Witten. . Das Zweigwerk Sachsen des Pflegebettenherstellers Völker schließt. Statt 33.000 sollen nur noch 18.500 Betten produziert werden. Betriebsrat und IG Metall sehen den Standort Witten in Gefahr.
Beim Pflegebettenhersteller Völker schrillen die Alarmglocken. Nach dem Scheitern der Gespräche zu einem Interessenausgleich erläuterten Betriebrat, IG Metall und die Bürgermeisterin am Mittwoch gemeinsam vor der Presse, warum ihnen auch der Standort Witten ernste Sorgen bereitet.
Bei der Übernahme durch die in den USA börsennotierte Hill-Rom Holding 2012 – im hundertsten Jahr der Firmengeschichte – hatte Hill-Rom/Völker in Witten und Hainichen 425 Beschäftigte. 370 waren es noch bei den Betriebsratswahlen vor einem Jahr. Das erst 1997 eröffnete Zweigwerk in Sachsen (Betten, Antriebstechnik) soll in zwei Schritten geschlossen werden: 50 Mitarbeiter müssen Ende 2015 gehen. Für die 30 dann Verbliebenen wurde „die Gnadenfrist bis Ende 2016 verlängert“, so der Hainichener Betriebsratsvorsitzender Torsten Neubert, um die Möbelreparatur und Ersatzteilbelieferung weiter zu gewährleisten.
Gewerkschaft will vernünftige Abfindung
„Wir wollen für diese Kollegen eine vernünftige Abfindung und einen besseren Kündigungsschutz für Witten“, nennt Mathias Hillbrandt, Bevollmächtigter der IG Metall Witten, die Forderungen für den Sozialplan, der jetzt ausgehandelt werden soll. Ein Abfindungsangebot von 55 Prozent eines Bruttomonatsgehalts pro Jahr Betriebszugehörigkeit liegt auf dem Tisch. Betriebsrat und Gewerkschaft fordern den 1,6-fachen Satz. Sie verweisen auf die schlechte Beschäftigungslage in Sachsen.
Für Witten ist von Kündigungen noch nicht die Rede. Die Hill-Rom-Geschäftsführung erkläre stets, „Völker ist unser Herzstück“ und Witten werde von der Aufgabe von Hainichen profitieren, berichtet Mathias Hillbrandt. „Aber davon sind wir nicht überzeugt“, so der IG-Metall-Chef. Statt einer schlüssigen Strategie, die die Geschäftsführung weiter schuldig bleibe, habe sie nur eine Zahl genannt: Völker soll sich auf eine Jahresproduktion von 18.500 Pflegebetten einrichten. Aktuell werden in Witten und Hainichen zusammen rund 33.000 Betten produziert. Befürchtet wird aber nicht nur ein Rückgang der Produktion, sondern, dass die Marke Völker über kurz oder lang ganz vom Markt verschwindet. Fehlentscheidungen zur Marktausrichtung und die Aufgabe eines eigenständigen Völker-Vertriebs sollen dafür verantwortlich sein. Die Bürgermeisterin sieht den Standort Witten „extrem gefährdet“. Zweimal hat die Wirtschaftsdezernentin mit der Hill-Rom-Geschäftsführung gesprochen. „Konzeptionslosigkeit“ habe sie festgestellt. Wortwörtlich befürchtet Sonja Leidemann „ein kaltes Ausbluten“ des Traditionsunternehmens.
Fiat hat den Mercedes gekauft
„Hill-Rom war der Fiat, der den Mercedes gekauft hat“ – mit dieser Formel bringt IG-Metall-Bevollmächtigter Mathias Hillbrandt die Situation beim Pflegebettenhersteller Völker im Wullener Feld aus seiner Sicht auf den Punkt.Das in drei Generationen aufgebaute Familienunternehmen stieg auf zum deutschen Marktführer bei innovativen und hochwertigen Pflegebetten, verdiente sich weltweites Renommee. Völker setzte unter anderem mit integrierten Seitengittern und elektrischem Antrieb Standards, an denen sich andere orientierten. Als Heinrich Völker die Firma 2012 veräußerte, übernahm Hill-Rom in der neuen Unternehmensarchitektur den Vertrieb. Die Völker GmbH ist seitdem reine Produktionsstätte.
Kein direkter Marktzugang
„Hill-Rom kauft die Betten von Völker, um sie dann auf dem Markt zu verkaufen. Das Problem der Völker GmbH ist, dass sie keinen direkten Marktzugang hat“, erläutert Prof. Heinz-J. Bontrup. Der Name drohe unterzugehen. Der Ökonom hat für die Arbeitnehmerseite ein Fachgutachten erstellt. Hill-Rom, das auch Betten in Frankreich produziert, steht laut Ralf Leifeld, Rechtsberater des Betriebsrats, für ein anderes Konzept: „Bei denen geht es um Masse und Marge.“ Die früheren Völker-Verkäufer kämen mit dieser Philosophie nicht zurecht. Von 15 sind nur drei geblieben. Dem Vertriebsgeschäftsführer wurde gekündigt. „Der eigene Vertrieb von Völker ist tot“, sagt IG-Metall-Chef Mathias Hillbrandt. Ohne Verkäufer mit Expertenwissen sind die Aussichten, im Markt der High-End-Produkte zu bestehen, nicht gut.
Für den Betriebsratsvorsitzenden Rolf Vieth gibt es weitere Warnzeichen. So werde die Produktion von Aktivliegeflächen zugunsten von Hill-Rom-Matratzen eingestellt. Hochgelobte Eigenentwicklungen wie ein Diagnosetool und eine Bluetoothsteuerung (kabelloses Pflegebett) würden nicht weiter verfolgt. Auch die Plattformstrategie, dass eben Betten-Komponenten von Völker (z.B. Antrieb) und Hill-Rom zueinander passen sollten, habe man aufgegeben. „Der Wettbewerb hat früher auf Völker geguckt,“ sagt Vieth, „wir waren Vorreiter, alle haben nach uns geschaut und uns kopiert.“ Diese Position sei ernsthaft in Gefahr. Heinrich Völker, Enkel des Gründers, war nach dem Verkauf an Hill-Rom zunächst noch als Berater für die neuen Eigentümer tätig. Inzwischen, so der Betriebsrat, sei der Wittener auf dem Firmengelände nicht mehr willkommen.
Gespräche um Interessenausgleich gescheitert
Trotz einjähriger Gespräche hatte die Einigungsstelle die Verhandlungen zum Interessenausgleich am 6. Februar für gescheitert erklärt. Den Ausschlag gab die Stimme des Vorsitzenden, ein Richter aus Hamm.
Die Geschäftsführung machte die Arbeitnehmer für die Dauer verantwortlich. Jetzt müsse gehandelt werden. Der Betriebsrat sagt, ihm seit kein ganzheitliches Konzept vorgelegt worden. Mit einer Unterschrift hätte man „einem Blindflug“ zugestimmt.
Pläne von Hill-Rom
Hill-Rom ist ein nach eigenen Angaben weltweit führendes medizintechnisches Unternehmen mit mehr als 7000 Mitarbeitern in über 100 Ländern.
Für Europa kündigte Hill-Rom vor einem Jahr Investitionen von 7 Mio Euro an, eine Million in Witten. Angekündigt wurden eine neue zentrale (Finanz-)Verwaltung in Osteuropa und ein regionales Distributionszentrum im Großraum Witten. Beides wurde bisher nicht umgesetzt.