Kiel. Wegen sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener muss sich am heutigen Dienstag ein Schwimmtrainer der deutschen Olympia-Mannschaft vor Gericht verantworten. Der 40-Jährige soll sich zwischen 2004 und 2006 in 18 Fällen an einer minderjährigen Schwimmerin vergangen haben. Sie tritt im Prozess als Nebenklägerin ab.

Ein Schwimmtrainer der deutschen Olympia-Mannschaft muss sich am heutigen Dienstag wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener vor dem Kieler Amtsgericht verantworten. Der 40 Jahre alte Schwimmtrainer soll sich der Anklage zufolge zwischen August 2004 und März 2006 in 18 Fällen an einer damals minderjährigen Schwimmerin vergangen haben.

Der Prozess beginnt um 9 Uhr. Es sind drei Zeugen geladen. Für das Verfahren vor dem Schöffengericht ist ein Verhandlungstag angesetzt. Gegen den Mann war im August 2009 Anzeige erstattet worden. Im September 2011 erhob die Staatsanwaltschaft Kiel Anklage. Ihm drohen im Falle einer Verurteilung bis zu vier Jahre Haft.

Er war seit 2000 Übungsleiter in Kiel. Zu einem ersten Übergriff kam es laut Anklage im August 2004 bei einem Training auf Kreta. Bis März 2006 soll er das Betreuungsverhältnis ausgenutzt und eine Sportlerin mehrfach zum Sex gezwungen haben. Sie tritt als Nebenklägerin auf.

Vesper fühlt sich von dem Trainer getäuscht

Der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), Michael Vesper, fühlt sich von dem angeklagten Trainer getäuscht. "Wenn uns der Vorfall bekannt gewesen wäre, wäre er nicht mitgenommen worden", sagte Vesper am Samstag und fügte hinzu: "Der Trainer hätte uns über das Verfahren gegen ihn auf jeden Fall informieren müssen."

Der Mann gehörte in London zum Trainerstab der Beckenschwimmer. DOSB-Direktor Vesper habe nach eigenen Angaben am Freitag von dem Fall erfahren. "Wir müssen jetzt abwarten, wie das Gericht entscheiden wird. Ich finde es aber gut, dass die Sache gerichtlich geklärt wird, denn nach meinem Kenntnisstand steht ja Aussage gegen Aussage", sagte Vesper weiter.

Fornoff von Beschuldigungen "völlig überrascht"

"Es ist - auf Deutsch gesagt - zum Kotzen, dass so etwas gerade dann auch noch an einem Tag aufkommt, an dem Thomas Lurz Silber gewinnt", sagte der Generalsekretär des Deutschen Schwimm-Verbands, Jürgen Fornoff. Der DSV ist durch das Debakel der Beckenschwimmer in London ohnehin sportlich gebeutelt. Am Freitagmittag hatte Lurz dem DSV bei seinem zweiten Platz über zehn Kilometer zumindest die einzige Medaille beschert.

Doch dies geriet angesichts der Beschuldigungen völlig in den Hintergrund. "Wir sind davon völlig überrascht worden. Sonst hätten wir uns natürlich im Vorfeld der Olympischen Spiele mit dem Deutschen Olympischen Sportbund abgestimmt, wie man sich hätte verhalten sollen. Er hat ja auch den olympischen Ehrenkodex unterschrieben", sagte Fornoff und fügte hinzu: "Wir haben noch keinen Kontakt zu dem Trainer aufnehmen können. Er ist leider nicht zu erreichen. Erst einmal gilt natürlich die Unschuldsvermutung. Jetzt müssen wir die Verhandlung am Dienstag abwarten."

DSV erfährt erst aus den Medien von den Vorwürfen 

Unterdessen wirft der Informationsfluss zwischen dem DSV und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) Fragen auf. "Ich wollte den DOSB am Freitag darüber informieren, aber die wussten es bereits", sagte DSV-Präsidentin Christa Thiel.

Der DSV wurde am Freitagnachmittag von der "Neuen Osnabrücker Zeitung" über den Sachverhalt in Kenntnis gesetzt. Allerdings wurde Anzeige gegen den nicht vorbestraften Trainer bereits im August 2009 erstattet, seitdem liefen die Ermittlungen. Im September 2011 erhob die Staatsanwaltschaft Kiel Anklage. Im Falle einer Verurteilung droht dem Trainer maximal eine Freiheitsstrafe von vier Jahren. Die junge Frau tritt in dem Prozess als Nebenklägerin auftreten.

