Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Herausforderer Frank-Walter Steinmeier (SPD) haben auch bei ihrem mit Spannung erwarteten Fernsehduell auf gegenseitige Attacken verzichtet. Und beide hoben am Sonntagabend die Arbeit der jetzigen Regierung hervor.

SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier hat seinen Anspruch auf das Kanzleramt bekräftigt. Auf die Frage, warum er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ablösen will, sagte Steinmeier am Sonntagabend beim TV-Duell in Berlin, «Weil es eine bessere Alternative gibt: nämlich mich.» Bei der Bundestagswahl gehe es um eine Richtungsentscheidung. Merkel sei «Kandidatin für Schwarz-Gelb, da gibt es Unterschiede», betonte der Vizekanzler. Merkel wollte die Frage, warum Steinmeier der schlechtere Kanzler wäre, nicht direkt beantworten.

Merkel und Steinmeier stellten der Arbeit der großen Koalition zugleich ein gutes Zeugnis aus. Beide Seiten hätten «ordentlich zusammengearbeitet» und vieles erreicht, sagte der SPD-Kanzlerkandidat. Manches habe man in der Krise vielleicht nur erreichen können, weil es die große Koalition gebe. Die Koalition sei aber unter ihren Möglichkeiten geblieben, etwa bei den Mindestlöhnen und der Begrenzung der Managergehälter. Er wolle als Kanzler dafür sorgen, dass es einen sozialen Ausgleich, zukunftsfähige Arbeitsplätze und keine Rückkehr zur Atomkraft gebe.

Uneinigkeit bei Mindestlöhnen

Auch Merkel sagte, dass die große Koalition «gut gearbeitet habe». «Unter meiner Führung», fügte die CDU-Chefin hinzu. So sei die Zahl der Arbeitslosen von mehr als fünf Millionen auf zeitweilig unter drei Millionen gesunken. Manches könne man aber entschlossener angehen, deshalb werbe sie für eine neue Regierung. Steinmeier sagte mit Blick auf die gesunkenen Arbeitslosenzahlen, dies sei nicht «einfach vom Himmel gefallen», sondern auch Ergebnis der Maßnahmen, die unter Rot-Grün getroffen worden seien.

Merkel lehnt flächendeckend einheitliche Mindestlöhne in Deutschland ab. Es bestehe dann die Gefahr von Arbeitsplatzverlusten, sagte Merkel im TV-Duell. Die Kanzlerin verwies zugleich auf die von der großen Koalition beschlossenen Neuregelungen für Branchen-Mindestlöhne. Merkel warnte zudem vor Lohndrückerei durch einen Mindestlohn von beispielsweise 7,50 Euro, wenn es in bestimmten Branchen höhere Löhne gebe.

Steinmeier sprach sich klar für Mindestlöhne aus. Es gelte, die «Lohnspirale nach unten« aufzuhalten. Dadurch sei die »Würde von Arbeit bedroht«. Billigstlöhne stellten außerdem die »Basis für Armut im Alter« dar. Soziale Gerechtigkeit sei ein Ziel, »auf das wir immer neu hinarbeiten müssen», fügte Steinmeier hinzu. In 20 von 27 EU-Ländern gebe es einheitliche Mindestlöhne. In Frankreich und Großbritannien etwa habe kein Arbeitsplatzverlust stattgefunden. Merkel hielt dem entgegen, in Deutschland seien die Tarifparteien stärker als in den meisten Ländern.

Merkel verteidigt Atomenergie

Angesichts der massiven Kritik an der Atomkraft hat Bundeskanzlerin Merkel die Kernenergie als «Brückentechnologie» verteidigt. Die Energieversorgung in Deutschland müsse umweltverträglich und sicher sein, hob Merkel beim TV-Duell mit SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier am Sonntagabend hervor. Eine Zeit lang sei Kernenergie noch nötig. Energie müsse effizienter werden. Zudem müssten die Energiepreise akzeptabel sein. Daher sei die Atomkraft eine «Brückentechnologie, bis wir durch erneuerbare, rentable Energien den Umstieg schaffen».

