Berlin/Kabul. Nach dem Luftangriff in Afghanistan hat Franz Josef Jung im Bundestag Schelte für seine Informationspolitik einstecken müssen. Und auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel konnte er keine Schützenhilfe erwarten. Für die Grünen hat der Verteidigungsminister versagt.
Scharfe Kritik für Verteidigungsminister Franz Josef Jung im Bundestag: Er habe nach dem tödlichen Bombenangriff auf zwei Tanklastzüge in Nordafghanistan die falsche Strategie angewandt, sagte Außenpolitiker Jürgen Trittin. Er hätte sich ein Beispiel an ISAF-Kommandeur Stanley McChrystal nehmen sollen, der mit den Opfer gesprochen und sich entschuldigt habe.
«Entschuldigen, entschädigen und dann untersuchen - das ist die richtige Reihenfolge», sagte Trittin. Doch Jung sei bei der Verteidigung des von der Bundeswehr angeforderten Luftangriffs über das Ziel hinausgeschossen. Er habe die Unwahrheit über den Verlauf des Angriffs gesagt und zivile Opfer so lange wie es ging ausgeschlossen. Seine Strategie laute: «Vertuschen, leugnen, und wenn es gar nicht anders geht, entschuldige ich mich für das, was ich vorher gesagt habe.»
Jung bekam im Bundestag ordentlich Schelte für seine Informationspolitik. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich nach der öffentlichen Aufregung über das Bombardement kurzfristig zu einer Regierungserklärung entschlossen. Ihren Verteidigungsminister erwähnte sie nur in einem Atemzug mit seinen Kollegen aus dem Auswärtigen Amt, dem Innen- und dem Entwicklungsministerium. Alle hätten etwas für den Aufbau in Afghanistan getan, sagte sie.
Mehr Verwirrung als Aufklärung
FDP-Chef Guido Westerwelle lobte den «überzeugenden Inhalt dieser Regierungserklärung» und bescheinigte Merkel: «Hier haben Sie für Deutschland gesprochen.» Die Kanzlerin sei auch deshalb so überzeugend gewesen, weil sie gar nicht den Versuch unternommen habe, den Eindruck zu erwecken, es sei schon alles aufgeklärt. «Es wäre gut, wenn alle Kabinettsmitglieder vorher so gehandelt hätten», sagte Westerwelle. Denn die Informationspolitik habe mehr zur Verwirrung als zur Aufklärung beigetragen.
Auch der Noch-Koalitionspartner SPD kritisierte das Verhalten des Verteidigungsministers. Er habe mehr Informationen an die Zeitungen als an das Parlament gegeben, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, Ulrike Merten. Das könne sich das Parlament nicht gefallen lassen. Und der fraktionslose Abgeordnete Gert Winkelmeier warf Jung vor: «Herr Minister, sie betreiben reine Selbstverteidigung.»
"Wir trauern um jeden Einzelnen"
Merkel räumte zu Beginn ihrer 15-minütigen Regierungserklärung ein, noch immer gebe es widersprüchliche Meldungen über zivile Opfer des Bombardements. Aber sie sagte dann auch ganz klar: «Jeder in Afghanistan unschuldig zu Tode gekommene Mensch ist einer zuviel. Wir trauern um jeden Einzelnen. Jeder unschuldig Verletzte ist einer zu viel.»
Die Kanzlerin nannte eine «lückenlose Aufklärung» eine Selbstverständlichkeit für die Bundesregierung. Sie wolle nichts beschönigen, werde aber Vorverurteilungen auch nicht akzeptieren. «Ich verbitte mir das, und zwar, von wem auch immer, im Inland wie im Ausland.» Am Wochenende hatten EU-Außenminister das Bombardement im Auftrag der Bundeswehr kritisiert.
Auch Folgen von Nichthandeln werden angerechnet
Wegen der «Vorverurteilungen auch im Ausland» hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier in den vergangenen Tagen mit seinen EU-Kollegen telefoniert. Wie zuvor Merkel drang auch Steinmeier im Bundestag darauf, dass es nach der zweiten Präsidentenwahl im Afghanistan einen Einschnitt geben müsse. «Nur ein schlichtes 'Weiter so' kann es dann nicht mehr geben.»
Die Kanzlerin sprach vom «Beginn einer neuen Qualität der Übernahme der eigenen Verantwortung». Zusammen mit Frankreich und Großbritannien hatte sie am Wochenende eine neue internationale Afghanistan-Konferenz vorgeschlagen. Erneut machte sie auch auf die Verantwortlichen vor Ort Druck: Sie müssten Kriminalität, Korruption und Drogenhandel unterbinden.
Gute Regierungsführung, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte müssten umgesetzt werden, forderte die Kanzlerin. Dann könne es eine international abgestimmte Übernahmestrategie geben, und die Bundeswehr könne Afghanistan verlassen. Denjenigen, die wie die Linkspartei einen sofortigen Abzug der deutschen Soldaten forderten, schrieb Merkel ins Stammbuch: «Die Folgen von Nichthandeln werden uns genauso zugerechnet wie die Folgen von Handeln.» (ap)