Erster Übergriff 2004 auf Kreta

Seit dem Jahr 2000 war der Trainer Übungsleiter in Kiel. Zu einem ersten Übergriff kam es laut Anklageschrift im August 2004 bei einem Training auf Kreta. Bis März 2006 soll der Mann das Betreuungsverhältnis ausgenutzt haben, um die Sportlerin mehrfach zum Sex zu zwingen. Zu physischer Gewalt im Sinne einer Vergewaltigung kam es nach Angaben der Staatsanwaltschaft nicht. Hätte das Betreuungsverhältnis nicht bestanden, wären auch die jetzt erhobenen Vorwürfe strafrechtlich nicht relevant gewesen, heißt es bei der Ermittlungsbehörde.

Der Mann arbeitet mittlerweile für einen Sportverein in Nordrhein-Westfalen. Im Mai wurde er im Zuge der Europameisterschaft im ungarischen Debrecen zum ersten Mal in den Trainerstab des DSV für ein internationales Turnier berufen. In London war er einer von sechs Trainern.

Zweiter Skandal innerhalb weniger Tage

Für das deutsche Olympia-Team ist es bereits der zweite handfeste Skandal binnen weniger Tage. Vor einer Woche erst war die Ruderin Drygalla aus London abgereist. Die Sportlerin hatte das Olympische Dorf in London verlassen, nachdem ihre Beziehung zu einem früheren NPD-Direktkandidaten bekannt geworden war.

Wegen sexuellen Missbrauchs verurteilter Trainer betreut 14-jähriges Mädchen 

Zu dem Missbrauchsfall, der heute in Kiel verhandelt wird, hat sich auch die Kölner Beratungsstelle Zartbitter zu Wort gemeldet. Sie wirft dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) vor, beim Thema Missbrauch den Opferschutz zu vernachlässigen. Der DOSB tue sich offenbar recht schwer, von seinen Mitgliedsorganisationen einen effektiven Schutz vor sexualisierter Gewalt einzufordern, erklärte die Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen am Montag in Köln.

Damit reagierte Zartbitter unter anderem auf die Vorwürfe gegen den Schwimmtrainer. Dieser Fall sei leider kein Einzelfall, erklärte Zartbitter und verwies auch auf einen wegen Misshandlung Schutzbefohlener, sexueller Misshandlung, sexuellem Missbrauch und Körperverletzung verurteilten Eiskunstlauftrainer. Dieser habe nach Ablauf seiner Bewährungsstrafe laut einem Medienbericht einer süddeutschen Zeitung nicht nur Erwachsene, sondern offenbar auch ein 14-jähriges Mädchen trainiert. Und im norddeutschen Raum biete ein zu viereinhalb Jahren Haft verurteilter Sexualstraftäter Karatekurse für Jugendliche an, der auf seiner Homepage eine Liste von namhaften Förderern wie den DOSB, Deutsche Sportjugend, Deutsche Sporthilfe und anderen aufweise, kritisierte Zartbitter.

Zartbitter vermisst konkrete Mindeststandards

Zwar seien die Vereine und Landesverbände rechtlich eigenständig, erklärte Zartbitter. Aber es stelle sich die Frage, ob der "ansonsten so mächtige Deutsche Olympische Sportbund" all seine Möglichkeiten nutze, um seine Mitgliedsorganisationen zu einem wirksamen Kinderschutz zu bewegen beziehungsweise zu verpflichten. Der vom DOSB herausgegebene eigene Handlungsleitfaden sei in zentralen Punkten zu schwammig.

Zartbitter vermisst nach eigenen Worten in dem Handlungsleitfaden des DOSB gänzlich die Angabe konkreter Mindeststandards für einen grenzachtenden Umgang. Antworten auf "klassische Risikofaktoren" des Sports fehlten, beispielweise ein grundsätzliches Verbot, dass Trainer mit Kindern und Jugendlichen in einem Raum schlafen. Auch sollten Kinder und Jugendliche sowohl bei ihrem Eintritt in einen Verein als auch in regelmäßigen Abständen über ihre Rechte aufgeklärt werden.

Funktionierendes Beschwerdemanagement fehlt

Ebenso mangele es in den Handlungsempfehlungen des DOSB an einem Entwurf für ein funktionierendes Beschwerdemanagement, kritisiert Zartbitter weiter. In seinen Überlegungen skizziere der DOSB lediglich verbandsinterne Verfahren. Doch die Möglichkeit für Mädchen und Jungen, sich an externe, vereinsunabhängige Ansprechpartner zu wenden, blende der Sportbund aus. Damit ignoriere er die Vorgabe vom Runden Tisch "Sexueller Missbrauch". (dapd/epd)