München. In München wollen die Europäer von JD Vance hören, wie es für die Ukraine weitergehen könnte. Doch sein Anliegen ist ein ganz anderes.
Der Schrecken, den die Europäer befürchtet hatten, kam dann ganz anders. JD Vance‘ Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz am Freitag war derjenige, der mit der meisten Spannung erwartet worden war. Mit dem klaren Rückzug aus Europa hatte er jedenfalls nichts zu tun.
Gerechnet hatten Beobachter und Teilnehmende der Konferenz damit, dass Vance die Brocken, die US-Präsident Donald Trump in den vergangenen Tagen gestreut hatte, aufgreifen und konkretisieren würde. Wie würde es mit der Sicherheit und Verteidigung der Ukraine weitergehen? Welches Verteidigungsbudget würde man konkret von den europäischen Staaten fordern, und vor allem ab wann? Und kommen die befürchteten Sonderzölle auf Autoimporte?
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Christoph Heusgen, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, hatte am Morgen im „Deutschlandfunk“ mit Blick auf einen möglichen Abzug der US-Truppen aus Europa gesagt, dies sei die Stunde der Europäer. Friedrich Merz warnte vor einer „brutal harten Ansage“ der Amerikaner. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hatte sich besorgt gezeigt.
Münchner Sicherheitskonferenz: Steinmeier und von der Leyen zeigen sich kämpferisch
Im Licht dieser Erwartungen ist auch im Bundespräsidialamt eine ungewöhnlich konfrontative Rede entstanden, mit der Frank-Walter Steinmeier am Freitagnachmittag die Konferenz eröffnete. Er verurteilte, dass Trump und seine Mitarbeitenden keine Rücksicht nähmen auf „etablierte Regeln, auf Partnerschaft und gewachsenes Vertrauen“. Es handele sich um ein „sehr anderes Weltbild“. Einfach hinnehmen will das Staatsoberhaupt das aber nicht – „Regellosigkeit“ dürfe nicht zum Leitbild für eine neue Weltordnung werden.
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Ähnlich kämpferisch äußerte sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die ihrerseits mit einer harschen Reaktion der EU drohte, sollten die Zölle, wie von Trump erwogen, eingeführt werden. Auch zum Thema Ukraine wurde sie deutlich: Sie will den EU-Beitritt des angegriffenen Landes vorantreiben. Zudem will sie die europäischen Budgetregeln vorübergehend lockern, um den Staaten mehr Investitionen in Verteidigung zu ermöglichen.
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Dann betrat JD Vance die Bühne im Hotel Bayerischer Hof und es kam alles ganz anders.
Der US-Vizepräsident lieferte einen bizarren Auftritt ab. Die Ukraine? Allenfalls ein Nebenschauplatz. Zunächst lobte er die Schönheit der Stadt München. Kräftiger Applaus dafür. Vance: „Ich hoffe, das ist nicht der Letzte, den ich heute bekomme.“
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JD Vance schlägt in seiner Rede einen schrägen Bogen
Im Folgenden warf Vance den europäischen Staaten vor, systematisch die Grundfreiheit ihrer Bürger zu beschneiden – etwa mit Blick auf die Meinungs- und Religionsfreiheit. „In ganz Europa ist die freie Rede auf dem Rückzug“, sagte Vance. Das gelte auch für die sozialen Medien. Natürlich sei auch die Trump-Regierung dagegen, dass Russland sich mit Kampagnen in Wahlen einmische. Aber: „Wenn eine Kampagne von ein paar hunderttausend Dollar in den sozialen Netzwerken eine Demokratie zerstören kann, dann war sie von Anfang an nicht so stark.“
Name | James David „JD“ Vance |
Geburtsdatum | 2. August 1984 |
Amt | Vize-Präsident der USA |
Partei | Republikaner |
Familienstand | verheiratet, eine Tochter und zwei Söhne |
Der US-Vize schwenkte von Thema zu Thema, etwa als Nächstes zu einem christlichen Aktivisten, der in Schweden wegen der Teilnahme an einer Koranverbrennung verurteilt worden sei. Oder zu einem Abtreibungsgegner, der in Großbritannien nahe einer Abtreibungsklinik auf der Straße gestanden und gebetet habe und dafür verurteilt worden sei.
Manch einer im Publikum dürfte sich gefragt haben, ab wann es um die großen sicherheitspolitischen Fragen gehen würde. Doch Vance schlug einen schrägen Bogen – „es gibt keine echte Sicherheit, wenn Sie Angst vor Ihren Wählern haben“, sagte er mit Blick auf die Versuche, Hassrede in sozialen Netzwerken einzudämmen und härter bestrafen zu lassen. „Dann kann auch Amerika nichts für Sie tun.“
MSC: Antworten auf die drängendsten Fragen gab es von Vance nicht
Er verknüpfte das mit dem aus seiner Sicht größten Problem dieser Zeit – der Masseneinwanderung. „Kein Wähler hat jemals seine Stimme dafür abgegeben“, sagte Vance. Stattdessen wollten die Menschen in Frieden leben und sich eine Zukunft aufbauen. Er warnte davor, die Wählerschaft „zu ignorieren“, und hoffte auf „klare Antworten“ bei den anstehenden Wahlen. Sätze, die aus dem Parteiprogramm der AfD hätten stammen können. Vance nahm indirekt Bezug auf die deutsche Debatte über die Abgrenzung von der Partei: „Es gibt keinen Platz für Brandmauern.“
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Mit einem „God bless you“ verließ er die Bühne.
Antworten auf ihre drängendsten Fragen bekamen die Europäer also nicht, sondern stattdessen eine Lektion im Kulturkampf, wie die Trump-Administration ihn sieht. Vance fungierte hier als Galionsfigur, die die US-Position unters europäische Volk bringen sollte. Dass die Amerikaner sich selbst nicht an die von Vance proklamierten Werte der Meinungsfreiheit halten, zeigt sich allein an den Beschränkungen der Programme, die Diversität fördern sollten, die jetzt überall durchgesetzt werden.
Deutlich wurde dabei eines: Die Europäer und die Amerikaner fliegen derzeit auf völlig unterschiedlichen Umlaufbahnen. Die einen machen sich konkrete Gedanken, wie die Zusammenarbeit mit den USA künftig aussehen könnte, wie es dabei für die Ukraine weitergeht. Und die anderen verlieren sich in wirren Ankündigungen und Drohungen, stiften maximale Verwirrung – etwa wenn Trump gedanklich mäandert, vielleicht werde die Ukraine eines Tages russisch sein, nur um wenig später Putin notfalls mit militärischen Mitteln zu drohen, falls er nicht spurt. Die Frage ist, wie lange die USA diesen Nicht-Kurs durchhalten.
Anmerkung: In einer früheren Version des Textes war die Rede von einer „400.000-Dollar-Kampagne“. Tatsächlich sprach Vance von „mehreren hunderttausend Dollar“. Wir haben den Fehler korrigiert.