Steinmeier kritisierte diese Haltung der Kanzlerin und der Union. Er verwies auf die Pannen im Atomkraftwerk Krümmel nahe Hamburg sowie auf die in Salzlauge schwimmenden Fässer im maroden Atommülllager Asse. «Das ist alles der falsche Weg», hob er hervor und fügte hinzu: «Es muss beim Atomausstieg bleiben.» Die große Mehrheit der Bevölkerung lehne die Atomenergie ab. Zudem sei eine Abkehr vom Atomausstieg auch politisch der falsche Weg. Investitionen in erneuerbare Energien würden so abbrechen «und der hoffnungsvolle Weg mit vielen neuen Jobs» würde zum Abschluss kommen.

Beide sehen Opel-Zukunft optimistisch

Einigkeite herrschte wieder beim Thema Opel: Merkel und Steinmeier sehen die Zukunft des Autobauers optimistisch. «Hier ist einem Unternehmen, das tolle Autos baut, eine Chance gegeben worden», sagte Merkel am Sonntagabend im Fernsehduell. Steinmeier erklärte, er sei zuversichtlich. Die vier deutschen Standorte blieben erhalten und die meisten Arbeitsplätze auch.

Merkel sagte, die Staatsgelder für Opel seien Kredite und Bürgschaften, von denen man annehme, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit gering sei. Zugleich kritisierte sie den Vertreter der Bundesregierung im Treuhand-Beirat bei Opel für sein Nein zum Verkauf an die Magna-Gruppe. Dieser Experte habe seine Aufgabe falsch verstanden. Der Treuhänder hätte die Meinung der Regierung vertreten sollen.

20 Millionen Zuschauer wollten zusehen

CDU-Chefin und SPD-Spitzenkandidat wurden rund eineinhalb stunden lang von vier Moderatoren von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 im Studio Berlin-Adlershof interviewt. Die Sendung wurde in den vier Sendern live übertragen. Rund 20 Millionen Menschen - mehr als die Hälfte aller Zuschauer - wollten die Sendung sehen. Studentenvertretungen, Zeitungen, Bildungseinrichtungen luden zu Public Viewings ein.

Auch 2005 saßen fast 21 Millionen Zuschauer vor den Bildschirmen, als Merkel gegen Kanzler Gerhard Schröder antrat. Demoskopen glauben, dass Schröders Auftritt Merkel damals die schwarz-gelbe Mehrheit gekostet haben könnte. Nach Angaben von Forsa-Chef Manfred Güllner gelang es Schröder damals, 2,5 Millionen unentschlossene SPD-Wähler zu mobilisieren. Die schwarz-gelbe Mehrheit war danach dahin, zunächst in den Umfragen, zwei Wochen später auch bei der Bundestagswahl.

Einfluss auf unentschiedene Wähler

Ob das Fernsehduell am Ende die diesjährige Wahl am 27. September entscheiden kann, ist umstritten. Als sicher gilt jedoch, dass ein gelungener Auftritt vor allem unentschiedene Wähler beeinflusst. Und davon gibt es zwei Wochen vor der Wahl noch viele. In einer Forsa-Umfrage für «Stern» und RTL gaben vergangene Woche 56 Prozent der Zuschauer an, das Duell habe zumindest einen gewissen Einfluss auf ihre Wahlentscheidung. Elf Prozent maßen der Sendung große, zwei Prozent sogar sehr große Bedeutung zu.

Anders als 2002 und 2005, als die Parteien starre Regeln durchgesetzt hatten, sollte es diesmal lockerer zugehen. Die Kandidaten standen, die Moderatoren auch. Die erste Frage war für Steinmeier vorgesehen, das letzte Wort soll Merkel haben. Bislang haben Merkel und Steinmeier direkte persönliche Attacken vermieden.

Westerwelle wäre auch gern dabei gewesen

FDP-Chef Guido Westerwelle protestierte in der «Bild am Sonntag» erneut gegen die Beschränkung auf die beiden Spitzenkandidaten. «Es widerspricht dem Geist unseres Grundgesetzes, wenn die Opposition, die für knapp 40 Prozent der Wähler spricht, bei der wichtigsten Fernsehsendung des Bundestagswahlkampfes ausgesperrt wird. Das ist inakzeptabel, undemokratisch und unfair.» (ddp/ap/afp)