Berlin. Nach dem Luftangriff auf zwei entführte Tanklaster in Afghanistan stützt Medienberichten zufolge jetzt erstmals ein Dokument die Version der Bundeswehr: Afghanische Offizielle gehen davon aus, dass es bei der von einem deutschen Offizier angeforderten Attacke keine zivilen Opfer gab.
Nach dem umstrittenen Luftangriff auf zwei entführte Tanklaster in Nord-Afghanistan stützt laut «Bild» jetzt erstmals ein Dokument die Version der Bundeswehr. Wie die Zeitung am Montag unter Berufung auf einen afghanischen Untersuchungsbericht meldete, gehen afghanische Offizielle davon aus, dass es bei der von einem deutschen Offizier angeforderten Attacke keine zivilen Opfer gab.
In dem an Präsident Hamid Karsai gerichteten Dokument, das unter anderem der Provinz-Gouverneur von Kundus, Mohammad Omar, der Polizei-Chef, der Provinzratsvorsitzende und ein Kommandeur der afghanischen Armee unterzeichneten, heißt es dem Blatt zufolge: «Durch die Explosion wurden 56 bewaffnete Personen getötet und zwölf Personen verletzt.» Einer der Verletzten sei später im Krankenhaus gestorben.
„Tatort weit entfernt von bewohnten Ortschaften“
Über den Ort des Geschehens schreiben die Offiziellen: «Der Tatort befindet sich weit entfernt von bewohnten Ortschaften. Die gefundenen Gegenstände, der Ort und die nächtliche Uhrzeit (02.30 Uhr) lassen den Schluss zu, dass alle Beteiligten den Taliban-Gruppierungen angehören.» Am Tatort gefunden worden seien «zwei verbrannte Traktoren, zwei verbrannte Tanklastzüge, eine verbrannte Leiche, menschliche Überreste, mehrere verbrannte Ak47, dazugehörige verbrannte Magazine.»
Noch vor dem Eintreffen der polizeilichen Untersuchungskommission seien Waffen, Munition und Leichen «durch die Taliban entfernt» worden. Die auf Anordnung von Präsident Karsai gebildete Untersuchungskommission, so der Polizeibericht, sehe es als bewiesen an, dass «alle Getöteten zu den Taliban und ihren Verbündeten gehören.»
Sprecher: Luftangriff war "militärisch richtig"
Das Verteidigungsministerium hat den von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff in Afghanistan verteidigt. Der Luftangriff sei «militärisch notwendig und richtig» gewesen, sagte der Sprecher von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), Thomas Raabe, am Montag in Berlin. Raabe erklärte, es gebe derzeit keine «konsolidierten Erkenntnisse» über zivile Opfer. Nach seinen Worten wurden 56 Taliban getötet.
Raabe erklärte, es habe in der Vergangenheit «ernstzunehmende Warnhinweise» gegeben, dass Anschläge mit einem zu einer Bombe umfunktionierten Lkw gegen das regionale Wiederaufbauteam (PRT) in Kundus oder gegen afghanische Liegenschaften geplant gewesen seien. «Die beiden entführten Lkw wären bestens geeignet gewesen», sagte der Sprecher.
Sprecher zitiert Schreiben an Karsai
Raabe zitierte aus einem Brief unter anderem des Gouverneurs, des Geheimdienstchefs und des Polizeichefs an den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, dass sich am Ort des Geschehens ausschließlich Aufständische aufgehalten hätten. Es habe demnach mehrere Quellen gegeben, die dies vor dem Luftangriff bestätigt hätten.
Der Sprecher präzisierte auch das Geschehen vom Donnerstag und Freitag der vergangenen Woche. So sei dem deutschen Feldlager in Kundus am Donnerstag um 21.12 Uhr Ortszeit von der gemeinsamen afghanischen Operationszentrale gemeldet worden, dass zwei Lkw südlich des PRT entführt worden seien. Einer der Fahrer sei noch an Ort und Stelle ermordet worden.
