Witten. Der ZF-Betriebsrat will möglichst viele Jobs in Witten retten. Unternehmensberater sollen Alternativen zum Kahlschlagkonzept des Konzerns vorlegen.

Der Betriebsrat des Wittener Getriebeherstellers ZF lässt ein Konzept erarbeiten, um den Großteil der 625 Arbeitsplätze vor Ort zu retten. Das sagte Betriebsratsvorsitzender Frank Blasey auf Anfrage am Donnerstag, 24. Oktober. Zuvor, am Mittwoch, waren die Mitarbeitenden über den geplanten massiven Stellenabbau am Standort Mannesmannstraße informiert worden. Bei den Betriebsversammlungen für alle drei Schichten hatten sich die beiden Standort-Geschäftsführer Christoph Kainzbauer und Manfred Neuhauser deutliche Kritik anhören müssen.

Nach den Plänen der Konzernführung in Friedrichshafen, Baden-Württemberg, sollen 367 Mitarbeitende kurzfristig gehen. Das wären rund 60 Prozent der Belegschaft. Das Team würde auf lediglich 258 Beschäftigte schrumpfen. Sie müssten zudem in Kauf nehmen, dass sie künftig unter Tarif beschäftigt wurden. Bisher gilt für das Unternehmen ZF Industrieantriebe der Tarifvertrag für die Metallindustrie.

Vorwürfe gegen Geschäftsführung in Witten: „Investitionsstau“

Der ZF-Betriebsratsvorsitzende Frank Blasey, links, im September am Werkstor an der Mannesmannstraße. Inzwischen ist die Belegschaft bei insgesamt drei Betriebsversammlungen für alle Schichten über die Kahlschlagpläne des Konzerns informiert worden.
Der ZF-Betriebsratsvorsitzende Frank Blasey, links, im September am Werkstor an der Mannesmannstraße. Inzwischen ist die Belegschaft bei insgesamt drei Betriebsversammlungen für alle Schichten über die Kahlschlagpläne des Konzerns informiert worden. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

„Viele der Mitarbeitenden zeigten sich extrem beeindruckt und waren geschockt“, so Frank Blasey. „Die Geschäftsleitung wurde sehr geschlossen vor die Wand gestellt. Die Kollegen finden es gerade gar nicht lustig, was hier abgeht.“

Den beiden Managern sei vorgeworfen worden, sich nicht genug für den Standort Witten eingesetzt zu haben. So seien Organisationsanpassungen ausgeblieben. Zudem gebe es einen „Investitionsstau“. Dem Betriebsrat sei klar, dass die Konzernführung Investitionen genehmigen müsse. Aber dafür hätte die Geschäftsführung des Standorts Witten kämpfen müssen: „Das kriegt man nicht geschenkt. Da muss man gut argumentieren“, sagt Blasey.

Das sagt die IG Metall

Der Betriebsrat des Antriebeherstellers ZF in Witten erhält Unterstützung von der IG Metall. Die zweite Bevollmächtigte für den Ennepe-Ruhr-Kreis, Elin Dera, sagte auf Anfrage: „Es ist ein Unding, wie von Seiten der Geschäftsführung bei ZF in Witten mit der Mitbestimmung und dem Betriebsrat umgegangen wird. Man stellt mehrere Szenarien vor, bespricht sie mit dem Betriebsrat und sagt plötzlich, jetzt favorisieren wir eins.“

Die ZF-Gruppe sieht sich unter Druck. Die Geschäftsführung hat sich für ein Konzept ausgesprochen, dass die Entlassung von rund 60 Prozent der Beschäftigten vorsieht. Zur Diskussion standen Modelle mit geringerem Jobabbau. Dera weiter: „Was mir Sorge bereitet, ist, dass hinter jedem Arbeitsplatz ein Mensch steht, eine Zukunft und eine Familie.“

Der Betriebsrat arbeitet an einer sozialverträglichen Lösung. Ziel ist eine Weiterbeschäftigung von bis zu 529 Mitarbeitenden. In diesem Fall müssten lediglich knapp 100 Beschäftigte gehen. Das wären Ältere, die mit Abfindungen die Zeit bis zur Rente überbrücken könnten.

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Der Betriebsrat befürchtet, dass Massenentlassungen vor allem junge Kolleginnen und Kollege treffen würden, die erfahrungsgemäß beim Erstellen eines Sozialplans hintanstehen. Käme es so, wäre der für optimale Betriebsabläufe erforderlich Altersmix in der Belegschaft gefährdet.

Info-Institut soll Rettungsplan erarbeiten

Der Betriebsrat hat das gewerkschaftsnahe Info-Institut mit Sitz in Köln und Saarbrücken beauftragt, einen Plan zu erarbeiten. Die Unternehmensberatung ist spezialisiert auf Betriebswirtschaft, Ingenieurswesen und Sozialwissenschaft. Der ZF-Standort in Witten hatte laut Blasey bisher die Vorgabe, zehn Prozent Rendite zu erwirtschaften. „Wir sind mit unseren Beratern gerade dabei, ein Konzept zu erarbeiten, das über dieser Messlatte liegt, weit über zehn Prozent“, so der Betriebsratsvorsitzende.

Allerdings spreche die Konzernbereichsleitung „Wind“ für den Betriebsrat überraschend inzwischen von 22 Prozent Gewinn. Blasey: „Das ist so hoch, dass wir wahrscheinlich keine Chance mehr haben, über diese Latte zu springen.“ Der Gesamtbetriebsrat sei dabei, zu prüfen, ob die Vorgabe der Bereichsleitung mit dem Konzernvorstand abgestimmt sei.

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ZF stellt in Witten Industriegetriebe her. Sie werden in großen Baumaschinen eingesetzt, aber auch in Skiliftanlagen oder Ölbohrplattformen. Der zweite Bereich ist die Produktion von Getriebeteilen für Windräder. Im dritten Bereich bietet ZF Service für Windradtechnologie an.

Betriebsratschef Blasey: „Energiewende noch nicht erreicht“

Der Betriebsrat sieht Windräder in Deutschland und Europa unverändert als Wachstumsmarkt: „Die Energiewende ist immer noch nicht erreicht“, sagt Frank Blasey. Er verweist zudem auf die langjährige Erfahrung des Wittener Teams. Es stehe für eine höhere Qualität als bei Mitbewerbern in Fernost. Zudem wirbt Blasey auch aus Umweltgründen für die Industrieproduktion vor Ort. Ihr Vorteil seien die kurzen Wege zur Kundschaft. Umgekehrt befürchtet der Betriebsrat, dass ein Kahlschlag bei ZF in Witten ein weiterer Schritt zur Deindustrialisierung Deutschlands sein könnte. Blasey: „Wenn die Arbeitsplätze in der Industrie einmal weg sind, kommen sie nicht wieder.“

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