige Mann als Finanzminister verheizt. Mit 67 geht es nicht mehr um Karriere. Schäuble hat Erfahrung und eine Autorität. Er ist aus dem richtigen Holz geschnitzt - für den härtesten Job, den Merkel zu vergeben hat. Man fragt sich, warum er sich das antut. Es wird nur hektischer, aufreibender.
Dirk Niebel (Entwicklungshilfe) hält dem Vergleich mit seiner SPD-Vorgängerin nicht Stand. Er wird eine politische Existenz an der Wahrnehmungsschwelle fristen. Franz Josef Jung kann als Arbeitsminister schnell zur Lachnummer werden. Es bleibt Merkels Rätsel, warum sie den Minister der (Selbst)Verteidigung mit der so wichtigen Aufgabe vertraut, den Zusammenhalt zu organisieren. Ein Fehlgriff.
Annette Schavan hat es vier Jahre lang geschafft, das Zukunftsressort Bildung incognito zu führen. Wir haben keinen Zweifel, dass ihr das vier weitere Jahre gelingen wird. Der Personalentwicklungsplan der CSU ist leicht zu durchschauen: Ilse Aigner (Landwirtschaft) und Peter Ramsauer (Verkehr) werden so viel Staatsknete wie möglich nach Bayern umlenken. Und Ursula von der Leyens kometenhafter Aufstieg als Familienministerin wird astronomisch einwandfrei enden: Ihr Stern wird verglühen.
Norbert Röttgen kann aus dem Umweltressort was machen. Thomas de Maiziere (Innen) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Justiz) werden mit dem Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit nicht so krampfhaft wie ihre Vorgänger umgehen. Rainer Brüderle wird sich als Wirtschaftsminister neu erfinden müssen. Guido Westerwelle hat sich als konventioneller Politiker entpuppt. Das Auswärtige Amt ist mehr eine Statusfrage als eine Berufung. Karrieretechnisch macht auch Karl-Theodor zu Guttenberg alles richtig. Das Verteidigungsministerium ist eine Bewährungsprobe.
Der echte Stern im Kabinett bleibt Angela Merkel. Die Kanzlerin ist auf dem Gipfel ihrer Macht. Danach beginnt der Abstieg.