Witten. Das Amazon-Logistikzentrum in Witten ist europaweit einzigartig. Hier lässt der Konzern Mini-Roboter sortieren. Ein Blick hinter die Kulissen.
Im gleichen Jahr, in dem mit Galeria Kaufhof Wittens größes Kaufhaus geschlossen wurde, eröffnete am Stadtrand das Warenhaus der Zukunft: das Amazon-Logistikcenter an der Brauckstraße. Verborgen hinter dem Bauhaus-Baumarkt liegt ein hochmodernes Areal, dessen durchdachte Logistik staunen lässt. Es ist eine europaweit einmalige Pilotanlage, in der der Versandriese neueste Robotic-Technik testet.
Auf dem alten Siemens-Gelände wurde 2020 das innovative Werk in Betrieb genommen. Mehrspurige Straßen führen dorthin, es gibt einen eigenen Busbahnhof. Amazon betreibt eine Pendelbuslinie von Witten-Hauptbahnhof nach Rüdinghausen. Sie passen die Züge aus Essen, Hagen und Dortmund ab und chauffieren die Mitarbeitenden zu Schichtanfang und Schichtende. Es gibt aber auch ein Parkhaus, Fahrrad- und E-Scooter-Abstellanlagen. Durch ein Portal mit dem lächelnden Smile-Firmenlogo betritt man das Werk.
600 Mitarbeitende aus 70 Nationen
Danach wird es familiär. Alle der aktuell 600 Mitarbeitenden duzen sich, alles ist in Deutsch und Englisch beschriftet, denn es wird zweisprachig gearbeitet. Die Schicht startet mit einer gemeinsamen Gymnastik-Einheit, etwa zum rückenschonenden Heben. Ungewöhnlich ist auch: Es gibt einen Gebetsraum. „Wir haben ein internationales Team aus über 70 Nationen. Über 100 von ihnen feiern gerade Ramadan“, erklärt Standortleiter Tobias Rainer. An seiner Warnweste hat jeder Mitarbeitende einen Anstecker mit den Sprachen, die er spricht.
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Der Anstecker von Uttaraa Kumar weist fünf Sprachen auf. Die 25-jährige Inderin hat Logistik studiert und Lust auf Europa gehabt. Ein Semester in Italien, der Master in Bielefeld, vor anderthalb Jahren bewarb sie sich bei Amazon in Witten – und führt nun als Abteilungsleiterin 100 Leute. An diesem Morgen steht sie in der Kommandozentrale des Werkes, beobachtet eine Wand aus Bildschirmen. Diese zeigen Pakete auf Förderbändern oder Pakete auf Robotern. Uttaraa schaut, dass es nirgendwo einen Stau gibt. Dass sie die Hälfte des Jahres in der Nachtschicht arbeitet, stört sie nicht: „Ich bin eh eine Nachteule, ich find das cool“, sagt sie in akzentfreiem Deutsch.
650 Mini-Roboter flitzen über ein Fußballfeld
Alle hier haben eine berufliche Vita, die irgendwie besonders ist. Das fängt bei der Chefetage an. Hauptbereichsleiter Max Braeger, 35, in Hamburg studierter Wirtschaftsingenieur, hat bereits bei Amazon-Standorten in Saudi-Arabien, Bulgarien und Großbritannien gearbeitet. Und das endet bei Menschen wie Bernhard Nowak, der lange arbeitslos war und mit 59 nochmal bei Amazon durchstartete. Als „gute Seele“ ist er für die Arbeitsvorbereitung zuständig, kümmert sich darum, dass Scanner oder die Rollwagen, in den Pakete transportiert werden, am richtigen Platz liegen. „Das hier ist multikulti ohne Ende. Für mich ist das superinteressant“, sagt der gebürtige Pole. „Ich blühe hier richtig auf.“
Die fleißigsten Mitarbeiter aber sind keine Menschen, sondern 650 Mini-Roboter. Die obere Etage der Werkshalle gleicht einem riesigen Autoscooter. Dort flitzen, gesteuert von Sensoren, diese sogenannten Drives herum – ein bisschen sehen sie aus wie elektrische Rasenmäher. Sie lassen sich von einem großen Roboter mit einem Paket beladen. Dieser „Robin“ hat Saugnäpfe an seinem Greifarm, saugt ein Paket an, scannt es, und setzt es auf einem Drive wieder ab. Der Drive düst los und lädt das Paket in den passenden der vielen Schächte, der die Lkw-Ladung für einen bestimmten Zielort sammelt. 25.000 Pakete pro Stunde können so sortiert werden.