US-Piloten hätten schwerere Bombe empfohlen
Um 23.14 Uhr seien beide Lkw durch ein US-Flugzeug geortet worden, sagte Raabe. Bildaufnahmen hätten gezeigt, dass «etliche» Menschen Waffen getragen hätten. Nach 15 Minuten Luftaufklärung sei das US-Flugzeug wegen Treibstoffmangels abgezogen worden. Nach weiteren 15 Minuten seien zwei F-15-Flugzeuge gekommen, die das Geschehen weiter beobachteten. Um 01.39 Uhr sei der Luftangriff vom deutschen Kommandeur Oberst Georg Klein angeordnet worden. Zehn Minuten später wurden zwei Bomben abgeworfen, die jeweils 227 Kilogramm schwer gewesen seien. Der Kommandeur sei der Empfehlung der US-Piloten nicht gefolgt, eine wesentlich schwerere Bombe von 900 Kilogramm abzuwerfen.
Das Verteidigungsministerium hatte noch am Freitag erklärt, zwischen Entführung der Lkw und dem Luftangriff hätten nur 40 Minuten gelegen.
Raabe sagte weiter, Jung habe am Sonntag mit dem Oberbefehlshaber der US- und NATO-Truppen in Afghanistan, Stanley McChrystal, telefoniert. Beide seien sich einig gewesen, dass zivile Opfer vermieden werden müssten.
Staatsanwaltschaft Potsdam prüft „Tötungsdelikte“ der Bundeswehr
Nach dem von der Bundeswehr angeforderten Nato-Luftangriff in Afghanistan mit womöglich zivilen Opfern prüft die Staatsanwaltschaft Potsdam, ob gegen den verantwortlichen Oberst wegen fahrlässiger Tötung ermittelt werden muss.
Nach dem von der Bundeswehr angeforderten Nato-Luftangriff in Afghanistan mit womöglich zivilen Opfern prüft die Staatsanwaltschaft Potsdam, ob gegen den verantwortlichen Oberst wegen fahrlässiger Tötung ermittelt werden muss. Die Staatsanwaltschaft Potsdam wird immer dann aktiv, wenn Soldaten im Ausland womöglich in sogenannte strafrechtlich relevante Vorgänge verstrickt sind und etwa Todesopfer unter Zivilisten zu beklagen sind.
Die Staatsanwaltschaft Potsdam ist zuständig, weil dort auch das für alle Auslandseinsätze der Bundeswehr zuständige Einsatzführungskommando angesiedelt ist. Bei dem Verdacht einer Straftat, wie etwa den tödlichen Schüssen eines Soldaten auf eine Frau und zwei Kinder im afghanischen Kundus im vergangenen Jahr, fordern die Staatsanwälte zunächst in einem Rechtshilfeersuchen beim Einsatzführungskommando alles an, was den jeweiligen Sachverhalt aufklären könnte. Dazu zählen Einsatz- und Marschbefehle, Zeugenaussagen oder aufgezeichnete Mitschnitte von Funkverkehr.
Jung fordert „kompetente“ Behörde für Ermittlungen
Die Staatsanwälte prüfen damit, ob gegen einen betroffenen Soldaten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden muss. Rechtliche Grundlage dafür sind die auch im Zivilleben üblichen Paragraphen des Strafgesetzbuches wie etwa zur fahrlässigen Tötung. Die Staatsanwälte ermitteln auch alle entlastenden Tatumstände: Dazu zählt die sogenannte Putativ-Notwehr, wenn etwa ein Soldat irrtümlich glaubte, Kameraden schützen zu müssen oder selbst angegriffen worden zu sein und deshalb auf Zivilisten schoss. Selbst der sogenannte Notwehrexzess ist straflos, wenn der Angegriffene laut Gesetz «aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken» das Maß der zulässigen Abwehr überschritten hat.
Liegt aus Sicht der Potsdamer Strafverfolger ein Anfangsverdacht vor, geben sie den Fall an jene Staatsanwaltschaft ab, an der der betroffene Soldat seinen Dienstsitz hat. Dies entspricht dem sogenannten Wohnsitzprinzip bei Straftaten von Zivilisten, wonach die jeweilige Behörde am Wohnsitz eines Verdächtigen die Ermittlungen übernimmt. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) kritisiert dies und fordert schon länger eine bundesweit zuständige Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft. Begründung: Die «besondere Einsatzsituation» der Soldaten müsse bei solchen Ermittlungen von einer «kompetenten» Behörde berücksichtigt werden. (afp/ap)