Essen/London. Nach der Debatte um Nadja Drygalla überschattet eine weitere Affäre die deutsche Olympia-Teilnahme. Ein Trainer des Deutschen Schwimm-Verbandes muss sich wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs verantworten. Der 40-Jährige gehörte auch in London zum Trainerstab.
Nach der Affäre um Ruderin Nadja Drygalla ist ein weiteres Mitglied der deutschen Olympia-Mannschaft schweren Vorwürfen ausgesetzt. Ein Trainer des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) muss sich ab Dienstag wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener vor dem Schöffengericht in Kiel verantworten. Der 40-Jährige, der bei den Olympischen Spielen zum Trainerstab der Becken-Schwimmer gehörte, soll sich laut Anklage zwischen August 2004 und März 2006 in 18 Fällen an einer damals minderjährigen Schwimmerin vergangen haben.
"Es ist - auf Deutsch gesagt - zum Kotzen, dass so etwas gerade dann auch noch an einem Tag aufkommt, an dem Thomas Lurz Silber gewinnt", sagte DSV-Generalsekretär Jürgen Fornoff der Nachrichtenagentur dapd. Der DSV ist durch das Debakel der Beckenschwimmer in London ohnehin sportlich gebeutelt. Am Freitagmittag hatte Lurz dem DSV bei seinem zweiten Platz über zehn Kilometer zumindest die erste Medaille beschert.
DOSB will Verhandlungen abwarten
Doch dies geriet angesichts der Beschuldigungen völlig in den Hintergrund. "Wir sind davon völlig überrascht worden. Sonst hätten wir uns natürlich im Vorfeld der Olympischen Spiele mit dem Deutschen Olympischen Sportbund abgestimmt, wie man sich hätte verhalten sollen. Er hat ja auch den olympischen Ehrenkodex unterschrieben", sagte Fornoff und fügte hinzu: "Wir haben noch keinen Kontakt zu dem Trainer aufnehmen können. Er ist leider nicht zu erreichen. Erst einmal gilt natürlich die Unschuldsvermutung. Jetzt müssen wir die Verhandlung am Dienstag abwarten."
Unterdessen wirft der Informationsfluss zwischen dem DSV und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) Fragen auf. "Ich wollte den DSV am Freitag darüber informieren, aber die wussten es bereits", sagte DSV-Präsidentin Christa Thiel. Thiel ist zugleich Vize-Präsidentin Leistungssport des DOSB. Sie will nun "Akteneinsicht einfordern, damit wir uns ein eigenes Bild machen können".
Der DSV wurde am Freitagnachmittag von der "Neuen Osnabrücker Zeitung" über den Sachverhalt in Kenntnis gesetzt. Allerdings wurde Anzeige gegen den nicht vorbestraften Trainer bereits im August 2009 erstattet, seitdem liefen die Ermittlungen. Im September 2011 erhob die Staatsanwaltschaft Kiel Anklage.
Im Falle einer Verurteilung droht dem Trainer maximal eine Freiheitsstrafe von vier Jahren. Die junge Frau soll in dem Prozess als Nebenklägerin auftreten. Nach Angaben der "Neuen Osnabrücker Zeitung" war der Angeklagte für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Sein Anwalt habe die Beschuldigungen nicht kommentieren wollen. Bei dem Prozess sind drei Zeugen geladen. Weitere Termine sind nicht angesetzt.
Keine physische Gewalt im Sinne einer Vergewaltigung
Seit dem Jahr 2000 war der Trainer Übungsleiter in Kiel. Zu einem ersten Übergriff kam es laut Anklageschrift im August 2004 bei einem Training auf Kreta. Bis März 2006 soll der Mann das Betreuungsverhältnis ausgenutzt haben, um die Sportlerin mehrfach zum Sex zu zwingen. Zu physischer Gewalt im Sinne einer Vergewaltigung kam es nach Angaben der Staatsanwaltschaft nicht. Hätte das Betreuungsverhältnis nicht bestanden, wären auch die jetzt erhobenen Vorwürfe strafrechtlich nicht relevant gewesen, heißt es bei der Ermittlungsbehörde.
Der Mann arbeitet mittlerweile für einen Sportverein in Nordrhein-Westfalen. Im Mai wurde er im Zuge der Europameisterschaft im ungarischen Debrecen zum ersten Mal in den Trainerstab des DSV für ein internationales Turnier berufen. In London war er einer von sechs Trainern.
Vor einer Woche war die Ruderin Drygalla aus London abgereist. Die Sportlerin hatte das Olympische Dorf in London verlassen, nachdem ihre Beziehung zu einem früheren NPD-Direktkandidaten bekanntgeworden war. Eine wachsende Zahl von Politikern hat die 23-Jährige mittlerweile in Schutz genommen, nachdem sich die Rostockerin klar von rechtsextremem Gedankengut distanziert hatte. (dapd)