Witten. Der ZF-Konzern will bis zu 14.000 Stellen abbauen. Auch Witten ist davon betroffen. Der Betriebsrat kündigt heftigen Widerstand an.
Der weltweit tätige Industriekonzern ZF mit Sitz in Friedrichshafen will deutschlandweit bis 2028 bis zu 14.000 Stellen streichen. Das Unternehmen ist einer der größten Zulieferer der Automobilindustrie. Im Werk in Witten werden hingegen Großgetriebe für die Industrie sowie Bauteile für Windkraftanlagen gefertigt. Der Standort mit seinen 600 Mitarbeitern wird im Zuge der Kürzungen voraussichtlich massiv Arbeitsplätze verlieren. Über die Zukunftsperspektiven für das Werk und seine Beschäftigten sprachen wir mit dem Wittener Betriebsratsvorsitzenden Frank Blasey (52) und Betriebsrat Mesut Uzunel (49).
Wie haben ihre Kolleginnen und Kollegen die Nachrichten aufgenommen?
Blasey: Momentan überschlagen sich die Ereignisse. Aber bislang sind alles reine Spekulationen. Als ‚worst case‘ steht auch die Schließung des Werks im Raum. Das Thema wird natürlich heiß an den Arbeitsplätzen diskutiert. Ein normales Arbeiten ist derzeit schwer möglich. Vor ein paar Tagen kam dann vom Management die Ansage, wie wichtig es sei, nun weiterzuarbeiten, die Kunden zu beliefern... Aber die Menschen haben Angst um ihre Existenz, da ist es schwierig, zum Alltagsgeschäft überzugehen.
Uzunel: Eigentlich gibt es nur die drei Optionen Sanierung, (Teil-)Verkauf oder Schließung. Deshalb ist es uns auch wichtig zu sagen: Wir geben nicht auf! Wir werden alle Mittel ausschöpfen, um die Nachteile für die Kolleginnen und Kollegen und den Standort möglichst gering zu halten. Und wir werden bis zum Letzten für jeden Mitarbeiter kämpfen!
Kummer sind Sie und Ihre Kollegen ja gewohnt. Ende 2020 mussten zuletzt 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung ihren Platz räumen. Zudem wurden 110 Zeitarbeitsverträge nicht verlängert.
Blasey: Eigentlich haben wir seit 2009 eine harte Zeit. Das sind 14 Jahre im Dauerkrisenmodus. Nur mal zum Vergleich: 2012 haben im Werk noch 1400 Menschen gearbeitet, heute sind es 600. Wir haben kräftig gelitten, vieles ertragen und vieles aufgefangen. Trotz weniger Kollegen ist die Arbeit aber nicht weniger geworden, sie wurde einfach auf die übrig gebliebenen verteilt. Deshalb ist die Enttäuschung jetzt umso größer.
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2015 wurde das Werk von Bosch an ZF verkauft. Da haben Hunderte gleichzeitig ihren Arbeitsplatz verloren. Aber an den großen Konzern waren auch Hoffnungen geknüpft. Nämlich, dass dieser eine dauerhafte Perspektive bieten werde. Und jetzt sieht es so aus...
Die Geschäftsführung hatte Ihnen ja bereits Mitte Juli die wirtschaftliche Situation dargelegt. Demnach sind vor allem die Herstellung von Wind-Komponenten und der Service für Windgetriebe nicht wettbewerbsfähig. Weder aktuell noch in Zukunft. Ist das für Sie nachvollziehbar?
Blasey: Teils. Laut den Planungen für das erste Halbjahr hätten wir Gewinne gemacht. Aber dann kamen weniger Aufträge – bei gleichbleibend hohen Fixkosten. Das frisst den Standort auf. Bisher haben wir uns über Kurzarbeit gerettet. Da sind wir ja gerade raus. Im Herbst werden wir aber sicher wieder in Kurzarbeit gehen.
Der Service im Windbereich läuft grundsätzlich gut, aber wir können da einfach in der jetzigen Situation und mit den aktuellen Strukturen kein gutes Ergebnis erzielen. Ein Grund dafür ist unter anderem der hohe Wettbewerbs- und Kostendruck.
Uzunel: Bei den Industriegetrieben war es immer ein konjunkturabhängiges Auf und Ab. Unser Hauptgeschäft war in den letzten Jahren überwiegend der Wind-Bereich. Früher haben wir in Witten komplette Windgetriebe hergestellt, seit drei, vier Jahren fast nur noch einzelne Bauteile. Und nun heißt es, diese Komponenten könne man im Werk in China günstiger bekommen.
Das empfinden Sie als ungerecht...
Blasey: Andere Länder, allen voran China, subventionieren massiv die einheimische Industrie. Aber wir müssen irgendwie alleine klarkommen. Dabei bauen wir doch Produkte für die Energiewende. Die Regierung verspricht immer viel, aber sie bekommt es nicht hin, so einen Standort wie unseren zu halten. Das Gleiche haben wir doch auch schon bei Solar-Modulen gesehen. Da war Deutschland mal führend. Und ähnlich sieht es auch beim Thema E-Auto aus.
Haben Sie trotz allem Hoffnung für den traditionsreichen Standort an der Mannesmannstraße?
Uzunel: Ja. Wir werden den Standort und die Kolleginnen und Kollegen auf keinen Fall aufgeben. Wir wollen die Produktion hier in Witten erhalten und nicht nach China abgeben. Schließlich gibt es uns hier bereits seit 1894. Viele Generationen haben hier Ihr Geld verdient und wir möchten, dass auch zukünftige Generationen hier eine Arbeit finden können. Aber, wir werden jeden „Stein im Werk umdrehen“ müssen, jegliche Strukturen und Prozesse kritisch hinterfragen müssen und uns verändern.
Vor Kurzem hat sich auch der neue Geschäftsführer Manfred Neuhauser bei der Belegschaft vorgestellt. Er hat versprochen, dass er nicht gekommen sei, um das Werk zu schließen, sondern um es zukunftsfähig zu machen.
Blasey: Wir haben große Hoffnung, dass er den Standort erfolgreich verändern und uns somit eine Chance ermöglichen kann. Gleichzeitig wünschen wir uns aber auch staatliche Unterstützung und „Rückenwind“ durch die Politik. Es kann doch nicht sein, dass ein Unternehmen wie unseres, das notwendige Produkte für die Energiewende in Deutschland herstellt, jetzt in eine solche Schieflage gerät. Wie soll denn dann die Energiewende in Deutschland funktionieren? Etwa mit Windenergiegetrieben aus China?
Wir haben eine große Härterei, die Öfen laufen rund um die Uhr. Wir sind nach den Edelstahlwerken sicher der größte Stromabnehmer in der Stadt. Ohne einen Industriestrompreis weiß ich nicht, wie lange das noch gut gehen wird. Und es folgen sicher noch weitere Unternehmen.
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