Berlin. Der umstrittene Luftangriff auf zwei Tanklaster in Afghanistan bringt Verteidigungsminister Franz Josef Jung immer mehr in Bedrängnis. Doch an Rücktritt denkt er nicht. Kanzlerin Angela Merkel will am Dienstag zu dem Vorfall im Bundestag Stellung nehmen.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung schließt zivile Opfer bei dem umstrittenen Luftangriff auf zwei Tanklaster in Afghanistan nicht mehr aus, denkt aber nicht an Rücktritt. Kanzlerin Angela Merkel will am Dienstag selbst dem Bundestag erklären, was sich bei dem tödlichen Bombardement in der Nähe von Kundus abspielte und wie es in Afghanistan weitergehen soll. Am Montagabend stärkte sie der Bundeswehr demonstrativ den Rücken.

CDU-Politiker Jung verwies am Abend in ARD und ZDF auf die Bedrohungslage, die zu dem Angriff geführt habe. Die Taliban hätten einen Anschlag vor den Bundestagswahlen angekündigt. Deshalb glaube er, dass «diese Schutzmaßnahme im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten geboten gewesen» sei. Ihm liege ein Bericht aus Kundus vor, in dem von 56 Toten und zwölf Verletzten die Rede sei, wobei es sich bei allen um Taliban handeln solle. Es gebe aber auch andere Berichte, deshalb sei man interessiert an einer Aufklärung. Zivile Opfer schloss er nicht mehr aus.

Unterschiedliche Angaben zur Zahl der Toten

Zu Kritik an seiner Informationspolitik sagte Jung, in einer derartigen Bedrohungslage sei es die Pflicht des Verteidigungsministers, an der Seite der Soldaten zu stehen und sich gegen «vorschnelle Vorverurteilungen» zu wehren. Zur Frage, ob er über einen Rücktritt nachdenke, sagte er: «Nein, das sehe ich nicht.»

Am Freitag hatten NATO-Flugzeuge zwei von Taliban gekaperte Tanklaster bombardiert. Laut Verteidigungsministerium gab es eindeutige Informationen, dass vor Ort nur gegnerische Kämpfer und keine Zivilisten waren.

Die afghanische Menschenrechtsorganisation Afghan Rights Monitor berichtete von Hinweisen, dass 60 bis 70 Zivilisten getötet worden seien, darunter nur rund ein Dutzend bewaffnete Taliban. Die Regierung der Provinz Kundus erklärte, unter den insgesamt 70 Todesopfern seien fünf Zivilpersonen gewesen.

Nach ZDF-Informationen hat eine NATO-Untersuchungskommission einen geheimen Berichtsentwurf erarbeitet, der auch dem Verteidigungsministerium vorliege. Darin sei von 90 Toten und Verletzten die Rede, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit seien darunter zahlreiche Zivilisten. Die Zahl der Toten schwanke zwischen 70 und 78.

Kein Datum für Abzug

Bundeskanzlerin Merkel betonte in der ARD, der Angriff müsse aufgeklärt werden. Insgesamt leisteten die deutschen Soldaten dort aber «hervorragende Arbeit unter sehr, sehr schweren Bedingungen». Die Kanzlerin bekräftigte, die afghanische Regierung müsse darauf vorbereitet werden, mehr Verantwortung für die Sicherheit im Land zu übernehmen. In dieser Frage müsse man «in den nächsten fünf Jahren einen massiven Schritt vorankommen. Dies sei auch zu schaffen, wenn die internationale Gemeinschaft den Schwerpunkt verändere.

Neben Merkel will am Dienstag auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Bundestag Stellung nehmen. Steinmeier vermied offene Kritik an Jung oder an dem Angriff. Er versicherte aber nach einem Telefonat mit seinem afghanischen Kollegen Rangin Dadfar Spanta, dass zivile Opfer im Kampf gegen die Taliban unbedingt verhindert werden müssten. Die Opposition kritisierte Jung dagegen offen.

Merkel und Steinmeier wollen sich weiter nicht auf ein Datum für den Abzug der Bundeswehr festlegen. Doch startete Merkel zusammen mit dem britischen Premierminister Gordon Brown eine Initiative, noch dieses Jahr auf einer internationalen Konferenz über die Zukunft des Engagements am Hindukusch zu sprechen. Steinmeier hatte bereits vor zwei Wochen angekündigt, er wolle bei einem Wahlsieg international einen konkreten Fahrplan für den Abzug verhandeln. (ap)