Witten. Einst hat er mit geklauten Spraydosen an eine Polizeiwache gesprüht, jetzt stellt er seine Werke aus. Choko aus Witten spricht über sein Leben.
Als Jugendlicher hat er mit geklauten Spray-Dosen illegal sein erstes Graffiti an eine Polizeiwache gesprüht, heute ist „Herr Choko“ Künstler und stellt seine Werke nun im Märkischen Museum aus. Der 35-jährige Wittener hat eine besondere Geschichte hinter sich und es hat lange gedauert, bis er für sich den Titel „Künstler“ annehmen konnte. Im Interview spricht er über seinen Burnout, wie die Kunst für ihn erst Anschluss und dann Therapie bedeutete und wie es illegale Graffitis in Galerien und Ausstellungen schaffen.
Herr Choko, wie sind Sie zum Graffiti gekommen?
Das Erste, was ich gesprayt habe, war an einer Polizeiwache (lacht). Meine ersten Spraydosen habe ich bei Karstadt geklaut. Ich hatte halt keine Kohle und Sprühdosen waren teuer. Ich habe dann den Ladendetektiv ausgetrickst, und die Dosen in meinen Rucksack gesteckt. Da war noch nichts mit Kameras und Alarm, also bin ich dann da wieder rausmarschiert.
Wann haben Sie angefangen?
Ich habe mit zwölf angefangen zu sprühen, auch illegal und seitdem damit nicht aufgehört. Ich kam dazu, weil ich auf der Straße damit konfrontiert war und es mich fasziniert hat, wie man in einer nächtlichen Aktion so coole Bilder machen kann. Das hat mich total angezogen. Ich wollte Teil des Ganzen sein.
Und heute sind Sie offiziell Künstler...
Ich habe mich total schwergetan, den Begriff anzunehmen. Ich habe mir nie wirklich vorgenommen, Kunst zu machen. Die meisten Sprüher haben das nicht vor und würden sich auch nicht so bezeichnen. Das ist bei mir eher ein langer Prozess, den ich durchlaufen habe. Weil ich heute davon lebe und auch ausstelle, ist Künstler einfach meine Berufsbezeichnung.
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Wie sieht das dann aus? Der illegale Sprayer, der jetzt in Ausstellungen hängt? Ihre Werke sind ja nicht einfach nur stupide Sprühereien.
Ich habe versucht, so authentisch wie möglich meine Sachen auf die Leinwand zu übertragen. Es ist auch die Technik, die ich an der Wand benutzen würde. Zum Beispiel arbeite ich mal in die Nässe hinein und lasse die Nässe auf die Farbe reagieren. So kommen dann verschiedene Effekte zustande, auch durch Abstand, Geschwindigkeit oder Bewegung.
Wie sehen Ihre Werke aus?
Die Erfahrung mit der Dose, die ich über 20 Jahre gesammelt habe, versuche ich auf das Wesentliche zu komprimieren. Ich möchte mit so wenig wie möglich so viel wie möglich ausdrücken. Ich arbeite auch nur in schwarz und weiß. Ich habe früher viel fotografiert und mal das Zitat gehört, dass man mit Farben die Kleidung, aber in schwarz und weiß die Seele fotografiert.
Was fasziniert Sie an Graffiti?
Graffiti ist etwas total Ehrliches. Weil du in ganz kurzer Zeit unter beschissenen Bedingungen das beste Resultat erzeugen musst, das möglich ist. Du hast Zeitdruck, Dunkelheit und Schiss, dass die Bullen hinter dir stehen und musst dann trotzdem abliefern.
Was hat Ihnen das alles gegeben?
Mir fiel es früher schwer, in der Schule klar zu kommen. Ich wurde oft als dumm und faul abgestempelt. Jetzt im erwachsenen Alter haben sie bei mir ADHS diagnostiziert, was auch vieles erklärt. Ich war unterfordert und wurde nicht in meinen Stärken gefördert. In der Szene habe ich das erste Mal Anschluss bekommen und das hat mir viel gegeben.
Und was gibt Ihnen die Kunst heute?
Ich bin mit Mitte 20 ziemlich früh Vater geworden. Eigentlich wollte ich die Welt bereisen und weiter fotografieren. Ich war dann allerdings anderthalb Jahre selbstständig und alleinerziehend, woraufhin ich einen Burnout bekommen habe. Danach bin ich mit 400 Euro von Barcelona nach Lissabon getrampt und habe mich selber gesammelt. Dann fing es mich, auf der Suche nach inneren Frieden und um mich selber zu therapieren, auf Leinwänden auszudrücken. Ich habe das nicht für Galerien, sondern für mich gemacht.
Wie sah Ihr Leben denn davor aus?
Ich habe schon immer gemalt und mir war klar, dass ich etwas im gestalterischen Bereich machen möchte. Ich habe dann eine schulische Ausbildung zum gestaltungstechnischen Assistenten angefangen und den Zugang zum Fotografieren bekommen. Danach habe ich eine Ausbildung in einer Grafikagentur in Bochum gemacht. Parallel hatte ich schon viele Fotojobs. Eine Zeit lang habe ich auch nicht gesprayt, sondern die Szene fotografisch begleitet, weil ich dort mehr Mehrwert gesehen habe. Du bringst halt viele Opfer und lebst immer am Minimum. Ich war aber immer fleißig.
Infos zur Ausstellung
Die Ausstellung im Märkischen Museum heißt „Metamorphose Graffiti - Ästhetik der Auflehnung“ und geht vom 21. September 2024 bis 2. Februar 2021. Die Ausstellung widmet sich der Graffitikultur und ihrer Entwicklung.
Neben Choko stellen mit Anne Brauer, Jan Birkenwald, Mason und Mathias Weinfurter noch weitere Künstlerinnen und Künstler ihre Werke aus.
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