Kabul/Berlin. Die Nato hat zugegeben, dass bei dem von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff in Afghanistan auch Zivilisten verletzt und getötet wurden. Für Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) sehen Experten angesichts seines Verhaltens nach dem blutigen Zwischenfall keine Zukunft.

Die Nato hat erstmals zugegeben, dass bei dem Luftangriff in Afghanistan auch Zivilisten verletzt und getötet wurden. Die Nato-Truppe Isaf erklärte am Dienstag in Kabul, davon sei nach einer ersten Untersuchung auszugehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte zuvor vor dem Bundestag ihr tiefes Bedauern über mögliche zivile Opfer.

Erste Untersuchungen lassen die Isaf nach eigenen Angaben davon ausgehen, «dass Aufständische, aber auch Zivilisten durch den Luftangriff getötet und verletzt wurden». Die genaue Zahl der zivilen Opfer solle bei einer gründlichen Untersuchung des Vorfalls in der nordafghanischen Provinz Kundus festgestellt werden.

Das Bundesverteidigungsministerium hatte bisher die Zahl von 56 getöteten Taliban bekannt gegeben. Afghanische Stellen sprachen hingegen auch von zivilen Todesopfern. Die Taliban behaupten, mindestens 79 Menschen - ausschließlich Zivilisten - seien bei dem Angriff ums Leben gekommen.

Offenbar kaum Chancen für Jung

Derweil wackelt der Stuhl von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). Auch bei einem Wahlsieg der Union am 27. September wird für den bisherigen Oberbefehlshaber der Streitkräfte selbst nach Einschätzung aus den eigenen Reihen keine ministerielle Zukunft mehr gesehen. Das war am Dienstag aus allen Fraktionen des Bundestages und auch aus der Truppe zu hören. Jung habe sich durch sein heftig kritisiertes Verhalten nach dem blutigen Zwischenfall nahe des Bundeswehrstützpunktes in Kundus «nachhaltig» als «IBuK» -als «Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt» - ohne Fortune erwiesen.

Jung bleibe zwar die zweieinhalb Wochen bis zur Bundestagswahl in «Amt und Würden», aber danach gebe es für ihn auf dem politischen Parkett in Berlin «keine Chance mehr», verlautete aus Parlamentskreisen. Bereits in der Bundestagsdebatte über den Nato-Luftschlag hatte es nicht nur von Seiten der Opposition deutliche Kritik am CDU-Minister gegeben.

Abgeordneter: Merkel hat Jung Wohlwollen entzogen

Bundeskanzlerin Angela Merkel habe Jung nach seiner widersprüchlichen und schlechten Informationspolitik über den «Fall Kundus» ihr Wohlwollen endgültig entzogen, sagte ein CDU-Abgeordneter, der namentlich nicht genannt werden wollte. Das gehe auch aus der Haltung von Merkel hervor, die Afghanistan zur «Chefsache» gemacht und damit Jung das «eigentliche Agieren» am Hindukusch entzogen habe, betonte der Unions-Abgeordnete.

SPD, FDP, Grüne und Linke hatten bereits am Wochenende Jungs Informationspolitik scharf angegriffen. Sein Hin und Her über die Anzahl der Verletzten und über die Frage, ob auch Zivilisten bei dem Bombardement auf die Taliban ums Leben gekommen sind, habe Jung jetzt das «politische Genick gebrochen», wurde ihm am Dienstag von zahlreichen Abgeordneten bescheinigt.

Besonders wird Jung vorgehalten, dass er hartnäckig Verständnis für die Vorhaltungen gegen ihn verweigert und dass er sich bedingungslos vor den deutschen Kommandeur in Kundus, Oberst Georg Klein, stellt. Dieser hatte die US-Luftwaffe angefordert und letztlich auch den Angriffsbefehl erteilt.

In seinem Geheimbericht nach Washington hat indes der Oberkommandierende der internationalen Truppen, US-General Stanley McChrystal, nach ddp-Informationen festgehalten, dass man die «Deutschen an die Kandare nehmen muss, dass es nicht zu solchen Fehleinschätzungen wie in Kundus kommt». Die Bundeswehr hätte mit Bodentruppen gegen die Taliban vorgehen müssen. Die Anforderung von Luftunterstützung durch Oberst Klein sei «falsch gewesen». Die Bundeswehr habe vor dem Wahltermin «nichts riskieren wollen».

In der letzten Woche sah sich Jung in der Kabinettssitzung scharfer Kritik ausgesetzt, als er zugeben musste, dass die Amerikaner erste Soldaten ihrer «Special Forces» auf dem deutschen Stützpunkt Mazar-i- Sharif ohne sein Wissen stationiert haben. Dafür hätte das Einverständnis des Ministers vorliegen müssen, wurde in Parlamentskreisen betont. «Die Amerikaner können doch nicht einfach machen, was sie wollen», meinte ein Abgeordneter.

Aber genau dafür habe Jung durch sein «jetziges unglückliches Lavieren im Zusammenhang mit Kundus den Amerikanern Tür und Tor geöffnet». Jung hätte nach Einschätzung der Parlamentarier sofort nach dem Kundus-Zwischenfall zwar ein «Aufklärungsversprechen geben müssen, aber zunächst nicht mehr». Statt sich über Opferzahlen, die bis jetzt noch nicht genau feststehen, widersprüchlich zu äußern, hätte Jung die «politische Brisanz» erkennen müssen, die in der Bombardierung gesteckt hat, unterstrichen Sicherheitsexperten aus den Bundestagsparteien. Mittlerweile sei nämlich gerade von McChrystal entgegen zu dem früheren Vorgehen der Amerikaner in Afghanistan der Schutz der Bevölkerung zur «Priorität erhoben worden». Jung hätte nicht vorschnell sagen dürfen, es seien keine Zivilisten getroffen worden, was er jetzt wohl korrigieren müsse. Eine solche Informationspolitik sei wegen ihrer «Unglaubwürdigkeit und Unzuverlässigkeit verheerend», wurde von Parlamentariern unterstrichen.

Jung hat auch nach Einschätzung hoher Offiziere durch sein «ungeschicktes Verhalten die Bundeswehr in eine ihrer größten Krisen manövriert». Mit «größtem Bedauern» stellen die Offiziere fest, dass die Bundeswehr jetzt den Vorwürfen vieler Alliierter ausgesetzt sei. «Das haben wir nun wirklich nicht verdient», betonte einer der Generäle. Der Minister habe während seiner ganzen Amtszeit «letztlich nie das Gespür für die Zusammenhänge der Sicherheitspolitik und für die Besonderheiten der Truppe entwickelt». (ddp/afp)