Berlin/Paris. Die Europäer starten Vorbereitungen für eine Friedenstruppe, doch sie stehen vor einem Dilemma. So riskant wäre eine Friedensmission.
Bislang wurde es als Geheimsache behandelt, jetzt folgen zögerlich Taten: Europa beginnt Vorbereitungen für eine Friedenstruppe in der Ukraine. Rund um einen Krisengipfel europäischer Staaten am Montag in Paris zur Lage in der Ukraine erklären erste europäische Regierungen offiziell ihre Bereitschaft, Soldaten zur Absicherung eines Waffenstillstandes in die Ukraine zu entsenden.
Die Bundesregierung betonte zwar, sie halte eine Entscheidung für verfrüht, Kanzler Olaf Scholz (SPD) pocht auf eine Beteiligung der USA an der Friedenstruppe. Aber: Intern hat das Verteidigungsministerium vorsichtshalber geheime Szenarien für den Einsatz von Bundeswehrsoldaten in der Ukraine durchspielen lassen. „Wir können uns nicht wegducken“, mahnen Regierungsmitglieder. Der britische Premier Keir Starmer prescht vor, er zeigte sich zum Gipfel „bereit und willens“, Soldaten zu entsenden – Starmer bot zudem eine „führende Rolle“ an. Frankreich wäre ohnehin dabei, auch Schweden signalisierte die Teilnahme an einer Friedensmission.
Frieden in der Ukraine: Für die Europäer ist der Druck von Trump ein Affront
Es wäre ein kleiner Triumph für US-Präsident Donald Trump: Er hat erst die Europäer geschockt, indem er ohne Abstimmung mit den Verbündeten Friedensverhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vereinbart hatte – und dem Kremlherrscher bei seinen Forderungen vorab weit entgegenkam.
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Dann forderte Trumps Regierung die derart düpierten europäischen Regierungen auch noch per Fragebogen auf, ihren Beitrag für die Sicherung der zu verhandelnden Friedenslösung anzumelden – Truppen, Waffen, Ausbildung für eine Mission in der Ukraine. Sie wäre zentrale Säule jener Sicherheitsgarantie, die die Ukraine nach einem Ende des Krieges fordert, wenn sie nicht Mitglied der Nato werden kann. Voraussetzung wäre indes, dass Russland einer solchen Lösung zustimmt: Der Kreml nannte die Entsendung von Nato-Soldaten am Montag „schwierig“, lehnte die Überlegungen aber auch nicht generell ab.

Für die Europäer ist der Druck aus Washington einerseits ein Affront, andererseits eine Chance: Wenn sie an den Verhandlungen beteiligt werden wollen, müssen sie liefern – und sich als ernstzunehmende Ordnungsmacht auf dem Kontinent engagieren. Macron ergriff die Initiative, lud kurzfristig zum Gipfel ein. Neben Scholz und Starmer waren die Regierungschefs Italiens, Polens, Spaniens, der Niederlande und Dänemarks geladen, dazu das EU-Spitzenduo Ursula von der Leyen und António Costa sowie Nato-Generalsekretär Mark Rutte.
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Macron hatte schon vor Monaten die Idee einer europäischen Friedensmission mit 40.000 Soldaten in fünf Brigaden ventiliert, allerdings ohne Erfolg. Die Mehrzahl der EU-Staaten zögert, denn entscheidende Fragen sind noch offen. Viel hängt von der Friedenslösung ab, über die sich bisher nur spekulieren lässt. Polen etwa stellte in Paris klar, es plane keine Entsendung eigener Truppen. Scholz spricht für die Mehrheit der Europäer, wenn er betont, es werde „keine Sicherheitsgarantien geben, die wir nicht selber entwickelt haben und akzeptieren“.
Ukraine: Einsatz einer Friedenstruppe wäre nicht ohne Risiko
Der Einsatz wäre schließlich nicht ohne Risiko, er müsste robust sein: „Russland muss von einem weiteren Überfall auf die Ukraine abgeschreckt werden“, sagt die Verteidigungsexpertin Claudia Major. Gleichzeitig müssten die westlichen Verbündeten sicherstellen, dass auch die Ukraine Aggressionen unterlasse, meint die Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Schon wegen der langen Frontlinie von über 900 Kilometern sei das eine immense Herausforderung.
