Kundus/Potsdam. Nach dem von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff in Afghanistan hat am Wochenende weiter Unklarheit über die Zahl der Toten und mögliche zivile Opfer geherrscht. Einen Bericht der „Washington Post“, in dem von 125 Toten die Rede war, wies die Bundewehr zurück.
Nach dem von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff in Afghanistan hat am Wochenende weiter Unklarheit über die Zahl der Toten und mögliche zivile Opfer geherrscht. Die „Washington Post“ berichtete unter Berufung auf ein Nato-Erkundungsteam von 125 Toten, mindestens zwei Dutzend davon seien keine Aufständischen. Die Bundeswehr wies den Bericht zurück und sprach weiter von mehr als 50 getöteten Aufständischen.
Wie die US-Zeitung berichtete, befahl der deutsche Oberst den Nato-Angriff auf die zwei von Taliban gekaperten Tanklastwagen zudem auf der Grundlage von nur einer Quelle. Demnach sah er in der Nacht zum Freitag ein Live-Video aus einem US-Kampfjet F-15E, auf dem mehrere Menschen als schwarze Punkte um die Lastwagen herum zu sehen waren. Ob sie Waffen getragen hätten, sei nicht zu erkennen gewesen. Dann habe ein afghanischer Informant bei einem Geheimdienstmitarbeiter angerufen und gesagt, es handele sich um Aufständische. Daraufhin habe der deutsche Oberst befohlen, die Lkw anzugreifen. Nach der neuen Nato-Strategie zur Vermeidung ziviler Opfer muss einer solchen Entscheidung immer mehr als eine Quelle zugrunde liegen.
Ein Sprecher des Einsatzführungskommandos in Potsdam wies den Zeitungsbericht zurück. Die Zahl der Toten erschließe sich ihm nicht, sagte er der Nachrichtenagentur AFP. Zu den genauen Abläufen müsse der Untersuchungsbericht abgewartet werden. Einer Entscheidung über einen Angriff läge indes stets eine «sorgfältige Prüfung» zugrunde. Die Bundeswehr beziffert die Zahl der Toten auf «mehr als 50» und schließt zivile Opfer aus. Nach Angaben der ISAF-Truppe sollten die Ermittlungen am Sonntag beginnen.
Angeblich sechs Zivilisten getötet
Bei dem von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff auf zwei von den Taliban gekaperte Tanklastwagen in Afghanistan sind nach Angaben der Provinzregierung sechs Zivilisten getötet worden, darunter ein Kind. Wie der Gouverneur der Provinz Kundus, Mohammed Omar, am Sonntag der Nachrichtenagentur AFP sagte, kamen bei dem Vorfall am Freitag insgesamt 54 Menschen ums Leben. Davon seien 48 bewaffnet gewesen. Laut Omar wurden 15 Menschen verletzt, darunter zwei Taliban.
Zu der Zahl der Opfer des Nato-Angriffs gibt es unterschiedliche Angaben. Während der afghanische Präsident Hamid Karsai von rund 90 Toten und Verletzten ausgeht, spricht das Innenministerium in Kabul von 56 getöteten Taliban und zehn Verletzten, darunter ein Kind. Nach Bundeswehr-Angaben wurden mehr als 50 Aufständische getötet. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) bekräftigte in der «Bild am Sonntag», dass «ausschließlich terroristische Taliban» getötet worden seien.
Jung weist Kritik an Angriff auf Taliban zurück
Jung hat internationale Kritik an der Bundeswehr wegen des Luftangriffs auf die Taliban in der Nähe von Kundus zurückgewiesen. Der CDU-Politiker sagte der «Bild am Sonntag», er habe «überhaupt kein Verständnis« für jene Stimmen, die ohne Kenntnis der Sachlage und der Hintergründe bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt Kritik an dem militärischen Vorgehen üben. Dies werde nicht den schwierigen Situationen gerecht, in denen die Bundeswehrsoldaten im Einsatz für die Stabilität in Afghanistan und damit im Interesse der Sicherheit in Deutschland Leib und Leben riskierten.
Jung stellte sich erneut hinter den Kommandeur in Kundus. «Durch sehr detaillierte Aufklärung über mehrere Stunden durch unsere Kräfte hatten wir klare Hinweise darauf, dass die Taliban beide Tanklastzüge circa sechs Kilometer von unserem Lager entfernt in ihre Gewalt gebracht haben, um einen Anschlag auf den Stützpunkt unserer Soldaten in Kundus zu verüben», erläuterte der Minister. Wäre ihnen das gelungen, hätte es einen Anschlag mit entsetzlichen Folgen für die Soldaten gegeben. «Deshalb halte ich die Entscheidung des deutschen Kommandeurs vor Ort für richtig», betonte Jung.
Der Minister begrüßte es zugleich, «dass die Nato eine Untersuchung zu den Vorgängen in der Nacht zu Freitag» angeordnet habe. Dies sei «in solchen Fällen üblich», um der Bevölkerung beweisen zu können, «dass Isaf solche Angriffe nur dann vornimmt, wenn dies geboten und verhältnismäßig ist.» Jung sagte: «In diesem konkreten Fall war der Schlag dringend geboten.» Er wies auf die gefährliche Situation für die Bundeswehr in der Region hin. «Wir haben immer darauf hingewiesen, dass wir in einem Radius von etwa 50 Kilometern um Kundus eine besonders gefährliche Situation haben.»
Möglicherweise Kommunikationsproblem
Nach dem tödlichen Luftangriff in der Nähe der afghanischen Stadt Kundus soll untersucht werden, inwieweit Kommunikationsprobleme zwischen Bundeswehrsoldaten und den US-Streitkräften eine Rolle gespielt haben. Die geplante Untersuchung der Militäraktion vom Freitag müsse auch der Frage möglicher Sprachbarrieren zwischen den deutschen Kommandeuren in Kundus und den amerikanischen Piloten der eingesetzten Flugzeuge nachgehen, sagte US-Konteradmiral Gregory Smith, der Sprecher von Nato-Kommandeur Stanley McChrystal.
Es sei noch nicht entschieden, welche Nation die Untersuchung leiten solle. Geplant sei auch die Mitwirkung afghanischer Behördenvertreter.
Nach der Anforderung von Luftunterstützung durch die Bundeswehr traf nach Angaben der Nato zuerst ein amerikanischer B-1-Bomber ein, dessen Besatzung die beiden entführten Tanklastwagen und Dutzende Personen in deren Umgebung sah. Die B-1 musste wegen Treibstoffmangels zu ihrem Stützpunkt zurückkehren. Etwa 20 Minuten später trafen zwei US-Kampfflugzeuge des Typs F-15E ein, deren Besatzung Videoaufnahmen zum deutschen Stützpunkt funkte. Etwa eine halbe Stunde nach der Ankunft der beiden F-15-Maschinen wurden dann Bomben auf die Tanklastzüge geworfen. Die Nachtaufnahmen seien von geringer Qualität gewesen, sagte Smith. «Man kann nur Schatten sehen.» (ap/ddp/afp)