Essen. In den Town Hall-Meetings haben sich die beiden Kanzlerkandidaten den Fragen der Bürger gestellt. Doch wer sich die Sendungen angeguckt hat, konnte viel mehr mitnehmen als nur die Antworten von Merkel und Steinmeier. Eine Analyse von Mimik und Gestik der beiden Kandidaten.
Politiker überzeugen nicht nur durch ihre fachliche Kompetenz, sondern auch durch Gestik und Mimik, durch ihre gesamte Ausstrahlung. Bei den „Town Hall-Meetings“ mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier konnte man deutliche Verhaltensunterschiede zwischen den beiden feststellen.
„Steinmeier ist sehr pastoral aufgetreten“, erläutert Ulrich Sollmann. Der Experte für Kommunikation und Körpersprache beschäftigt sich seit 15 Jahren mit dem Auftreten von Politikern.
Steinmeier eher Diplomat als Wahlkämpfer
Zu Beginn der Diskussionsrunde stand Steinmeier leger wirkend aber doch angespannt hinter seinem Pult, erst mit der Zeit wurde er lockerer. Dann verließ er auch das Pult und ging auf die Menschen zu. „Ein deutliches Zeichen, dass er sich gut fühlte“, beschreibt Sollmann, „doch wenn es für ihn brenzlig wurde, stand er ganz schnell wieder hinter seinem Pult.“
Ein Zeichen für Unsicherheit hat Sollmann in den Verzögerungen in Steinmeiers Sprachstil ausgemacht. Im Fernsehen musste Steinmeier vor vielen für ihn unsichtbaren Zuschauern sprechen und darüber hinaus noch auf unbekannte, unerwartete Fragen reagieren. Die Kurnaz-Frage war zudem ein wirklicher Angriff auf ihn als Person, was andere Menschen unter Stress gesetzt hätte. In dieser Situation sei er in seine alte Rolle als diplomatischer Außenminister zurückgefallen statt den offensiven Wahlkämpfer zu spielen.
Die Kandidaten sind keine Charismatiker
„Die Rolle liegt ihm einfach mehr. Es ist Teil seiner Persönlichkeit, in brenzligen Situationen eher noch einmal nachzudenken, statt drauflos zu poltern“, sagt Sollmann. Die betont langsame, von Verzögerungen geprägte Sprechweise mache es aber für den Zuschauer sehr viel schwieriger, „auf den Zug aufzuspringen.“
Genau wie Frank-Walter Steinmeier ist auch Angela Merkel keine geborene Charismatikerin. Im „Town Hall-Meeting“ am Montagabend merkte man ihr den Druck an, unter dem sie steht. „Merkel hat Probleme, die Komplexität von Themen rüberzubringen“, erklärt Sollmann, „sie ist sehr gut, wenn sie in der Mutti-Rolle kleine, konkrete Zusammenhänge erklären kann.“
Merkel hat die Männer im Griff
Unter Stress neige Merkel dazu, sich zurückzuziehen. Das zeigte sich in der Sendung, als eine junge Frau die Kanzlerin mit einer Frage zu Atomkraftwerken konfrontierte. „Zu dieser Thematik gibt es zwei unterschiedliche Überzeugungen“, antwortete Merkel trotzig – und damit war die Frage für sie erledigt. „Wenn sie sich angegriffen fühlt, lässt sich Merkel ganz bewusst nicht auf die Themen ein. Sie reagiert dann regelrecht trotzig“, beschreibt Sollmann das Verhalten.
Positiv beschreibt er Merkels Entwicklung in ihrer Laufbahn: „Früher hat sie sich von den Männern in der CDU hin- und herschieben lassen. Jetzt hat sie gelernt, die Männer im Griff zu halten.“ Das könne sie gut, weil sie großen Wert auf ihre Autonomie lege und aufpasse, dass sie die Kontrolle über eine Situation behält.
"Beide sehen ihren Gesprächspartnern ins Auge"
Beiden Kandidaten bescheinigt Sollmann aber große Kompetenzen im Umgang mit den Zuschauern. „Sie schaffen es, auf die Menschen zuzugehen und sehen ihren Gesprächspartnern direkt ins Auge“, erklärt er. Das verschaffe jedem auf seine Weise einen guten Kontakt zu den Menschen.
Gerade deshalb seien beide darauf angewiesen, durch die Fernseh-Auftritte ihren „Fanclub“ zu erweitern. Sprich: Sie hoffen darauf, dass ihre Anhänger nach den Auftritten Werbung für sie machen. „Um selbst neue Wähler anzusprechen, fehlt den beiden Kandidaten das Charisma“, sagt Sollmann.
Sollmann hat bei beiden Verhaltensmuster festgestellt, die darauf hinweisen, dass sie unter Stress stehen. „Wenn sie unter Stress steht, faltet Merkel ihre Hände vor dem Bauch. Steinmeier kratzt dann sich an der Nase.“