Witten. Auf dem Weg zu Patientin in Atemnot: Wittener Arzt streitet mit Kreis über Verwarngeld. Der Fall hat nun bundesweite Aufmerksamkeit.

  • Eine Palliativkrankenschwester ist auf dem Weg zu einer Patientin in Witten geblitzt worden
  • Der EN-Kreis meint, dass sie nicht schnell genug fuhr, damit die Strafe fallen gelassen werden könnte
  • Satire-Sendung „Extra 3“ hat sich des Falls angenommen

Wie schnell darf - oder muss - jemand Auto fahren, der zu einem medizinischen Notfall unterwegs ist? Um diese Frage dreht sich ein Streit zwischen dem Wittener Palliativmediziner Matthias Thöns und der Bußgeldstelle des EN-Kreises. Der Fall ist so kurios, dass er es auch schon in die TV-Satire-Sendung „Extra 3“ geschafft hat - in der Rubrik „Realer Irrsinn“.

Doch von vorne. Ende September 2024 wurde eine Mitarbeiterin von Thöns zu einem Notfalleinsatz bei einer todkranken Patientin gerufen, die an Lungenkrebs leidet. „Sie hatte starke Atemnot, war verzweifelt wegen dieser Erstickungsangst“, schildert der Arzt. Das Palliativnetz Witten versorgt sterbende Menschen in ihrer häuslichen Umgebung. „Dabei werden nahezu täglich dringende Hausbesuche fällig, um bei quälenden Symptomen wie etwa Tumorschmerzen, Erstickungsanfällen oder Darmverschluss Hilfe und Beistand zu geben“, so Thöns.

Palliativ-Krankenschwester wird in der 30er-Zone geblitzt

Auf dem Weg zu der Patientin in Not wurde die Palliativ-Krankenschwester an der Kreisstraße geblitzt - eine 30er-Zone - mit acht km/h zu viel. Da das Auto als Einsatzfahrzeug auf Matthias Thöns zugelassen ist, bekam dieser kurz darauf den entsprechenden Strafzettel zugeschickt. 30 Euro Verwarngeld sollte er für die Geschwindigkeitsübertretung zahlen. Was er aber nicht einsah.

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Er legte Widerspruch ein und berief sich auf einen „rechtfertigenden Notstand“. „Wenn ein Arzt Nothilfe leistet, darf er auch hier und da mal die Gesetze übertreten, um Menschen zu helfen“, so der 62-Jährige. Doch der Kreis ließ das nicht gelten: „Nach aktuellem Stand sind keinerlei Gründe ersichtlich, warum das Verwarngeld nicht bezahlt werden müsste.“ Die Begründung lässt aufhorchen.

Thöns Witten Dreh für Extra3
Der Wittener Palliativmediziner Matthias Thöns beim Dreh mit dem Team der Sendung „Extra 3“ an der Kreisstraße. Er will ein Verwarngeld für überhöhte Geschwindigkeit nicht zahlen. Denn geblitzt wurde ein Auto auf dem Weg zu einer Patientin mit Atemnot. © Matthias Thöns | Matthias Thöns

Nicht schnell genug

Der EN-Kreis argumentiert mit dem Oberlandesgericht. Laut dessen Rechtssprechung könne „die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit mit dem Ziel, einen akut erkrankten Patienten erste Hilfe zu leisten [...], gerechtfertigt sein.“ Dies setze aber voraus, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung überhaupt zu einem messbaren Zeitgewinn führe. „Das liegt bei einer Übertretung von acht km/h nicht vor“, schreibt der EN-Kreis weiter.

„Diese Logik, dass eine Strafe dann erlassen wird, wenn man viel zu schnell fährt, aber nicht, wenn man nur wenig zu schnell fährt, ist doch absurd“, sagt Thöns. „Das macht mich sprachlos.“ Außerdem hätte das Auto ja auch gerade beschleunigen können. Auf Anfrage verweist der Kreis noch auf einen anderen Aspekt: Es dürfe keine Alternative zu einer privaten Rettungsfahrt vorliegen. Eine solche Alternative wäre über die 112 einen Notarzt zu alarmieren.

Palliativ-Patienten wünschen meist keinen Notarzt-Einsatz

Aus Sicht von Thöns ist das in seinem Fall aber kein Argument. Für solche Fälle gebe es keine anderen Hilfsstrukturen. Zum einen sei der Notarztdienst mit den auftretenden Situationen oft überfordert. Gleichzeitig laufen solche Einsätze fast immer auf eine Krankenhauseinweisung hinaus. „Und genau das wollen die meisten unserer Patienten ja nicht, sie wollen zuhause sterben.“

Todkranke Menschen möchten ihre letzten Wochen oft gerne zu Hause verbringen. Dabei unterstützt sie das Palliativnetz Witten.
Todkranke Menschen möchten ihre letzten Wochen oft gerne zu Hause verbringen. Dabei unterstützt sie das Palliativnetz Witten. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Mittlerweile hat der EN-Kreis auch die Fahrerin des Wagens ermittelt und ihr direkt den Verwarngeldbescheid zugesandt. „Natürlich wird meine Mitarbeiterin die gleiche Begründung einreichen“, sagt Thöns. Ob sie Gehör bei der Bußgeldstelle findet, ist fraglich. Der Kreis bestätigt das Verwarngeld an die Palliativ-Krankenschwester. Diese könne nun Stellung beziehen.

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Wird man sich nicht einig und das Verwarngeld nicht bezahlt, würde ein Bußgeld erlassen, erläutert Kreissprecher Ingo Niemann. Gegen diese könne die Fahrerin dann Einspruch einlegen. Dann müsse ein Gericht entscheiden, ob es in Ordnung war, das Bußgeld zu erheben.

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