Witten. In Witten gibt es Menschen, die Texte verständlicher formulieren. Das betrifft amtliche Schreiben wie Lifestyle-Themen - und hilft vielen.

Das kennt fast jeder: Formulare oder Bedienungsanleitungen können einen zur Weißglut treiben, weil man oft nur Bahnhof versteht. Sie sind dann zu kompliziert verfasst. Wer ohnehin Schwierigkeiten beim Lesen hat, dement ist, über geringe Deutschkenntnisse verfügt oder eine Behinderung hat, dem geht das mit noch viel mehr Texten so. Das Büro für leichte Sprache will Abhilfe schaffen. Es ist einzigartig in Witten.

Der neue Dienst gehört zur Lebenshilfe an der Dortmunder Straße. Samira Dräbing (50) und Cordula Rode (58) leiten das Büro. Beide sind ohnehin für die Lebenshilfe im Einsatz: Rode als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit, Dräbing als Koordinatorin für Kurse und Veranstaltungen im familienunterstützenden Dienst. Sie sind außerdem zwei von sechs Mitarbeitenden, die sich entsprechend qualifiziert haben, und nun Texte in leichte Sprache übersetzen.

Leichte Sprache folgt festen Regeln

Fünf vom Team des Büros für leichte Sprache: (v.li.) Übersetzerin Melanie Sauer, Prüferin Kathrin van Dyk, Leiterin und Übersetzerin Samira Dräbing, Prüfer Daniel Götze sowie Leiterin und Übersetzerin Cordula Rode bei der Lebenshilfe an der Dortmunder Straße.
Fünf vom Team des Büros für leichte Sprache: (v.li.) Übersetzerin Melanie Sauer, Prüferin Kathrin van Dyk, Leiterin und Übersetzerin Samira Dräbing, Prüfer Daniel Götze sowie Leiterin und Übersetzerin Cordula Rode bei der Lebenshilfe an der Dortmunder Straße. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

„Mit leichter Sprache arbeiten wir schon lange“, sagt Cordula Rode. Inzwischen sei man so gut aufgestellt, dass Übersetzungen auch extern angeboten werden können. Denn: „Öffentliche Einrichtungen sind gesetzlich verpflichtet, Informationen auf Nachfrage in leichter Sprache anzubieten.“

Anders als einfache Sprache, bei der es um verständliches Formulieren geht, folgt leichte Spache festen Regeln. So dürfe ein Satz nur eine Aussage enthalten. Für jeden Absatz müsse es ein passendes Bild geben. Schwere Wörter werden zunächst erklärt, wenn sie sich nicht vermeiden lassen, Anglizismen in Lautsprache übersetzt. Beispiel aus dem Freizeitprogramm der Lebenshilfe: „Walking ist ein englisches Wort. Man spricht es: Woak-ing. Es bedeutet: schnelles Gehen“.

Betroffene prüfen die Texte

So geht leichte Sprache: eine Seite aus dem Freizeitprogramm der Lebenshilfe Witten.
So geht leichte Sprache: eine Seite aus dem Freizeitprogramm der Lebenshilfe Witten. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Auch ist für die Texte nur eine bestimmte Schriftart und -größe zulässig sowie ein bestimmer Zeilenabstand - damit sie leichter zu erfassen sind. „Natürlich kann man Texte auch nicht eins zu eins übertragen, sondern muss die wesentlichen Aussagen herausfiltern“, so Samira Dräbing. So bleiben von 20 Seiten vielleicht nur acht übrig. Nicht zuletzt - und das ist eigentlich die wichtigste Aufgabe - prüfen neun Betroffene, ob die Texte wirklich verständlich sind. „Sie haben das letzte Wort.“

Zwei von ihnen sind Kathrin van Dyk (55) und Daniel Götze (41). Beide arbeiten in der Wittener Werkstatt der Lebenshilfe, sie schon seit 20 Jahren, er seit 2007. Ehrenamtlich prüfen sie die Texte und erhalten dafür eine entsprechende Pauschale. „Ich bin eine der Fittesten in der Werkstatt, kann lesen, schreiben, rechnen“, sagt Kathrin van Dyk ganz selbstbewusst. Dabei hat sie eine Lernbehinderung, braucht für vieles dennoch länger als andere.

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Doch die gebürtige Wittenerin, die in einem Wohnheim an der Pferdebachstraße lebt, mag die neue Herausforderung. „Das ist gut für den Kopf“, sagt sie, denn in der Werkstatt wird vor allem praktisch gearbeitet. Daniel Götze, der noch zu Hause bei den Eltern wohnt, sieht das ähnlich: „Das fördert mich und macht Spaß.“

Längst hat das Büro feste Kunden wie zum Beispiel die Stadt Witten oder Einrichtungen aus dem sozialen Bereich. Doch die Liste derer, denen leichte Sprache ebenfalls guttun könnte, ist lang - wenn es nach den Prüfern geht. „Ärzte, Cafés, Restaurants, Hotels, Museen, die Bogestra“, zählt Kathrin van Dyk auf. Auch Parteienprogramme wünscht sie sich in leichter Sprache. „Vor der Kommunal- und Bundestagswahl 2025 wollen wir die Parteien anschreiben“, so Cordula Rode.

Vom Speiseplan bis zur Bibel

Die Lebenshilfe geht natürlich mit gutem Beispiel voran. „Wenn Menschen mit Kleinwuchs bei ,Let‘s Dance‘ ins Finale kommen, dann übersetze ich das für unsere Homepage in leichte Sprache“, sagt Samira Dräbing. Der Wochenspeiseplan soll demnächst übersichtlicher gestaltet werden und ein eigenes Kochbuch in leichter Sprache entstehen. Der Bibel könne eine entsprechende Überarbeitung nicht schaden - auch diesen Vorschlag gab es schon. Dann wäre das Büro auf jeden Fall über Jahre ausgelastet.

Büro bietet auch Schulungen an

Das Büro für leichte Sprache ist ein neuer Dienst der Lebenshilfe Witten. Es ist offiziell bereits am 1. Januar 2024 an den Start gegangen. Inzwischen wurden auch Fördergelder von der Aktion Mensch bewilligt.

Zielgruppe für Texte in leichter Sprache sind Menschen mit Behinderung, Lernschwierigkeiten, Legasthenie (Lese-Rechtschreibstörung), Aphasie (Störung der Sprache aufgrund einer Hirnschädigung), Demenzerkrankung, Migrationshintergrund und geringen Deutschkenntnissen.

Übersetzt oder auf Wunsch auch nur geprüft werden Formulare, Flyer, Broschüren, Verträge, Gesetzestexte, Patienteninformationen und vieles mehr. Das Büro bietet auch Schulungen zur Übersetzung in leichte Sprache an und erstellt individuelle Piktogramme. Info: 02302 2895 412 (Dräbing)/450 (Rode), lebenshilfe-witten.de.

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