München. Auf der Sicherheitskonferenz steht der CDU-Chef als Außenpolitiker unter besonderer Beobachtung. Er schlägt sich tapfer.
Manchmal passieren auch in der Politik Dinge, die wirken, als hätte ein Drehbuch-Schreiber sie sich ausgedacht. Die Dinge passieren einfach so, obwohl es in der konkreten Situation weder Drehbuch noch Schreiber gibt.
Zum Beispiel auf der Münchner Sicherheitskonferenz an diesem Samstag: Auf dem Podium im Hotel „Bayerischer Hof“ findet um die Mittagszeit eine Diskussionsrunde statt, es geht um die Unterstützung Europas für die Ukraine. Der tschechische Präsident Petr Pavel ist dabei sowie die Regierungschefs aus Dänemark und Schweden, Mette Fredriksen und Ulf Kristersson. Und der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, der bekanntlich beste Chancen hat, aus der Bundestagswahl am kommenden Wochenende als Sieger hervorzugehen und nächster deutscher Kanzler zu werden.
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Die Moderatorin richtet das Wort an Merz und redet ihn auf Englisch mit „Chancellor“ an – Kanzler. Lachen im Saal, die Moderatorin korrigiert sich schnell selbst – „Chairman“, also Vorsitzender. Auch Merz ist angesichts dieses Lapsus sichtlich amüsiert. Er bedankt sich für das Kompliment. Und ergänzt: „Da sind immer noch 60 Millionen Wähler zwischen Ihnen und mir.“
Friedrich Merz ist, man kann es nicht anders sagen, für viele Teilnehmer in diesem Jahr einer der interessantesten Teilnehmer der Sicherheitskonferenz. Noch mag er nur Parteichef sein. Aber wenn die Umfragen vor der Wahl nicht vollkommen daneben liegen, dürfte er bald als Nachfolger von Olaf Scholz (SPD) die Geschicke des größten EU-Staates und der drittgrößten Volkswirtschaft des Planeten lenken.
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In Deutschland mag man im Wahlkampf vor allem über Migration reden, über den Zustand der Wirtschaft oder sichere Renten. Aber in München wollen die anwesenden Staats- und Regierungschefs, Minister, Militärs und Sicherheitsexperten wissen, was dieser Merz für einer ist. Und vor allem: Ob Deutschland unter seiner Führung die Rolle in der krisenhaften Welt spielen wird, die es spielen muss.
Merz absolviert in München ein strammes Programm. Auf dem Podium sitzt er am Samstag mit einem Präsidenten und zwei Premiers, allein das adelt ihn. Am Freitag gab es ein Treffen mit US-Vizepräsident JD Vance. Merz traf auch Chinas Außenminister Wang Yi, Nato-Generalsekretär Mark Rutte, Israels Außenminister Gideon Saar, Europas Außenbeauftragte Kaja Kallas, EU-Ratspräsident Antonio Costa und viele andere. Der CDU-Chef hat also einigen Grund, sich zu fühlen wie ein Kanzler im Wartestand.
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Ob das allerdings ein behagliches Gefühl ist, sei einmal dahingestellt. Denn spätestens seit dieser Woche ist klar, dass der künftige Regierungschef – wer immer es auch sein mag – außenpolitisch durch die Hölle wird gehen müssen.
Nach Vance-Rede und Trump-Rhetorik: Es scheint um alles oder nichts zu gehen
US-Präsident Donald Trump würde den Krieg in der Ukraine am liebsten beenden, indem er direkt mit dem russischen Machthaber Wladimir Putin verhandelt – womöglich über die Köpfe der Ukrainer hinweg und ohne Beteiligung der Europäer. Die aber sollen nach Trumps Vorstellungen einen Friedensschluss militärisch allein absichern und ihre Verteidigungsbudgets massiv erhöhen.
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Trump ist auch drauf und dran, einen transatlantischen Handelskrieg vom Zaun zu brechen. US-Vizepräsident JD Vance wiederum erklärte den Europäern am Freitag in München quasi den Kulturkrieg: Er warf ihnen vor, die Meinungsfreiheit zu unterdrücken und forderte sie auf, Regierungen mit Parteien von ganz rechts zu bilden. In Deutschland also mit der AfD.
Spätestens jetzt ist also klar, dass gerade das zu zerbröseln droht, was seit 1945 die Sicherheit und den Wohlstand eines großen Teiles Europas ermöglicht: die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Es geht um alles oder nichts.
CDU-Chef: Merz fordert gemeinsame Festlegungen aller Nato-Staaten
Auf dem Podium im „Bayerischen Hof“ wird am Samstag schnell klar, dass Friedrich Merz sich hier keinen Illusionen hingibt. Vances Vorwurf, wonach die Meinungsfreiheit in Europa bedroht sei, weist er brüsk zurück. Merz versichert zudem, dass Deutschland unter seiner Führung die Ukraine weiter unterstützen werde. Es wäre „absolut inakzeptabel“, wenn die USA und Russland allein über die Ukraine verhandeln würden. Deutschland und Europa seien bereit, mit der Trump-Regierung zusammenzuarbeiten, auch in Wirtschaftsfragen.
Als die Moderatorin fragt, woher das Geld für höhere Rüstungsausgaben kommen könnte, gibt der Kanzlerkandidat eine Antwort, die man als Abkehr von der Schuldenbremse in ihrer bisherigen Form verstehen kann: „Ich bin offen für jede Debatte über unsere Ressourcen.“ Voraussetzung sei aber, dass die Nato-Staaten gemeinsam festlegen, welcher Anteil der Wirtschaftsleistung künftig für Verteidigung aufgewendet werden soll. Außerdem müssten die Europäer die Produktion ihrer Waffensysteme besser abstimmen.
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In Bezug auf eine mögliche Nato-Mitgliedschaft der Ukraine nach einem Friedensschluss betont Merz, dass es Zusagen des gesamten Bündnisses gebe. Ein einzelner Nato-Staat – gemeint sind die USA unter Trump – könne sich nicht im Alleingang aufkündigen. Er sei weiterhin bereit, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Und er sei bereit, in der Europäischen Union „gemeinsame Führung“ zu übernehmen, so wie einst die Kanzler Adenauer und Kohl.
Merz ist gut vorbereitet, sein Englisch ist flüssig und präzise. Er erhält viel Applaus. Der Kanzlerkandidat kann an diesem Samstag zufrieden sein mit seinem Auftritt. Und die anwesenden Politiker und Experten aus aller Welt auch: In keinem Augenblick drängt sich der Eindruck auf, dass sich Deutschland unter einem Kanzler Merz aus der Verantwortung stehlen würde.
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