Berlin. Andrij Melnyk fürchtet, dass die Ukraine im aktuellen deutschen Wahlkampf in Vergessenheit gerät. An Friedrich Merz hat er eine direkte Forderung.

Der frühere Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, beklagt eine mangelnde Aufmerksamkeit für sein Land im laufenden Bundestagswahlkampf. „Dass das Thema Ukraine im hitzigen Alle-gegen-alle-Wahlkampf komplett verschwand, ist geradezu ein Geschenk an Putin, der sich die Hände reibt“, sagte Melnyk unserer Redaktion. Zugleich warb der streitbare Diplomat um neue Finanzierungszusagen der europäischen Partner der Ukraine – in Höhe von 100 Milliarden Euro.

Melnyk, der derzeit Botschafter der Ukraine in Brasilien ist, aber demnächst als Diplomat zu den Vereinten Nationen nach New York wechselt, ist besorgt über die Zukunft seines Landes. Die Ukraine, aber auch Europa und Deutschland stünden an einem Scheideweg. „Angesichts dessen, was man über den Atlantik beobachtet, sollten die EU und vor allem die Bundesrepublik als ihr stärkster Mitgliedsstaat das Ruder herumreißen in Sachen Ukraine-Hilfen“, so Melnyk.

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Meine schwerste Entscheidung

Er plädiert dafür, dass die Mitgliedsländer der Europäischen Union für die Verteidigung der Ukraine mindestens 0,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts zur Verfügung stellen. Die Summe von 100 Milliarden Euro erscheine viel, würde aber jeden EU-Bürger nur etwa 61 Cent pro Tag kosten und wäre „die beste Investition in die eigene Sicherheit Europas“.

Bedenke man, dass die EU dadurch das Risiko eines russischen Angriffs auf sich selbst drastisch reduziere, sei das die Geldanlage wert, argumentiert Melnyk. Außerdem wäre das ein „mächtiges Signal“ an Putin, „der zu glauben scheint, seine Mördertruppen seien nicht mehr aufzuhalten“.

Ukrainischer Diplomat Andrij Melnyk
Andrij Melnyk fort von Friedrich Merz (CDU), dass sich dieser klar zur Ukraine positioniert. © DPA Images | Michael Kappeler

Nur ein „mutiges, vorausschauendes Auftreten“ der Europäer könne Putin „regelrecht dazu zwingen“ zu verhandeln, glaubt Melnyk. „Denn je mehr man im Westen über den baldigen Frieden redet, desto unrealistischer ist die Chance, dass Putin in echte Verhandlungen einsteigen wird“. Deutschland, so Melnyk, sollte in diesem „neuen europäischen Konzert die erste Geige“ spielen.

Deshalb hält es Melnyk für wichtig, dass die Ukraine im Bundestagswahlkampf nicht vergessen wird. „Bei aller Wichtigkeit darf die andauernde Migrationsdebatte nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Kernthema Krieg und Frieden sowie Sicherheit in Europa das A und O für die Menschen bleibt.“

Angesichts des wahrscheinlichen Wahlausgangs appelliert er an den CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz: Dieser solle sich jetzt ganz klar positionieren, konkrete Zusagen für die Ukraine verkünden – und die SPD als möglichen Koalitionspartner ins Boot holen.