Witten. Das Ehepaar Arntzen führt in Witten-Stockum ein Traditionsgeschäft. Die Arbeit hat die Floristen ausgelaugt. Warum das Paar die Notbremse zieht.
Vor fünf Jahren, im Frühjahr 2015, wurde ihr Traum wahr: Das Floristen-Ehepaar Kathrin und Dirk Arntzen zog mit seinem Blumenladen vom Stockumer Bruch an die Pferdebachstraße in Stockum um. Ihre neue Adresse: die frühere Kirche der neuapostolischen Gemeinde. Arntzens hatten das Gotteshaus gekauft. Heiligabend werden sie ihr Geschäft abschließen. Für immer.
Sie haben es schon in sozialen Netzwerken angekündigt, ihren Kunden im Laden erzählt und diese mit Handzetteln darauf aufmerksam gemacht: In Stockum wird es in wenigen Wochen kein Blumengeschäft mehr geben. Nicht Corona oder finanzielle Probleme hätten zu dieser Entscheidung geführt, sagt Dirk Arntzen (52). „Wir können nicht mehr.“
Kathrin Arntzen aus Witten-Stockum fühlte sich wie im Hamsterrad
Ihr jahrzehntelanges Leben als Selbstständige hat den Arntzens viel abverlangt. Der Betrieb, drei Kinder, der private Haushalt – „das Hamsterrad“, wie Kathrin Arntzen es nennt, führte bei ihr zu einer tiefen Erschöpfung. Bis zum 24. Dezember will die gebürtige Sächsin noch durchhalten und dann im neuen Jahr unbedingt etwas dafür tun, „dass ich wieder gesund werde“.
In ihrem Blumenladen kann man an der Wand des früheren Altarraums lesen „Blumen sind das Lächeln der Natur“. Auch die 44-jährige Floristin möchte wieder lächeln können. Im Juli kommenden Jahres feiern sie und ihr Mann Silberhochzeit. Kathrin Arntzen verliebte sich als Lehrmädchen bei den Eltern ihres Mannes in den gelernten Gärtner und Floristmeister. Dirk Arntzens Eltern waren von dieser Beziehung nicht begeistert, akzeptierten ihre spätere Schwiegertochter nicht. Wie schlecht das Verhältnis war, erklärt ihr Mann mit einem Satz: „Als wir verlobt waren, gaben meine Eltern in Fachzeitschriften Anzeigen auf: ,Suche hübsche Floristin, die in Familienbetrieb einheiraten möchte’.“
Familienbetrieb wurde in den 30er Jahren von Erich Jung gegründet
Der Floristmeister stand zu seiner Liebe, die beiden heirateten. Das Paar bekam zwei Söhne, heute 13 und 21 Jahre alt, und eine Tochter (17). Die Floristen übernahmen den Familienbetrieb, den Arntzens Großvater Erich Jung bereits in den 30er Jahren in Stockum gegründet hatte. Kathrin Arntzen war schon in jungen Jahren Geschäftsfrau und Mutter. Aufgaben, die sie sehr viel Kraft gekostet haben. „Wir hatten keinerlei Hilfe durch meine Eltern und Schwiegereltern.“ Wenn die Kinder krank gewesen seien, habe man sie früher mit ins Geschäft genommen, um sie dort betreuen zu können.
Die Arbeit habe sie aufgefressen, sagt die 44-Jährige. Auch Dirk Arntzen spricht von „viel Verzicht, 2016 haben wir das erste Mal als Familie gemeinsam 14 Tage Urlaub gemacht“. Der 52-Jährige fügt hinzu: „Unsere Batterien sind leer und können in diesem Betrieb nicht mehr aufgeladen werden.“ Das Ehepaar hat mit der Aufgabe des Blumengeschäftes jetzt für sich die Notbremse gezogen. „Mein Hausarzt hat mir die Hand geschüttelt und mich zu dieser Entscheidung beglückwünscht“, sagt Arntzen. Seit Februar hat er bundesweit nach einem Nachfolger für seinen Blumenladen gesucht. Er hat niemanden gefunden, „obwohl unser Umsatz stimmt“.
Für die frühere Kirche gibt es zwei, drei ernsthafte Interessenten
Letzter Gottesdienst fand 2011 statt
Das Blumengeschäft der Floristenfamilie Arntzen befindet sich in der früheren Kirche der neuapostolischen Gemeinde Witten-Stockum. Diese wurde 1984 gegründet und konnte ab Juni 1989 das neu erbaute Gotteshaus an der Pferdebachstraße nutzen. Dort fand am 6. April 2011 der letzte Gottesdienst statt.
Die Stockumer Gemeinde wurde mit der neuapostolischen Gemeinde Witten-Mitte zusammengelegt. Die neuapostolische Kirche ist heute mit etwa 335.000 Mitgliedern die viertgrößte christliche Kirche in Deutschland – nach der katholischen Kirche, der evangelischen und der orthodoxen Kirche.
Die ehemalige Kirche wird er jedoch vermieten können. „Es gibt zwei, drei ernsthafte Interessenten. Es sind keine Einzelhändler“, verrät der Floristmeister. Er wird seinen Beruf nicht an den Nagel hängen, sondern weiterhin als Friedhofsgärtner arbeiten. „Ich biete Grabgestaltung und -pflege sowie Trauerfloristik an.“ Dies sei bisher schon ein wichtiges Standbein seines Betriebes gewesen, sagt er. Bei der Floristik wird Kathrin Arntzen ihrem Mann helfen. „Aber erst einmal werde ich mich um meine Gesundheit kümmern.“ Eine Kur ist geplant. Die, so hofft sie, wird sie auch in Corona-Zeiten genießen können.
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