Witten. Bei Amazon in Witten gibt es seit Kurzem einen Betriebsrat. Der setzt sich etwa gegen Abmahnungen ein. Warum Stechuhren ein großes Thema sind.

Seit August gibt es im Wittener Sortierzentrum des Logistikriesen Amazon einen Betriebsrat. Es ist das erste von den Mitarbeitenden gewählte Gremium seit Eröffnung des Standortes Ende 2021. Für die Gewerkschaft Verdi war das „ein erster Meilenstein für die Beschäftigten in Witten“. Warum die Gründung notwendig war und um welche Themen der Betriebsrat mit dem Management ringt.

„Man hat sich irgendwann nur noch wie eine Nummer gefühlt“, beschreibt Betriebsratsvorsitzender Rene Meyer (28) seine Motivation, sich für mehr Mitbestimmung zu engagieren. „Aber wir sind hier alle individuelle Menschen, so sollten wir auch behandelt werden!“ So habe das Management etwa Anfragen von Mitarbeitern schleifen lassen, zum Beispiel bei Urlaubsanträgen oder wenn jemand die Schicht wechseln wollte.

Viele unberechtigte Abmahnungen sorgen bei Amazon in Witten für Unmut

Auch habe es in letzter Zeit viele Abmahnungen gegeben. Die aus Sicht des jetzigen Betriebsrates oft unberechtigt waren. „Für viele war das ein Weltuntergang“, so Meyer. So habe es etwa Abmahnungen dafür gegeben, dass sich Mitarbeitende eine Minute vor Schichtbeginn eingestempelt hatten. „Jetzt können wir die Kollegen unterstützen, sie beraten.“

Der Eingang zum Amazon-Logistikzentrums DTM9 in Witten.
Der Eingang zum Amazon-Logistikzentrums DTM9 in Witten. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Gleichzeitig seien Stellen gestrichen worden, was die Arbeitsbelastung für den Einzelnen teils enorm gesteigert habe, so Meyer. Nach Angaben des Betriebsratsvorsitzenden arbeiten derzeit rund 380 Menschen im Sortierzentrum, die direkt bei Amazon eingestellt sind. Hinzu kommt noch einmal dieselbe Zahl an Leiharbeitern - Weihnachten lässt grüßen. Außerhalb der Hochzeiten seien es aber massiv weniger Leiharbeiter.

Vorbereitungen zur Betriebsratsgründung seit Anfang des Jahres

Anfang des Jahres stießen dann zwei Kollegen die Idee für eine Betriebsratsgründung an, wandten sich an Verdi. „Am Anfang wurde versucht, das möglichst kleinzuhalten“, sagt der 28-Jährige. Die Vorbereitungen wollte man möglichst treffen, ohne dass es der Arbeitgeber mitbekommt. „Denn ganz ehrlich, einen Betriebsrat sieht doch kein Chef gern.“ Im Endeffekt habe das Management der Gründung aber keine Steine in den Weg gelegt und sei sehr kooperativ gewesen, so Meyer.

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Auch für Youness El Wartiti waren Ungerechtigkeiten und fehlende Fairness der Auslöser für sein Engagement. Der 35-jährige Betriebsrat arbeitet als Supervisor, also Teamleiter, bei Amazon. „Es wurden Entscheidungen getroffen, ohne das vorher mit den Mitarbeitenden zu besprechen“, so El Wartiti. Zum Beispiel eine Umstellung beim Schichtdienst, die auch ihn selbst betraf.

Plötzlich keine Möglichkeit mehr, die Schicht zu wechseln

So konnten Teamleiter früher alle sechs Monate die Schicht wechseln. Denn besonders die Spätschicht von 14.30 bis 22.30 Uhr sei extrem unbeliebt, so El Wartiti. Eben weil sie mit einem Familien- oder Sozialleben nicht vereinbar ist. Im Herbst 2023 wechselte der 35-Jährige also turnusmäßig von der Nacht- in die Spätschicht. Mit der Aussicht, im Sommer in die Frühschicht wechseln zu können.

Ein Blick ins Sortierzentrum von Amazon an der Brauckstraße in Witten.
Ein Blick ins Sortierzentrum von Amazon an der Brauckstraße in Witten. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

„Und dann wurde auf einmal beschlossen, dass es ab sofort Dauerschichten geben soll“, sagt El Wartiti verärgert. Besonders bitter: Zuvor hat es laut dem Teamleiter sogar noch eine Abfrage über mögliche Wechselwünsche gegeben. Mittlerweile gibt es aber wieder ein rotierendes Schichtsystem.

Amazon-Betriebsrat: „Man merkt einen Umschwung“

Im August hat das Gremium seine Arbeit aufgenommen. Und nach eigener Einschätzung schon einige Veränderungen bewirkt. „Man merkt einen Umschwung“, so Meyer. So würden Urlaubsanträge schneller bearbeitet, auch wenn das noch nicht optimal laufe. Auch müssen Schichtwechsel und Überstunden nun immer vom Betriebsrat abgesegnet werden. Änderungen in den Schichten dürften nicht mehr kurzfristig erfolgen.

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Ganz aktuell arbeitet der neue Amazon-Betriebsrat an einer Lösung für ein Problem mit den Stechuhren. Die hatte Amazon zwei Tage vor den Betriebsratswahlen von einer zentralen Stelle im Eingangsbereich des Sortierzentrums in die verschiedenen Bereiche verlegt. Sehr zum Ärger der Mitarbeitenden. „Das ist ein Riesen-Thema“, so El Wartiti. Denn manche Beschäftigten bräuchten vom Eingang an ihren Arbeitsplatz bis zu zehn Minuten, die vorher bezahlt worden seien und jetzt nicht mehr. Auch sei der Unmut wegen zu wenig Mitarbeitern sehr groß. Gerade die, die viel leisteten, kämen an ihre Grenzen. „Die können nicht mehr“, so Meyer.

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Auch deshalb wolle er ein Sprachrohr für die Kollegen sein, damit deren Anliegen bei der Leitung ankommen. „Wir müssen die Dinge immer wieder bei der Geschäftsführung ansprechen, bis es denen zu den Ohren rauskommt.“ Denn würde es die vielen Mitarbeitenden nicht geben, „würde der ganze Laden ja nicht laufen“.

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