Paris. . Französische Anwälte wie Laurent Gaudon und Philippe Courtois wollen den TÜV Rheinland im Brustimplantate-Skandal zur Kasse bitten. Sie fordern für ihre Mandantinnen Entschädigung, weil der TÜV verpasste den PIP-Implantaten das CE-Siegel zu verleihen. Der wiederum lehnt eine Verantwortung ab.

Der Skandal um Billig-Silikonkissen der französischen Firma PIP („Poly Implant Prothese“) hat ein weiteres juristisches Nachspiel: Das Handelsgericht in Toulon befasst sich am 25. Juli mit einer Entschädigungsklage des Marseiller Rechtsanwaltes Laurent Gaudon. Der Jurist vertritt 20 französische und mehr als 200 ausländische Frauen. Den sprichwörtlichen schwarzen Peter schiebt der Anwalt insbesondere dem TÜV Rheinland zu, weil die Institution den bedenklichen PIP-Kissen das Vertrauen erweckende CE-Gütesiegel verliehen habe. Der TÜV sieht der Anhörung gleichwohl zuversichtlich entgegen.

Sprecher Hartmut Müller-Gerbes erklärte: „Wir haben unsere Arbeit in völliger Übereinstimmung mit den europäischen Richtlinien gemacht und sind selbst Opfer des Betruges durch PIP und die dortigen Verantwortlichen.“

Anwalt Gaudon macht nicht nur seinen eigenen Mandantinnen große Hoffnung. Gebe ihm das Gericht in Toulon Recht, könnten alle Frauen, die PIP-Brustimplantate tragen, mit einer Entschädigung durch den TÜV Rheinland rechnen, sagte er der Zeitung „Le Parisien“. Schätzungsweise haben 500 000 Frauen in mehr als 60 verschiedenen Ländern solche Kissen erhalten. Anwälte beziffern die Schadensersatzforderungen auf insgesamt eine Milliarde Euro.

TÜV Rheinland weist Vorwürfe zurück

Der deutsche Prüfdienstleister mit Zentrale in Köln, einer der größten weltweit, weist die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und Ansprüche seit jeher zurück. PIP-Gründer Jean-Claude Mas (73) habe falsche Unterlagen vorgelegt und sich so das Zertifikat erschlichen, rechtfertigt sich der TÜV. Ein Betrug, den Mas gegenüber den Behörden bereits freimütig zugegeben habe. Seinen Angaben zufolge sollen Mitarbeiter Container mit minderwertigem Silikon immer dann beiseite geschafft haben, wenn Prüfer im Anmarsch waren. Der TÜV Rheinland hat mehrfach betont, sich „konstruktiv an der Aufklärung der kriminellen Machenschaften von PIP“ beteiligen zu wollen. Schon Anfang 2011 hatten die Kölner die südfranzösische Firma wegen Betrugs angezeigt.

Anwalt Gaudon will sich mit dieser Stellungnahme des Kölner Prüfdienstes jedoch nicht zufrieden geben. Er wirft den deutschen Prüfern vor, nicht ungemeldet bei PIP erschienen zu sein. Auch seien die Implantate selbst nicht gründlich geprüft worden.

Mediziner des nationalen britischen Gesundheitsdienstes haben die minderwertigen PIP-Implantate inzwischen gründlich untersucht. In dem vor einem Monat vorgelegten Bericht kommen sie zwar zum Ergebnis, dass sie doppelt so häufig reißen wie die anderer Hersteller. Gleichzeitig heißt es: PIP-Kissen sind nicht gesundheitsgefährdend. Bis dahin bestand der dringende Verdacht, sie können krebserregend sein.

10.000 Frauen in Deutschland betroffen

In Frankreich sind die minderwertigen Silikonkissen auf Anordnung der Aufsichtsbehörde für Medizinprodukte bereits im Frühjahr 2010 vom Markt genommen worden. Im selben Jahr stellte das inzwischen in Konkurs gegangenen Unternehmen seine Produktion ein. Im vergangenen Dezember empfahlen die Behörden, PIP-Kissen vorsorglich wieder herausoperieren zu lassen. Betroffen sind 30.000 Französinnen. 8000 von ihnen sollen die Implantate schon wieder entfernt haben. Die Kosten tragen die Krankenkassen. In Deutschland erhielten etwa 10 000 Frauen solche Kissen.

Jean-Claude Mas hat eingeräumt, anstelle des hochwertigen Silikons amerikanischer Herkunft eine hausgemachte Rezeptur mit einfachem Industriesilikon verwendet zu haben. Letzteres sei sieben Mal billiger gewesen. Für schätzungsweise drei Viertel der PIP-Produktion sei die vom deutschen Großhändler Brenntag angelieferte Billigmasse verwendet worden.

Gegen PIP-Boss Mas wird wegen des Vorwurfs der „fahrlässigen Körperverletzung“ ermittelt. Zuständig ist das Strafgericht in Marseille, bei dem bisher 5000 Klagen anhängig sind. Wann das Verfahren eröffnet wird, steht noch nicht fest.