Witten. „Handtaschendoktor“ David Usadel aus Witten ist heute vor allem Psychotherapeut. Er setzt auf Online-Beratung und gibt Tipps gegen Corona-Stress.
Der Wittener Arzt Dr. David Usadel sucht ständig neue Herausforderungen. Er hat nicht nur seinen Job als Allgemeinmediziner an den Nagel gehängt, sich weitergebildet und Ende 2018 eine eigene Praxis für Psychotherapie eröffnet, sondern außerdem ein Buch geschrieben und nebenbei Handtaschen designt. Seine neue Idee ist der Pandemie geschuldet: Der 40-Jährige bietet erstmals therapeutische Beratung „ohne Couch“, dafür per Video und Telefon an.
Corona schlägt gerade vielen Menschen schwer auf die Psyche. Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?
David Usadel: Die Pandemie beherrscht meinen Beruf gerade komplett. Sie taucht in allen Gesprächen früher oder später auf. Schwere Depressionen nehmen zu. Die Wartelisten werden länger. Im Gegensatz zu früher habe ich ungefähr 40 bis 50 Prozent mehr Patientenanfragen.
Was macht den Menschen besonders zu schaffen?
Schon mit dem ersten Lockdown haben Existenzängste und Panikstörungen deutlich zugenommen. Leidtragende sind vor allem Frauen, die Haushalt, Kinderbetreuung und Homeschooling unter einen Hut bringen müssen. Aber auch Kinder und Jugendliche sind stark betroffen. Partnerschaften werden auf die Probe gestellt. Häusliche Gewalt nimmt zu. Suchterkrankungen ebenfalls. Im Homeoffice fehlt vielen die Tagesstruktur. Auch fehlt vielen inzwischen das Verständnis für die Logik der Corona-Regeln. Sie tun sich schwer mit dem ständigen Hin und Her – und wie sie das alles zum Beispiel ihren Kindern vermitteln sollen. Das sind die Kollateralschäden der Pandemie. Darauf muss man nun ein Auge haben.
Psychotherapie per Video oder Telefon ist Ihre Antwort darauf?
Das Angebot richtet sich an Menschen, die dringend Hilfe benötigen und bisher keinen Therapieplatz finden konnten oder die Zeit bis zum Beginn der Therapie überbrücken möchten. Oder an Menschen, die aus beruflichen oder familiären Gründen Schwierigkeiten haben, Termine vor Ort in ihren Alltag zu integrieren. Aber auch an Menschen, die das Haus derzeit nur bedingt verlassen können, etwa weil sie in Quarantäne sind oder Angst vor Ansteckung haben.
Wie sind Sie darauf gekommen?
Eine junge Frau, die im Ausland lebt, hat einen deutschsprachigen Psychotherapeuten gesucht, der ihr auf die Entfernung helfen sollte. Da habe ich gemerkt, es gibt Bedarf. Außerdem geht es darum, möglichst schnell eine erste Einschätzung vorzunehmen, um dementsprechend handeln zu können. Ich versuche herauszufinden, wie dringend das Problem ist – ob man vielleicht noch ein paar Monate mit der Therapie warten kann oder ob ich den Betreffenden sogar an eine Klinik weitervermitteln muss.
Fehlt dabei nicht der unmittelbare Kontakt zum Patienten?
Ich war auch erst skeptisch. Denn ich achte viel auf Körpersprache und Gerüche. Aber ich habe mich schnell daran gewöhnt. Ein Vorteil: Anfahrtswege für den Patienten fallen weg. Klar ist aber auch, dass diese Art des Kontakts keine Dauertherapie ersetzt. Es geht vor allem darum, den Leuten schnell eine erste Hilfe anzubieten.
Wie integrieren Sie das neue Angebot in Ihre tägliche Arbeit?
Ich halte mir die Samstage dafür frei. Die Termine können online über mein Portal gebucht werden.
Was raten Sie uns allen nach fast zwei Jahren Pandemie?
Wem die fehlende Tagesstruktur Probleme macht, dem rate ich zu einem schriftlichen Plan für den nächsten Tag oder die ganze Woche. Mit genauen Uhrzeiten, wann man aufsteht, isst, spazieren geht. Für manche ist es auch gut, den Medienkonsum zu dosieren, also etwa nur noch einmal am Tag die Nachrichten zu schauen, um zur Ruhe zu kommen. Frauen rate ich, ihren Perfektionismus abzulegen und gnädiger mit sich zu sein. Ganz wichtig für alle sind frische Luft, Bewegung und eine gute Ernährung. Sonst schafft man sich die nächsten Probleme.
Was hilft Ihnen persönlich?
Für mich sind meine Hunde der Ausgleich.
Hat die Pandemie vielleicht auch irgendeinen positiven Effekt?
Viele haben festgestellt, dass sie in schwierigen Zeiten mehr zu sich selbst finden. Manche machen nun das, was sie schon immer machen wollten.
Zum Beispiel Bücher schreiben, wie Sie?
Eine Fortsetzung meines ersten Romans „Die Ordnung der Schmetterlinge“, in dem es um Hochsensibilität geht, ist tatsächlich in Arbeit und soll gegen Ende des Jahres fertig sein. Diesmal beschäftige ich mich mit früher Traumatisierung. Die kreative Tätigkeit erfüllt mich.
Und was macht Ihre Handtaschenproduktion?
Die läuft nur noch nebenbei. Es gibt keine neuen Designs. Ich habe so viel anderes zu tun.