Bochum. Sarah, Elisabeth und Mark sind Studierende – und Juden. Seit dem Israel-Krieg hat sich ihr Leben verändert. Sie haben Angst und meiden die Uni.

Seit dem 7. Oktober, dem Tag des furchtbaren Angriffs der Hamas-Kämpfer auf Israel, ist für sie nichts mehr wie zuvor. Im Gedanken übertönen die Schüsse, Schreie und Bomben den stillen Alltag der jüdischen Studierenden. „Ich denke jeden Tag daran“, sagt Elisabeth (19), „wir reden in der Familie und in der Gemeinde sehr oft darüber“, sagt die junge Jüdin, die in Bochum studiert und Lehrerin werden will.

Sarah (21), die viele Verwandte in Haifa und Aschkelon hat, eine Stadt nahe der nördlichen Grenze des Gazastreifens, macht sich große Sorgen. „Ich schreibe jeden Tag: Wie geht es euch, was macht ihr?“ Eine Bekannte sei nach dem Terrorangriff nicht mehr aufgetaucht. Was ist mit ihr passiert?

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Sicher fühlen sich beide Studentinnen nicht mehr auf dem Campus. Zu dem Horror in Israel und den Sorgen um Verwandte und Freunde kommt eine zunehmend israelfeindliche und antisemitische Atmosphäre an der Uni und in ihrem täglichen Leben.

Hakenkreuze und Terror-Propaganda

Antisemitische Flugblätter, Aufkleber mit dem Spruch „Free Palestine“ und „From the River to the Sea“ tauchten plötzlich auf – Terror-Propaganda, die nichts anderes bedeutet, als dass Israel ausgelöscht werden müsse. Auch an Wände geschmierte Hakenkreuze sieht Sarah mehr als früher, eines sogar direkt vor ihrer Haustür. „Weiß da jemand, wo ich wohne? Das macht was mit uns“, sagt sie.

„Zuerst passierte gar nichts“, erinnert sie sich an die ersten Tage nach dem Hamas-Angriff. „Dann ging es los, vor allem in den sozialen Medien gab es Hass und Hetze“, erzählt Sarah. Aber auch Freundinnen und Freunde hätten wenig Verständnis gezeigt. Es sei ihnen doch gar nichts passiert.

Den kleinen Davidstern trägt Sarah seither unter der Kleidung. „Ich wurde dauernd darauf angesprochen und beleidigt.“ Doofe Jüdin, blöde Zionistin habe man mir zugerufen. Die Juden seien weiße Kolonialisten, die den Palästinensern das Land stehlen würden. Und da ist sie wieder, die verletzende Verallgemeinerung. Ständig müsse sie sich rechtfertigen. „Ich bin doch nicht die Juden. Ich bin keine Israelitin. Ich bin hier geboren“, sagt sie fassungslos.

Verfolgt auf dem Campus

Eine Begegnung auf dem Campus habe ihr regelrecht Angst gemacht. Zwei junge Männer hätten ihren kleinen Stern bemerkt und sie beschimpft und bis zur Straßenbahn verfolgt. „Ich habe mich irgendwann umgedreht und sie angesprochen: was wollt ihr?“ Als Antwort kam: „Zieh den Davidstern aus!“ Schnell sei sie in die nächste Bahn gesprungen.

„Man spürt die Blicke, wenn man einen Stern trägt“, sagt auch Elisabeth. Sie müsse seit dem Israel-Krieg viel mehr antisemitische Beleidigungen ertragen als zuvor. Auch in ihrem Studium kenne sie Kommilitonen, die keine Sympathie hätten für Juden, sie weiß nicht, warum das so ist. Sie kennt es nicht anders, schon seit der Schulzeit.

Manche zeigten ihren Judenhass erschreckend offen: „Euch sollte es gar nicht geben“, habe ihr jemand in der Bahn an den Kopf geworfen. „Ach, euch gibt es noch?“, war ein anderer Spruch. Eine unbekannte Frau habe ihr mit Blick auf den Stern gesagt: „Warum trägst du das? Das tut man nicht.“ Es passiere überall, immer wieder. Elisabeth trägt den Stern nicht mehr.

