Bochum. Mark ist 28, Student in Bochum – und jüdisch. Seit dem Terrorangriff der Hamas in Israel und dem Krieg in Gaza erlebt er schlaflose Nächte.

Seine Halskette mit dem Davidstern hat er abgenommen. Wenn Mark auf die vergangenen vier Wochen zurückblickt, auf die Zeit seit dem Terrorangriff der Hamas in Israel vom 7. Oktober 2023, dann sieht er „eine neue Stufe der Unsicherheit, so eine Hilflosigkeit… ich kann das gar nicht in Worte fassen“.

Der 28-Jährige, der in Bochum studiert, ist Jude. Nicht orthodox, aber „traditionsbewusst“, wie er sagt. Seit seiner Jugend engagiert er sich gegen Antisemitismus, seinen Glauben und jüdische Kultur zu leben, ist ihm wichtig. Sichtbar zu sein und Berührungspunkte zur Mehrheitsgesellschaft zu schaffen, auch. Aber aktuell, sagt Mark, ist da „ständig Angst“.

„Du Jude“ als Schimpfwort auf Schulhöfen

Deshalb möchte er auch seinen Nachnamen nicht veröffentlicht wissen. Zu groß ist die Sorge um Familienangehörige, vor Anfeindungen oder gar Übergriffen. Als Jude in Deutschland lerne man früh im Leben, „vorsichtig zu sein“, erzählt er. „Du Jude“ habe er schon als Kind auf dem Schulhof als Schimpfwort gehört. Aber seitdem Israel mit Raketenangriffen und dem Einsatz von Bodentruppen auf den Hamas-Terror reagiert hat, schlägt ihm und jüdischen Bekannten blanke Feindseligkeit entgegen. „Ich habe seit vier Wochen keinen Alltag mehr“, sagt Mark. Jüdischsein werde gleichgesetzt mit Zionismus, Juden hier verantwortlich gemacht für das politische Handeln Israels, alte Stigmata und Vorurteile gegen Juden ausgepackt.

Seit Wochen sei er kaum noch in der Uni gewesen, erzählt er. Viele seiner Kommilitonen seien junge Muslime, viele von ihnen teilten in diesen Tagen Hamas-Propaganda und Hass-Parolen. „Die Juden sind schuld“, dieses Gedankengut werde ohne Deckmantel verbreitet, „da wird sich auf Quellen verlassen, die absolut nicht vertrauenswürdig sind, da ist man so schnell in einer fundamentalistischen Diskussion“, sagt Mark. „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich in dem Moment sicher wäre.“

2021 kam Mark fürs Studium nach Bochum

Mit fünf Jahren war er mit seiner Familie aus Weißrussland nach Deutschland gekommen, als jüdische Kontingentflüchtlinge. Religion, erzählt er, spielte bis dahin für die Familie kaum eine Rolle, in der Sowjetunion konnten seine Eltern „das nicht ausleben“. Angekommen in Mönchengladbach, hatte auch er zunächst „gar keinen Bezugspunkt“ zum Judentum, besuchte in der Grundschule noch den evangelischen Religionsunterricht.

Student Mark im Gespräch mit WAZ-Redakteurin Sarah Kähler.
Student Mark im Gespräch mit WAZ-Redakteurin Sarah Kähler. © FUNKE Foto Services | Jonas Richter

Mit elf, zwölf Jahren sei er in Kontakt mit der jüdischen Gemeinde gekommen, erzählt Mark, „da ging meine jüdische Reise los“. Mit 13 feierte er seine Bar Mizwa, die Religionsmündigkeit, engagierte sich anschließend in jüdischen Jugendzentren. Ab 2014 leistete er, inzwischen deutscher Staatsbürger, freiwilligen Wehrdienst bei der Bundeswehr. 2021 zog er fürs Studium nach Bochum.

Jüdischer Studierendenverband GESH als „safe Space“ für junge Juden in Bochum

Für junge Erwachsene sei die Gemeinde allein nicht so attraktiv, auch junge Christen träfen sich in der Regel ja nicht zum „Chillen in der Kirche“. Deshalb gründete er mit vier Bekannten GESH, den jüdischen Studierendenverband für Bochum und die Umgebung. „Vor zwei Jahren waren wir fünf Leute, dann 20, heute sind in unserer Whatsapp-Gruppe 130 bis 140 Menschen aktiv“, sagt Mark. Der Verband will ein „safe Space“ für junge Juden in Bochum sein, aber auch zeigen: „Wir gehören zum Stadtbild.“

Im Gegensatz zur christlichen und muslimischen Community in Deutschland fehle jüdischen Menschen nach wie vor „die Manpower“: „Es gibt nicht so viele von uns.“ Und jede, jeder einzelne müsse in diesen Tagen doppelt aufpassen: „Der Davidstern kann als Provokation verstanden werden, Hebräisch zu sprechen, kann als Provokation verstanden werden.“

„Wo bin ich als Jüdin sicher?“ Mit dieser Frage ist die junge Frau nicht allein.
„Wo bin ich als Jüdin sicher?“ Mit dieser Frage ist die junge Frau nicht allein. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Erinnern an Reichspogromnacht in Bochum: „Nicht so weit weg“

Er erzählt eine Anekdote, beispielhaft: Am Wochenende habe ihn eine Freundin aus Köln besucht. Vor ihrer Rückfahrt habe sie einen Aufzug im Hauptbahnhof betreten, das Handy am Ohr, sie telefonierte mit einer Freundin. Ein Davidstern auf der Handyhülle habe ausgereicht, dass ein mittelalter Mann sich vor der jungen Frau aufbaute, sie bedrängte und anschrie: „Ihr bringt Kinder in Palästina um!“ Niemand, sagt Mark, sei eingeschritten.

Er will nicht falsch verstanden werden: Man könne Kritik an der israelischen Regierung üben, und zivile Opfer auf allen Seiten seien beklagenswert. Aber es sei Pflicht der Welt, Israel im Kampf gegen den Hamas-Terror zu unterstützen, findet er. Und wer „Free Palestine“ rufe und „From the river to the sea...“, der müsse sich bewusst sein darüber, dass das Hamas-Parolen seien, die im Subtext bedeuteten, dass alle Juden sterben sollen.

Wenn am Donnerstag in der Bochumer Innenstadt an den 85. Jahrestag der Reichspogromnacht erinnert wird (17 Uhr, Harmoniestraße/Ecke Dr.-Ruer-Platz), dann sei das für ihn nicht mehr nur eine Gedenkveranstaltung, sagt Mark. „Das ist nicht weit weg“, sagt Mark. Trotzdem will er dabei sein, in Deutschland bleiben, „in der zweiten Generation hier Wurzeln schlagen“. Sich zu Hause zu verkriechen, fühle sich an, wie aufzugeben. „Nach außen“, sagt er, „möchte ich Stärke zeigen. Aber es kostet enorm viel Kraft.“