Düsseldorf. Der Landesverband wirkt zwar gemäßigter als die AfD im Osten, dürfte sich aber nicht vom Trend der Partei nach Rechtsaußen entkoppeln.
Die Kampagne „AfDnee“ geht viral in sozialen Netzwerken. Das Projekt des Frankfurter Vereins für demokratische Bildung und Kultur (Demokult) will Menschen darüber aufklären, dass sie sich als AfD-Wählende nur selbst schaden würden, weil diese Partei nicht die Interessen der kleinen Leute vertrete, sondern die der Wohlhabenden. Aber stimmt das überhaupt? Und wie „tickt“ die AfD in NRW? Einfache Antworten gibt es darauf nicht.
"Der Vorsitzende gibt sich moderat und zurückhaltend"
Während der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke als extrem rechtes Gesicht der Partei gilt, steht in der AfD in NRW ein anderer Typ Politiker in der ersten Reihe: Dr. Martin Vincentz, ein 37-jähriger Arzt aus Tönisvorst, der im Landtag nicht durch scharfe Reden auffällt, der sich nicht als strammer Rechtsaußen inszeniert, sondern zum Beispiel davor warnt, dass „mit den kalten Temperaturen nach den Ferien auch wieder Fiebersäfte knapp werden“. Er ist Landesvorsitzender der AfD und Chef der AfD-Fraktion im Landtag.
„Vincentz gibt sich moderat und zurückhaltend“, sagt Prof. Stefan Marschall, Politikwissenschaftler an der Universität Düsseldorf. Es sei allerdings nicht zu sehen, dass er in der Bundespartei eine wichtige Rolle spielen könne oder wolle.
Rechtsaußen aus der Fraktion geworfen
Rechtsextremismusforscher Alexander Häusler rüttelt am Bild des „moderaten“ NRW-Parteichefs: „Anfangs trat Vincentz als Gegner des völkisch-nationalistischen ,Flügels‘ auf und galt als Unterstützer des Ex-Bundesparteichefs Jörg Meuthen. Nach dem Ausscheiden Meuthens schwenkte er um und arrangiert sich nun mit den rechten Kräften“, meint Soziologe von der Hochschule Düsseldorf. Die NRW-AfD trage den Kurs der Gesamtpartei mit, und der führe immer weiter nach rechts.
Es gibt Gegenbeispiele. Die AfD-Fraktion, die im Landtag völlig isoliert ist, schloss zum Beispiel 2022 den Abgeordneten Christian Blex, einen Vertreter der extremen Rechten, nach dessen umstrittener Russlandreise aus der Fraktion aus. Blex will vom Verwaltungsgerichtshof klären lassen, ob der Rauswurf gerechtfertigt war. Der AfD-Landesverband scheint insgesamt etwas resistenter zu sein gegen völkisch-nationalistische Tendenzen als Landesverbände im Osten.
Der Einfluss der NRW-AfD in der Gesamtpartei ist eher gering
„Im Gegensatz zu Thüringen wird in NRW nicht der ganze Landesverband vom Verfassungsschutz beobachtet, sondern nur jene Strömungen, die dem inzwischen aufgelösten rechten „Flügel“ zugeordnet werden können. In NRW kann man laut dem Landesverfassungsschutz etwa 15 bis 20 Prozent der AfD-Mitglieder dem Ex-Flügel zuordnen, in Thüringen hingegen liegt sogar die Führung der Partei in der Hand des ehemaligen Flügel-Chefs Björn Höcke“, erklärt Politologe Marschall. Besonders einflussreich und prägend in der Bundespartei sei die NRW-AfD allerdings nicht. Sie dürfte sich auch nicht vom allgemeinen Trend der Partei Richtung Rechtsaußen entkoppeln können.
Liberal und nicht sozial
Mit Blick auf die Kampagne „AfDnee“ sind sich Marschall und Häusler darin einig, dass die Partei nur scheinbar sozial sei. „Der Ursprung der AfD, im Bund wie in NRW, ist sehr konservativ und gleichzeitig neoliberal bis ordoliberal“, so Marschall.
Häusler sagt: „Sie steht weiter in der neoliberalen Tradition von Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel. Die AfD ist keine soziale Partei. Sie will zum Beispiel hohe Einkommen entlasten und Arbeitnehmerrechte beschneiden. Die Kampagne der Initiative ,AfD nee‘ liegt also genau richtig.“
Teile der AfD bemühten sich, die Partei als „Partei des kleinen Mannes“ darzustellen, so Marschall. Im Ruhrgebiet sei sie mit der Selbstdarstellung als „Arbeiterpartei“ zuletzt auch relativ erfolgreich gewesen. Das stehe im Widerspruch zum Bundesparteiprogramm.
Fremdenfeindlichkeit ist prägend
Die angebliche Solidarität mit dem „kleinen Mann“ sei allerdings eine sehr exklusive Solidarität. „Es geht immer nur um den ,deutschen kleinen Mann‘ und um deutsche Familien“, sagt Marschall. Häusler wirft der NRW-AfD-vor, ihren Marktradikalismus hinter einem vermeintlichen „solidarischen Patriotismus“ zu verbergen.
So habe sich zum Beispiel der AfD-Politiker Guido Reil aus Essen als Bergmann und Arbeiterführer inszeniert. „Das Gefährliche ist, dass sie das Sozialthema ethnisiert, also Zugewanderte ausschließt“, warnt Häusler.
Bilder der Kampagne „AfD nee“ zur hessischen Landtagswahl
Wie keine andere Fraktion überhäuft die AfD die Landesregierung mit Kleinen Anfragen, die die Regierenden beantworten müssen. Das ist das gute Recht der Abgeordneten und könnte als „Fleiß“ gedeutet werden. Bezeichnend ist aber, dass sich viele dieser Anfragen um Kriminalität, Gewalt, Zuwanderung, Islamismus und Linksradikalismus drehen, und fast immer wird auf Nationalitäten Bezug genommen. Fragen wie die nach dem geplanten Abriss eines Seniorenheims in Düsseldorf sind eher die Ausnahme, Fragen wie „Ist man in NRW noch sicher?“ die Regel.
Abschied im Zorn
Dass sich AfD-Funktionäre im Zorn von der Partei abwenden, passiert häufig. Vor Kurzem trat der frühere Sprecher der AfD-Landtagsfraktion und Siegener Ratsherr Michael Schwarzer aus der Partei aus. Die „Westfalenpost“ zitiert Schwarzer so: Die AfD werde inzwischen "maßgeblich geprägt von inkompetenten, charakterlich zweifelhaften, sozial abgehängten und oft randständigen Radikalen, die wenig mehr haben als ihre Wut und ihr oftmals rückwärts gerichtetes Weltbild. Dem WDR sagte Schwarzer: „In zwei Jahren wird die AfD ihre Metarmorphose von der Professoren- zur Pöbelpartei abgeschlossen haben.“
In Umfragen legt die AfD zu
Die AfD hat in NRW rund 5000 Mitglieder. Bei der Landtagswahl 2022 erreichte die Partei nur 5,4 Prozent der Stimmen. Umfragen zufolge könnte sie nun mit besseren Ergebnissen rechnen. Laut dem „NRW-Check“ der Tageszeitungen wäre die AfD im Sommer auf 13 Prozent der Stimmen gekommen. Der „NRW-Trend“ des WDR sah die AfD sogar bei 15 Prozent. Viele der Befragten äußerten sich unzufrieden mit der Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik im Land und im Bund.
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