Essen. Der Bochumer Kommunikationsexperte Ulrich Sollmann hat für DerWesten den TV-Auftritt der Duellanten ums Kanzleramt analysiert. Fazit: Der SPD-Kandidat wirkte souveräner. Merkel blieb unter ihren Möglichkeiten, weil ihr das Format nicht liegt. Einen echten Sieger gab es dennoch nicht.

Frank-Walter Steinmeier hat mit seinem Auftritt im TV-Duell mit Kanzlerin Angela Merkel einen Überraschungs-Coup gelandet. Ein klarer Punktsieg sei das für den SPD-Kandidaten gewesen – so jedenfalls lautet das Urteil des Bochumer Kommunikationsexperten und Coach Ulrich Sollmann. Er hat für DerWesten den Auftritt Merkels und Steinmeiers analysiert und kommt zu dem Schluss: Der bisher eher bedächtig wirkende Steinmeier – Kritiker nennen seinen Habitus „dröge“ – habe in der Fernsehdebatte deshalb gepunktet, weil er souveräner herüberkam als die Kanzlerin. Er habe die TV-Bühne und die Chance, die sie ihm bot, nahezu perfekt für sich genutzt.

Nie die Kanzlerin direkt attackiert

Punkt 1: Taktisch klug etwa sei gewesen, dass Steinmeier die Kanzlerin selten direkt attackiert hat, sondern zum Teil mit ihr zusammen gegen die Moderatoren agiert und dabei seine Argumente trotzdem deutlich gemacht hat. Merkels Schwäche war, so Sollmann, ihre übliche: Wenn sie nicht direkt angesprochen wurde, habe sie ihr Gesicht nicht im Griff gehabt. In den Momenten etwa, wenn die Kamera sie einfing als Steinmeier redete, zeigte sie häufig Gesten des Unmuts, verzog den Mund oder schüttelte den Kopf. Nach Ansicht von Medienprofi Sollmann kostet das Punkte, weil solch Verhalten nicht souverän wirkt.

Punkt 2 in der Minusliste der Kanzlerin: In Fällen, in denen sie von Moderatoren unterbrochen wurde, habe sie zu häufig mit Sätzen reagiert wie „Jetzt lassen sich mich doch mal ausreden.“ Auch das wirke eher unsouverän. Steinmeier dagegen habe in diesen Fällen ganz anders gehandelt: Er habe meistens seinen Satz zu Ende gesprochen und sei dann offensiv auf den Einwurf des Moderators eingegangen. Das signalisiere Sicherheit und innere Stärke, so Sollmann.

Punkt 3: Merkel stand allzu sehr in Kontakt mit den Moderatoren – Steinmeier habe sie sich nur selten zugewandt, so Sollmann. Das könnte damit zusammenhängen, dass sie allgemein Skrupel habe, ihren Außenminister, mit dem sie vier Jahre lang zusammengearbeitet hat, direkt zu attackieren. Das tut sie auch im Wahlkampf fast nie. Steinmeier dagegen habe „das Studio ausgefüllt“, so Sollmann. Er sprach weniger zu den Moderatoren als zum gesamten Publikum.

"Wir müssen einen Weg finden ..."

Punkt 4: Merkel habe häufig die Redewendung „wir müssen einen Weg finden“ benutzt – das sei für eine Kanzlerin, die seit vier Jahren regiere und Entscheidungen gefällt hat, zu schwach, findet der Kommunikationsprofi. Steinmeier dagegen habe seine Sätze häufig mit „ich fordere“, ich werde“ dies oder jenes tun eingeleitet – was wiederum ein Versprechen suggeriere.

Punkt 5: In der Debatte um die Folgen und notwendigen Konsequenzen der Finanzkrise und andere Themen habe Merkel nach Ansicht des Kommunikationsexperten zu häufig auf die Notwendigkeit internationaler Absprachen .verwiesen. Das mag angesichts der Komplexität der Thematik durchaus richtig sein. Für den Zuschauer eindeutiger sei jedoch Steinmeiers wiederholter Bezug auf die „soziale Gerechtigkeit“ als Richtschnur seiner Forderungen gewesen.

Keine Bühne für Merkel

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© AFP

Fazit: Das TV-Duell, so Sollmann, sei letztlich keine gute Bühne für Merkel. Der Rahmen liege ihr ganz offensichtlich gar nicht. Ihre Stärke sei der direkte Dialog, wie sie in der Wahl-Arena bewiesen habe: Im direkten Gespräch mit den fragenden Bürgern sei sie souveräner gewesen als im TV-Duell. In solchen kleinen Gesprächsformationen sei sie witzig, charmant, humorvoll. In hochoffziösen Runden wie jetzt im TV-Duell verfalle sie zu oft in eine steife Rhetorik. Sie wirke zu gestelzt.

Steinmeier wiederum, der laut Umfragen weit abgeschlagen liegt, habe die Chance genutzt, um mit dem Vorurteil zu brechen, er sei ein allzu bürokratischer Verwaltungsfachmann. Der Tipp vom Kommunikationscoach an ihn: Diese Linie fortsetzen – es gibt nichts zu verlieren. Angesichts der schlechten Prognosen für seine Partei könne Steinmeier frei agieren, er müsse die jetzt gefundene offensive Linie fortsetzen. Für Merkel lautet der Tipp des Coachs: Sie solle den Duell-Abend schnell aus ihrem Gedächtnis streichen und ihre bisherige, eher präsidiale Linie, die weitgehend auf laute Töne verzichtet und mit der sie ja erfolgreich war, fortsetzen.

Insgesamt fand Kommunikationsexperte Sollmann an dem Abend die Zahl der Moderatoren störend: Vier seien schlicht zuviel, da könne sich kaum eine Fragestrategie entwickeln. Dass die Moderatoren die Antworten der beiden Duellanten häufiger unterbrochen haben, sei wohl Taktik gewesen: Offensichtlich habe man Steinmeier und Merkel, denen man im Vorfeld nachsagte, sie würden sich nur mit Wattebäuschen bewerfen, „unter Dampf“ setzen wollen, um den Abend spannender zu gestalten. So richtig gelungen ist das aber eher nicht.

Überrascht waren die Zuschauer allenfalls von Steinmeiers Auftritt: 51 Prozent der Befragten gaben in einer ZDF-Umfrage an, der Herausforderer sei besser gewesen als erwartet. 47 Prozent gaben an, ihre Meinung über Steinmeier habe sich gebessert. Vor allem bei den Wechselwählern hat sich die Zahl derer erhöht, die ihn sich als Kanzler vorstellen können. Insgesamt aber konnte der SPD-Kandidat nur leichte Vorteile aus dem Überraschungscoup ziehen: Die Frage, wer denn nun das Duell gewonnen habe, stimmten 31 Prozent für ihn und 28 Prozent für Merkel – und der große Rest war der Meinung, das Duell habe nichts verändert. Und das wiederum würde bedeuten: Merkel bleibt eindeutig Spitzenreiterin.

Merkel und Steinmeier im Charisma-Check