In Witten wird die Sortierung durch Roboter getestet
„Wir sind stolz auf diesen Standort“, sagt Unternehmenssprecher Steffen Adler. Während an anderen Logistikstandorten ganz klassisch per Förderband sortiert wird, gilt Witten als „Robotic Site“. „Es ist das erste Werk in Europa, wo Roboter die Sortierung übernehmen.“ Das erklärt auch die – für die Logistik ungewöhnlich – große Zahl an hochqualifizierten Arbeitsplätzen am Wittener Amazon-Standort, mit vielen Technikern und IT-Experten.
Ein in Witten bestelltes Produkt nimmt einen Weg über mindestens drei Logistikstandorte. Erste Station ist das große Warenlager, wo das bestellte Produkt gescannt und verpackt wird. Weiter geht es in ein Sortierzentrum wie Witten. Hier werden Ladungen für den Weitertransport in die Zielregion sortiert. Die Waren kommen aus den großen Lagern, teils sogar per Flugpost über die Flughäfen Lüttich oder Köln. Von Witten aus starten Frachten in die Verteilzentren, wo sie in die kleinen Amazon-Transporter umgeladen werden, die letztlich vor die Haustür fahren. Wittener Bestellungen kommen aus den Verteilzentren Unna, Bochum oder Wuppertal.
Das größte Paketaufkommen ist nicht in der Weihnachtszeit
Keine Erweiterung geplant
Immer wieder gibt es in Witten Gerüchte, Amazon könnte sich am Standort Brauckstraße erweitern und zum Beispiel auch die alte Fläche von Faiveley oder des Bauhaus-Marktes in Beschlag nehmen. Ein Irrtum, so die Standortleiter des Wittener Logistikcenters: „Wir planen keine Erweiterung und es würde an diesem Standort auch keinen Sinn machen.“
Unternehmenssprecher Steffen Adler betont, dass Amazon eher daran gelegen ist, seine Standorte zu verdichten als zu erweitern. In NRW betreibt Amazon bereits 14 Verteilzentren, fünf Logistikzentren und drei Sortierzentren. Es sollen noch mehr werden.
200 bis 300 Lkw steuern täglich die Brauckstraße an, bis auf sonntags, dann ist ja Fahrverbot. Hauptarbeitszeit ist übrigens nachts. „Denn die Leute sitzen ja abends auf dem Sofa und bestellen. Bestenfalls ist das Paket am nächsten Tag da“, erklärt der Standortleiter Tobias Rainer. Die Mitarbeitenden arbeiten in der unteren Etage des Werks, das ein bisschen wie ein Flughafen aussieht. Sie steuern die Entladung der Lkw, lassen die Pakete auf die Förderbänder kippen. Sie tüten kaputte Sendungen neu ein. Und sie befüllen wartende Anhänger. Ein Bildschirm über den Lkw-Laderampen zeigt jeweils an, wann die Fahrt startet und wohin sie führt. Nicht nur Amazon-Trucks werden in Witten beladen, auch Anhänger von DHL, Hermes und DPD.
Stimmt es eigentlich, dass kurz vor Weihnachten die stressigste Zeit im Versandhandel ist? Tobias Rainer muss lachen. „Das ist ein Irrtum, aber saisonabhängig ist das Paketaufkommen schon.“ Klar, Weihnachten sei Hochsaison, ebenso der „Black Friday“ oder Ostern. Der absolute Bestellwahnsinn aber bricht vorm ersten sommerlichen Wochenende aus: Wenn ganz Deutschland zeitgleich Grill- und Badezubehör ordert.
Ein Blick in Amazons Sortation-Center
Übrigens: Auch Sie können das Amazon-Logistikzentrum besichtigen: Im Rahmen vielen Aktion zum 75-jährigen Bestehen der WAZ verlosen wir 30 Plätze für eine Besichtigung am Donnerstag, 20. April. Das Gewinnspiel läuft vom 1.4 bis zum 12.4.. Eine Teilnahme ist möglich unter waz.de/amazon-fuehrung. Weitere Aktionen: waz.de/75aktionen.