Witten. Das milde Wetter lockt noch viele Menschen nach draußen. Da dürfte auch der ein oder die andere Cannabiskonsumentin dabei sein. Wir trafen zwei.

  • Zwei Kifferinnen, die wir im Wittener Stadtpark trafen, packen aus
  • Beide waren 17, als sie erstmals Cannabis konsumierten
  • Sie kommen auf ein bis zwei Joints pro Tag

Ein süßlicher Geruch liegt in der warmen Luft. Ganz offen rauchen zwei junge Frauen auf einer der oberen Bänke im Stadtpark einen Joint. Kein Versteckspiel mehr, keine Angst vor Polizeikontrollen: Seitdem Cannabis am 1. April zumindest teilweise legalisiert wurde, können Kifferinnen und Kiffer in Witten relativ entspannt durchatmen.

Wir haben diesen Bericht schon einmal im Frühling veröffentlicht. Noch immer sind keine „Cannabis Social Clubs“ in Witten angemeldet. Sie hängen ein bisschen in der Luft. Denn es gilt, viele Auflagen zu erfüllen. Kiffen ist seit April legal. Und bei diesem schönen Wetter ist der süßliche Geruch draußen immer wieder wahrzunehmen. Das Thema bleibt also in jeder Hinsicht aktuell.

Das neue Gesetz bedeutet allerdings noch nicht die grenzenlose Freiheit. Zwar darf man nun an bestimmten Stellen in der Stadt ab 18 Jahren Gras oder Haschisch konsumieren und bis zu 25 Gramm dabeihaben. Solange es aber noch keine eingetragenen Anbauvereine gibt, ist der Kauf nach wie vor strafbar. Ob die Polizei das kontrolliert? Zumindest ist die Gesetzeslage auch für sie neu und der aktuelle Umgang mit Kiffern daher eher noch unklar.

Mehr zum Thema

An diesem milden Tag denkt aber keiner im Park an Gesetze und Paragrafen. Julia und Lea (beide 20, Namen teilweise geändert) kiffen, seitdem sie 17 sind. Es begann mit dem ersten Joint unter Freunden. „Irgendwann fing man dann selbst an, sich einen zu bauen und etwas zu besorgen“, sagt Lea, eine gelernte Frisörin.

Sie zeigt uns ihr Tütchen mit Gras, das sie „Haze“ nennt. Dabei handelt es sich um eine Marihuana-Sorte. Genauer gesagt: „Das ist Sativa und pusht uns hoch.“ Das Internet liefert die genaue Erklärung: „Ursprünglich als reine Sativa-Sorte entwickelt, hat sich Haze zu einer Mischung aus Sativa und Indica entwickelt. Es ist bekannt für seinen THC-Gehalt.“ THC ist der „hauptsächlich rauschbewirkende Bestandteil“ der Hanfpflanze (Cannabis), heißt es im Netz.

Wittenerinnen rauchen ein bis zwei Joints am Tag, manchmal auch mehr

Die jungen Frauen kennen sich gut aus und erklären uns auch noch die Wirkung von „Indica“, das sie im Szenejargon mit „in die Couch“ übersetzen. „Danach ruht man sich aus oder schläft.“ Der Joint, den sie sich gerade im Stadtpark geteilt haben, entspannt sie. „Ich bin angedichtet, einfach ruhig. Ich mache mir keine Gedanken über was anderes und genieße den Moment“, sagt Lea. „Um stoned (berauscht) zu sein, bräuchte ich aber noch einen.“

Rückgang bei Rauschgiftdelikten

Die Polizei hat im letzten Jahr 253 Rauschgiftdelikte in Witten gezählt. Im Jahr zuvor, also 2022, gab es noch 336 Fälle. Das bedeutet einen Rückgang von knapp 25 Prozent. In fast 67 Prozent (169 Delikte) aller Vergehen ging es um Cannabis, 25-mal um Amphetamine (zehn Prozent), 19-mal um Kokain, einschließlich Crack (7,5 Prozent) und achtmal um Heroin (drei Prozent). Das waren die fünf am häufigsten vorkommenden Rauschgiftarten.