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Der Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Andras Racz, sagt: „Wenn eine Friedenstruppe nicht nur beobachten, sondern einen Waffenstillstand sichern soll, werden mindestens 200.000 gut ausgebildete, bewaffnete Soldaten benötigt.“ Ähnliche Schätzungen kursieren bei Nato-Militärs. Major glaubt, dass sich die Kontingentstärke noch auf 150.000 Soldaten reduzieren ließe – wenn die Ukraine selbst die Sicherung vor allem an der Waffenstillstandslinie übernähme, die internationale Friedenstruppe zur Abschreckung gut ausgerüstet vorwiegend im Hinterland bliebe.
Europa pocht auf US-Beteiligung an der Friedenstruppe
Das Problem: Die Europäer können so oder so eine solche Truppe allein niemals aufstellen, 40.000 bis 50.000 Soldaten gelten als absolutes Maximum. Doch schon das ginge nur, wenn bestehende Nato-Einsätze zum Schutz der Ostflanke heruntergefahren würden – womit Europa seine eigene Abschreckung gegen Russland schwächen würde. Soll das vermieden werden, ist die Rede von allerhöchstens 20.000, wahrscheinlich noch weniger Soldaten. In der Bundeswehr wird entsprechend vorsichtig gerechnet: Eine kleine vierstellige Zahl an Soldaten sei denkbar, ähnliche Signale senden andere Regierungen.

Schon deshalb pochen die Europäer auf eine Beteiligung der USA an der Friedenstruppe, fast alle Regierungen wollen andernfalls nicht mitmachen. Auch Scholz nennt diese Bedingung, wenngleich US-Verteidigungsminister Pete Hegseth schon ausgeschlossen hat, dass amerikanische Soldaten in der Ukraine eingesetzt werden. Major nennt einen weiteren Grund, warum eine US-Beteiligung kaum verzichtbar ist: Nur die US-Armee verfüge in ausreichendem Maß über benötigte Fähigkeiten zur Luftverteidigung, Aufklärung und Überwachung.
„Das erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Krieges in Europa“
In Berlin und anderen Hauptstädten werden Alternativen zu einer westlichen Friedenstruppe nicht ausgeschlossen: etwa eine UN-Mission, an der sich zum Beispiel die Golfstaaten, Indien oder Südafrika beteiligen könnten und womöglich auch das Russland eng verbundene China. Aber dass chinesische Soldaten demnächst in der Nähe des Nato-Lands Polen stationiert sein könnten, stößt in europäischen Regierungen auf Bedenken. Ein UN-Mandat ist bislang ohnehin nicht in Sicht, und die bisherigen UN-Blauhelmeinsätze haben militärische Konflikte im Ernstfall nicht verhindern können. Das gilt auch für das Modell der gescheiterten OSZE-Beobachtungsmission, wie es sie seit 2014 in der Ostukraine gab.
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Überlegt wird schließlich ein „Modell Israel“, bei dem die Ukraine derart massiv aufgerüstet würde, dass sie auch allein Russland abschrecken könnte. Scholz denkt offenbar in diese Richtung, er sagt: „Die Ukraine braucht eine sehr starke Armee, damit sie nicht wieder überfallen wird, wenn ein Friedensschluss zustande kommt.“ Allerdings würde diese Aufrüstung nach Schätzung von Militärexperten mindestens ein Jahrzehnt dauern. So stehe Europa ohne die USA jetzt vor einem Dilemma, resümiert Verteidigungsexpertin Major. Entweder werde eine Friedenstruppen-Stärke zugesagt, die zur Abschreckung notwendig wäre, aber in der Praxis nicht erfüllbar sei – oder Europa verspreche ein realistisches Kontingent, das zur Abschreckung nicht ausreicht. Beides wäre riskant: Eine zu schwache Mission könne Russland zum Testen einladen, warnt Major. „Das wäre fahrlässig und erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Krieges in Europa.“