London. In Großbritannien rätselt man über den deutschen Wahlkampf. Merkels Beliebtheit versteht man nicht, vermerkt aber anerkennend ihre „langweilige Kompetenz”.
Die Deutschen führen „Europas langweiligsten Wahlkampf”, lästern die Briten. Und wo keine Funken sprühen, fachen sie als Liebhaber der rigorosen Debatte die Glut eben selber an: Mit ihrem Schmusekurs, so ätzen sie, drückten die Teutonen sich vor ihrer Pflicht, Politik zu hinterfragen.
Blair und die Schminke
Für die Briten ist der deutsche Wahlkampf ein unerklärliches Phänomen: In Merkels Amtszeit, so notieren Londoner Journalisten, sei die Mehrwertsteuer erhöht worden, würden deutsche Soldaten im unpopulären Afghanistankrieg fallen und gebe es trotz des Aufschwungs über drei Millionen Arbeitslose. „Nach normalen Maßstäben müsste die Kanzlerin die Wahl verlieren”, heißt es verdutzt. Denn: Was in Großbritannien längst Skandale mit saftigem Schlagabtausch provoziert hätte, löst jenseits des Ärmelkanals nur „German Lethargie” aus.
„Die Deutschen schlafwandeln zur Wahlurne, weil ihnen kein Thema diskussionswürdig erscheint”, kritisierte die Tageszeitung Guardian vergangene Woche. „Deutschland wird jedoch zum Problem für sich und andere, wo es aufhört, politische Entscheidungen zu hinterfragen.” Auf der Insel hatte zuletzt die Causa Opel für Verstimmung gesorgt: Eine Garantie für deutsche Werksstandorte könnte Tausende englische Arbeiter bei der Opel-Schwester Vauxhall den Job kosten.
Doch auch jenseits aller Eigeninteressen ist man perplex über so viel Wählerkonsens in so schwierigen Zeiten: „Fragen der Atomenergie und Steuerreform thematisieren die Deutschen nicht groß.” Des Rätsels Lösung liegt für viele Briten bei „Frau Fortunate” (Frau Schwein-Gehabt), der Kanzlerin. Günstige Umstände und ein glückliches Händchen bescheinigen ihr die Kommentatoren auf der Insel, wenn auch Merkel letztlich für sie ein Mysterium bleibt. „Undurchschaubar” sei sie, „diskret”, „blickdicht”, passe aber mit ihrer Ernsthaftigkeit gut zu den Deutschen. Auf Pressefotos wird in diesen Tagen ihr „Fjord-artiges” Dekolleté beim Opernbesuch wieder aus den Archiven gekramt und lobend vermerkt, dass sie „weniger Schminke trägt als Tony Blair”.
Schlämmers Versprechen
Das Fazit jedoch bleibt so ambivalent wie der ganze Blick auf die Teutonen. „Wenn Nationen die Regierung bekommen, die sie verdienen, dann passt Merkel nach Deutschland”, schreibt eine Zeitung, „langweilig und kompetent – und das ist nicht bös gemeint.” Es erkläre aber, warum die Deutschen so zufrieden seien und selbst den öden Wahlkampf erduldeten. Ein bisschen Neid schwingt bei solchen Sätzen natürlich auch mit: Dass Deutschland früher und leichter aus der Wirtschaftskrise kommt, ist den Briten nicht entgangen.
Die meiste Aufmerksamkeit bekommt im Comedy-Königreich naturgemäß Spaßkandidat Horst Schlämmer. „Seine Wahlkampfversprechen mögen albern klingen”, schreibt ein Blatt, „aber nicht unplausibler als Steinmeiers Versprechen, vier Millionen neue Jobs zu schaffen.” In England ist Kerkeling eine treffende Persiflage auf das große Gähnen, das Deutschland erfasst hat. Zufrieden wird vermerkt, dass wenigstens auch die Wähler Horst Schlämmer mögen – der deutsche Sinn für Humor ist also noch nicht ganz verloren.