„Ich gehe kaum noch an die Uni“

Mark (28) engagiert sich seit Jahren gegen Antisemitismus, nach dem Angriff organisierte er Kundgebungen und Solidaritäts-Veranstaltungen. Vor zwei Jahren gründete er mit einigen Mitstreitern in Bochum den jüdischen Studierendenverband GESH. Zu Beginn waren nur eine Handvoll Leute dabei, heute seien 130 bis 140 in der Whatsapp-Gruppe aktiv. Er wisse von etwa 80 bis 100 jüdischen Studierenden allein an der Ruhr-Uni Bochum. Der Verein will sich abseits des traditionellen Gemeindelebens um die Belange junger Juden kümmern.

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„Ich gehe kaum noch an die Uni“, sagt er. „Ich fühle mich hier nicht mehr sicher, die Angst ist überall.“ Er habe keinen Alltag mehr. Jüdischsein werde gleichgesetzt mit Zionismus, Juden hier verantwortlich gemacht für die Politik in Israel, alte Vorurteile würden aufgewärmt. Viele seiner Kommilitonen seien Muslime, manche teilten die radikalen Ansichten der Hamas, besuchten die Moschee, wo sie erneut judenfeindliche Predigten hören würden. Er habe etwa 30 Verwandte in Israel, jeden Morgen wache er mit den Nachrichten auf und hofft, dass es endet. Was er vermisse, sei Unterstützung und Solidarität mit den jüdischen Menschen hier.

„Wir wollen, dass der Krieg aufhört“

Nicht einmal der Asta der Ruhr-Uni, die Studierendenvertretung, könne sich zu einer Solidaritätsäußerung durchringen, beklagt Mark. Er versteht das nicht. Auch von den Dozenten wünschen sich die Studierenden mehr Aufmerksamkeit für ihre Situation. „Wir würden gerne diskutieren, darüber reden“, sagt Sarah. Auch wenn man verschiedener Meinung sei, das Schweigen sei schlimmer.

Alle wollen, dass der Krieg aufhört, auch das Leid der Menschen im Gazastreifen finden sie unerträglich und verstehen die Kritik am Vorgehen des Militärs. „Wir sind alle für den Frieden“, sagt Mark. „Wir wollen keine zivilen Opfer, wir sind nicht nationalistisch unterwegs.“ Aber der Terror habe die Menschen in Israel tief erschüttert, „es war wie der 11. September 2001 für die Menschen in New York“. Sarah und Elisabeth sehen es ähnlich: „Es sterben unzählige Menschen. Aber es sollten keine Menschen sterben, egal welchen Glauben oder welche Nationalität sie haben. Wir wollen, dass es endet.“

Und nun, wie geht es weiter? „Ich bin sehr nervös“, gesteht Elisabeth. „Am Donnerstag beginnt Hanukka und es kommen viele Menschen zum Feiern zusammen.“ Sie hoffe, dass nichts passiert. Hanukka ist das Fest des Lichts und dauert bis zum 15. Dezember. „Ich freue mich wahnsinnig darauf“, sagt auch Sarah. „Wir kommen alle zusammen, feiern und denken an unsere Angehörigen.“ Hanukka – das ist das Fest der Hoffnung.

Hochschulen solidarisch, neue Beratungsstelle

Die Studierendenvertretungen, die Landesregierung und die Universitätsrektoren versichern den jüdischen Studierenden in NRW ihre Solidarität. Die Landesrektorenkonferenz (LRK) in NRW hat Kenntnis von antisemitischen Vorfällen an NRW, Hochschulen. Das Spektrum reiche von antisemitischen Flugblättern, judenfeindlichen Schmierereien über das Zerreißen israelischer Flaggen, verbalen Angriffen bis hin zur Androhung körperlicher Gewalt und Bombendrohungen.

„An Hochschulen ist kein Platz für Antisemitismus“, betont die LRK. „Wir dulden keine Gewalt, keinen Antisemitismus, keinerlei Ausgrenzung – auch nicht gegen Studierende und Mitarbeitende palästinensischer Herkunft, die sich aktuell ebenfalls Sorgen machen“, heißt es weiter. „Entsprechend haben wir Ansprechpersonen, Anlaufstellen und Gremien an unseren Universitäten sensibilisiert und gezielte Schulungsmaßnahmen in die Wege geleitet“, teilt LRK-Vorsitzender Johannes Wessels, Rektor der Uni Münster, auf Anfrage mit.

Gemeinsam mit dem Land werde kurzfristig eine neue zentrale Stelle eingerichtet, die insbesondere jüdische Studierende, Hochschulmitarbeitende sowie weitere vom Krieg betroffene Studierende Beratung und psychosoziale Hilfe anbieten soll.

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