Berlin. Nach dem Luftangriff auf zwei entführte Tanklastzüge in Afghanistan hat Bundeskanzlerin Merkel eine umfassende Aufklärung gefordert. Medienberichten zufolge reagieren hochrangige deutsche Militärs inzwischen empört über „offenbar von den USA gezielt gestreute Fehlinformationen“.
Nach dem von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff auf zwei entführte Tanklastzüge in Afghanistan hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine zügige und umfassende Aufklärung gefordert. Gleichzeitig kündigte sie Unterstützung für eine internationale Afghanistan-Konferenz an. Wegen seiner Informationspolitik zu dem Vorfall gerät Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) zunehmend unter Druck.
"Wenn es zivile Opfer gegeben hat, dann werde ich das natürlich zutiefst bedauern», sagte Merkel am Sonntag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem britischen Premierminister Gordon Brown. Zugleich sagte die Kanzlerin den Bundeswehrsoldaten in Afghanistan ihre «politische Unterstützung» zu.
Steinmeier: „Schnellstmöglich und rückhaltlos“ aufklären
Wie Merkel sagte, unterstützten Deutschland, Großbritannien und Frankreich die Einberufung einer internationalen Afghanistan-Konferenz noch in diesem Jahr. Die Konferenz solle klären, in welchem Zeitraum welche Ziele erreicht werden sollen. Die einzelnen Partner müssten wissen, welche Aufträge sie zu erfüllen hätten. So müsse geklärt werden, wieviele Soldaten Afghanistan künftig brauche und wieviele Polizisten ausgebildet werden müssten.
Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte eine rasche Untersuchung des Luftangriffs. Der Vorfall müsse «schnellstmöglich und rückhaltlos» aufgeklärt werden, sagte Steinmeier der «Berliner Zeitung». Es müsse deutlich gemacht werden, dass alles getan werde, um zivile Opfer zu vermeiden.
Verteidigungsminister Jung wegen Informationspolitik in Kritik
Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei warf Verteidigungsminister Jung «absolutes Versagen» vor. Jung unterschätze völlig die politisch-psychologische Wirkung des verheerenden Luftangriffs in Kundus, sagte Nachtwei der «Frankfurter Rundschau». Der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) nannte Jungs Informationspolitik ein «Desaster». Dem «Hamburger Abendblatt» sagte Rühe, es müsse jetzt eine «totale Offenlegung der Entscheidungsprozesse von deutscher Seite» geben. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Ulrike Merten (SPD), sagte dem Berliner «Tagesspiegel», angesichts der Schwere des Vorfalls hätte der Minister «frühzeitig, zeitnah und ausführlich über die Umstände am Hindukusch informieren müssen».
Nach einem Bericht der «Washington Post» soll es bei dem Angriff 125 Tote gegeben haben, von denen zwei Dutzend keine Aufständische seien. Die Zeitung berichtete unter Berufung auf ein Nato-Erkundungsteam, der deutsche Oberst habe den Nato-Angriff auf der Grundlage von nur einer Quelle befohlen. Nach der neuen Nato-Strategie zur Vermeidung ziviler Opfer muss einer solchen Entscheidung demnach immer mehr als eine Quelle zugrunde liegen.
Isaf: Noch keine Ergebnisse übermittelt
Die Nato-Truppe Isaf wies den Bericht zurück. Nato-Experten würden den Vorfall in der nordafghanischen Provinz Kundus derzeit noch untersuchen, sagte Isaf-Sprecher Eric Tremblay. Es seien noch keine Untersuchungsergebnisse übermittelt worden. Auch stehe die Zahl der Opfer noch nicht fest.
Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) verteidigte den Angriff erneut. Es habe klare Hinweise gegeben, dass die Taliban die beiden Tanklastzüge in ihre Gewalt gebracht hätten, um einen Anschlag auf den Bundeswehr-Stützpunkt in Kundus zu verüben, sagte er der «Bild am Sonntag». Es seien «ausschließlich terroristische Taliban getötet worden». Die Bundeswehr beziffert die Zahl der Toten auf «mehr als 50».
Zeitung: Schwere Verstimmungen zwischen Bundeswehr und US-Streitkräften
Der Nato-Angriff auf zwei von Taliban entführte Tanklastzüge mit zahlreichen Toten soll nach einem Zeitungsbericht zu schweren Verstimmungen innerhalb der Internationalen Schutztruppe Isaf geführt haben. Wie die «Neue Osnabrücker Zeitung» berichtet, reagieren hochrangige deutsche Militärs empört über «offenbar von den USA gezielt gestreute Fehlinformationen in einem laufenden Untersuchungsverfahren». Hintergrund sind kritische Stellungnahmen des Nato-Befehlshabers, US-General Stanley McChrystal, und ein Artikel der «Washington Post», in dem schwere Vorwürfe gegen den deutschen Kommandeur des Bundeswehrlagers in Kundus, Oberst Georg Klein, erhoben wurden.
Nach Ansicht deutscher Militärs sei der Bericht der «Washington Post» eine «bodenlose Frechheit». Entgegen des üblichen Verfahrens hatte das siebenköpfige Nato-Untersuchungsteam von US-General McChrystal einem US-Journalisten erlaubt, die Ermittlungen zu verfolgen. «Das stinkt zum Himmel», sagte ein Militär. «Offensichtlich ist Oberst Klein das Bauernopfer, um das deutsche Engagement in Afghanistan zu diskreditieren.»
In den vergangenen Jahren hätten sich zwischen den Verbündeten viele Verstimmungen aufgebaut, nicht zuletzt wegen der oft von deutscher Seite getätigten Kritik an dem militärischen Vorgehen der USA. «Das ist die Retourkutsche», hieß es in deutschen Militärkreisen. Zudem gebe es das Gerücht, dass die USA die Deutschen aus Kundus «herausekeln wollten». (ddp/afp)