Die Freundinnen - Julia studiert - kiffen fast täglich, meist am Abend, nach der Arbeit. Sie kommen auf „ein bis zwei Joints pro Tag“, manchmal vielleicht auch drei. Sie schmeißen zusammen, um die 70 Euro in der Woche. Das Gramm gibt‘s für zehn Euro. Sie kennen ihren Dealer, den sie auch „Ticker“ nennen („verticken“ heißt verkaufen). Er sei einer der wenigen „korrekten“ Verkäufer, der den Stoff nicht strecke, also mit anderen Substanzen vermischt.

Tütchen mit
Ein Tütchen mit „Haze“, sprich Marihuana, fotografiert im Wittener Stadtpark. © WAZ | Jürgen Augstein

In der Szene in Witten werde „viel vorgestreckt“, selbst mit Rattengift und Viagra. Manchmal werde Haarspray draufgesprüht, „damit es schwerer wird“. Sie haben Bekannte, die seien dann „abgeschmiert“. „Ihnen wurde schwarz vor Augen, weil irgendwas Doofes drin war.“

Julia und Lea versprechen sich von der Teil-Legalisierung besseres, reines Marihuana, das Anbauvereine künftig anbieten sollen, frühestens ab Juli. In Witten haben bisher mindestens vier Vereine Interesse angemeldet, sogenannte „Cannabis-Social-Clubs“ zu werden.

+++Folgen Sie jetzt auch dem Instagram-Account der WAZ Witten+++

Dort müsste man dann auch rauchen und etwas trinken dürfen, finden die Freundinnen, ähnlich wie in den holländischen Coffee-Shops. „Das könnte man ja auch in Außenbezirken wie Bommern, Herbede oder Heven anbieten.“ Dass mit der Teil-Legalisierung der Schwarzmarkt ausgetrocknet wird, glauben sie aber nicht. „Das wird höchstens weniger.“

Julia und Lea verklären das Kiffen nicht, sie finden es „weder schön noch cool“. „Natürlich ist es nicht gut und schadet dem Körper. Es bleibt ja eine Droge.“ Während sie selbst ihr Leben und ihre Arbeit noch gut auf die Reihe kriegen („wir sind nicht verpeilt“), kennen sie auch andere Fälle. Wo der Genuss letztlich zum „Bad Trip“ wurde, zur „schlechten Reise“. Lustlosigkeit, Vergesslichkeit, soziales Abkapseln gelten als mögliche Symptome anhaltenden Cannabiskonsums, bis hin zu Depressionen und Psychosen.

+++ Wo in Witten ist Kiffen erlaubt? Hier geht es zur interaktiven Karte +++

Julia und Lea können manchmal 20 Minuten am Stück nur lachen, wenn sie geraucht haben. „Und was ich am Kiffen so liebe, ist die Fresssucht danach“, sagt Lea. „Dann schmeckt alles noch mal doppelt so gut.“ Heute, im Stadtpark, haben sie selbst gemachten Erdbeerjogurt dabei. Das Runterkommen ist dagegen manchmal weniger schön. „Man starrt einfach vor sich hin, guckt ins Leere.“ Deshalb sagt Lea auch: „Jetzt noch einen zu rauchen, wäre geil.“

Der Lutherpark in Witten
Anders als im Stadtpark darf im Lutherpark in Witten nicht gekifft werden - weil Spielplatz und Skateranlage in Sichtweite liegen. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Sie sind froh, dass sie dafür nun nicht mehr in der Öffentlichkeit den Schutz der Dunkelheit suchen müssen. „Blöde Blicke“ gebe es aber noch. Sie vermeiden die Nähe zu Kindern, zu Spielplätzen - zumal es in deren Umgebung weiterhin untersagt ist, zu kiffen. Verbotszonen reichen vom Lutherpark über Schulen bis (zumindest tagsüber) zur Fußgängerzone.

Der Nachmittag neigt sich dem Ende zu, Lea und Julia brechen in den frühen Abend auf. Lea wird ihr farbiges „Haze“-Döschen heute bestimmt noch mal auspacken. Sie sind nicht die Einzigen, die bei dem wärmeren Wetter nun immer öfter draußen kiffen. Auch von der Liegewiese im Park weht ein süßlicher Duft herüber. Alles ganz legal.