Witten. „Unsozial“ nennt der Betriebsrat den Umgang mit den Völker-Leuten in Witten, die freigestellt wurden. Nicht nur bei ihnen seien Tränen geflossen.

Mehr als 80 Völker-Beschäftigte müssen den Weg zur Arbeitsagentur antreten. Nachdem der Pflegebettenhersteller vor wenigen Wochen Insolvenz in Eigenverwaltung angemeldet hatte, erhielten jetzt die ersten 60 ihre betriebsbedingten Kündigungen. Über 40 Mitarbeiter wurden schon freigestellt. Als sie davon erfuhren, flossen Tränen. „Unsozial“ nennt der Betriebsratsvorsitzende das, was bei Völker abgelaufen ist.

Völker-Betriebsratschef: Mitarbeiterversammlung wurde von Security gesichert

Security habe die Hallen gesichert, als in einer Mitarbeiterversammlung über die Kündigungen und Freistellungen informiert wurde. „Dann sind die Leute direkt ausgesperrt worden, Menschen, die teilweise über 40 Jahre bei Völker gearbeitet haben“, sagt Betriebsratsratschef Martin Urbach (54). Sie hätten noch unter Aufsicht ihren Spind ausräumen dürfen oder einen Termin dafür bekommen, bevor sie die Firma verlassen mussten. Urbach: „Schranke runter, Tür zu.“

Mit kleiner Mannschaft wird jetzt ausproduziert

Insolvenz in Eigenverwaltung

Ein Sozialplan im Sinne eines Interessenausgleichs ist bei Völker gescheitert. Der Betriebsrat hatte eine Transfergesellschaft mit einem Volumen von 1,2 Millionen Euro gefordert. Völker hätte sich nach eigenen Angaben mit bis zu 500.000 Euro beteiligt, die zum Teil noch in diesen letzten Monaten hätten erwirtschaftet werden müssen.Die „Insolvenz in Eigenverwaltung“ ist zeitlich nicht befristet. Es handelt sich nicht um ein dreimonatiges Schutzschirmverfahren wie bei Galeria Karstadt Kaufhof. Ziel ist aber ebenfalls die Sanierung des Unternehmens durch einen Insolvenzplan – was harte Einschnitte bedeutet.

Sehr viele Mitarbeiter seien psychisch angeschlagen, es seien viele Tränen geflossen, sagt Urbach, „auch bei denen, die erst noch bleiben dürfen“. Sie habe ihren Mann noch nie so fertig gesehen, schreibt eine Frau der WAZ bei Facebook, „ein Mann, der nur in den traurigsten Momenten in unserem Leben geweint hat“. Nach der Freistellungsmitteilung seien die Hallen abgeschlossen worden, „so dass Mitarbeiter, die 20 Jahre oder mehr dort beschäftigt waren, sich nicht einmal mehr von ihren Kollegen verabschieden konnten. Ganz übel gelaufen.“

Es sei traurig, ein solches Traditionsunternehmen derart zugrunde gehen zu sehen, sagt Mathias Hillbrandt (45) von der IG Metall. Den Grund sieht er in einer „Verkettung von Fehlentscheidungen der Unternehmerschaft“. Die Beschäftigten hätten ihrerseits immer alles gegeben, um den Betrieb zu retten. Mit Abfindungen kann niemand rechnen. „Auch die Gläubiger werden nullkommanull kriegen“, sagt Betriebsratsvorsitzender Martin Urbach. Das bestätigt Insolvenzverwalter Markus Wischemeyer. Völker habe seine „Masseunzulänglichkeit“ angezeigt.

Mit kleiner Mannschaft wolle das Unternehmen jetzt ausproduzieren, sagt der Betriebsrat, was die Firma selbst bestätigt. Wie berichtet, will Völker nach über 100 Jahren die Produktion von Pflegebetten und Nachttischen am Wullener Feld einstellen. Das Unternehmen verweist auf die allgemeine Krise – „angespannte Rohstoffverfügbarkeiten und deutlich gestiegene Material- sowie Energiekosten“.

Der Pflegebettenhersteller Völker stellt die Fertigung in Witten nach 110 Jahren ein.
Der Pflegebettenhersteller Völker stellt die Fertigung in Witten nach 110 Jahren ein. © FUNKE Foto Services | Barbara Zabka

Den Vorwurf, sich unsozial verhalten zu haben, will Geschäftsführerin Yvonne Risch (37) aber nicht auf sich sitzen lassen. „Ich finde es nicht unsozial, wenn man alles tut, um die bestehenden Arbeitsplätze zu erhalten“, sagt sie. Seit Wochen kämpfe sie um die verbliebenen 65 Arbeitsplätze. Und dafür, „dass wir Gehälter bezahlen können und Mitarbeiter bis zum Ende halten können“. Wer gehen muss, dem werde auch beim Schreiben von Bewerbungen geholfen. Dafür habe man extra einen Raum eingerichtet.

Völker in Witten: Fertigung einstellen, um Fortbestand des Unternehmens zu sichern

Die Fertigung habe man einstellen müssen, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern und ein Drittel der Arbeitsplätze zu sichern, hieß es in einer Mitteilung der Firma Ende September. Rund 30 Mitarbeiter sollen bei der Völker GmbH bleiben, 35 wechselten in die neue Servicegesellschaft „Gridserv“.

Keinen Grund sieht Risch für die massive Kritik des Betriebsrats am Verhalten des Unternehmens gegenüber den freigestellten Beschäftigten. „Ein oder zwei“ seien bei der Mitarbeiterversammlung anwesend gewesen, die dann „begleitet ihre Sachen holen durften“. Auch den Vorwurf der „Aussperrung“ hält sie nicht für angemessen. Aber „Freistellung“ bedeute nun mal, dass die Leute gehen müssten.

Ihrem Mann habe das Verhalten die Tränen in die Augen getrieben, schreibt die schon zitierte Frau eines langjährigen Mitarbeiters.