Witten. Je länger die Pandemie dauert, desto mehr nimmt häusliche Gewalt zu. Beratungsstelle in Witten und Frauenhaus EN sehen aber nicht nur schwarz.

Die Lage in der Frauenberatungsstelle Witten und im Frauenhaus des EN-Kreises ist dramatisch: Denn inzwischen habe nicht nur das Ausmaß der Gewalt in der Pandemie massiv zugenommen. „Auch das Aggressionspotenzial in zuvor nicht betroffenen Familien steigt“, sagen Andrea Stolte und Marion Steffens von „Gesine Intervention“, dem Zentrum für Prävention, Information, Schutz und Unterstützung bei Gewalt gegen Frauen. Doch sie haben auch gute Nachrichten.

Im ersten Lockdown, als die Zahlen zunächst sogar zurückgingen, hätten viele gedacht: „Das wird ja gar nicht so schlimm“, sagt Andrea Stolte. Doch es habe daran gelegen, dass es den Frauen – und auch Kindern – kaum gelang, um Hilfe zu bitten, weil sie ja zuhause ständig unter Kontrolle standen. „Die mussten sich im Klo einsperren oder warten, bis der Partner schläft, um dann flüsternd anzurufen.“

Wittener Beraterin: Familien hocken aufeinander und schreien sich an

Doch dann sei die Situation explodiert, so Stolte. Im vergangenen Jahr musste der Verein „Frauen helfen Frauen“, zu dem Beratungsstelle und Frauenhaus gehören, nach 212 Dokumentationen über häusliche Gewalt, die von der Polizei an sie weitergeleitet wurden, tätig werden. „Das sind 44 mehr als im Jahr zuvor.“

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„Unsere Klienten sind durch die Bank belasteter“, sagt Andrea Stolte. Das gelte vor allem für Frauen, die die Krise generell viel härter treffe. „Sie erfahren nicht nur Gewalt, sondern leisten zudem mehr Care-Arbeit.“ Im Lockdown würden sich aber auch immer mehr Männer melden, die zuvor nicht unbedingt gewalttätig waren. Stolte wundert das nicht: „Die Familien hocken aufeinander, schreien sich an und kriegen die Situation nicht mehr in den Griff. Auseinandersetzungen eskalieren.“

Corona hat die Situation im Frauenhaus EN erschwert

Auch im Frauenhaus mit seinen 25 Plätzen fragen wesentlich mehr Frauen in Not an, „als wir aufnehmen können“, weiß Marion Steffens, die die Einrichtung leitet. Corona habe die Lage dort zusätzlich erschwert. „Doch bisher haben wir keine Infektion im Haus gehabt.“ Dafür haben sie mit Unterstützung der Kreisverwaltung eine „Zufluchts-Wohnung“ einrichten können. Dort werden Frauen, die neu ankommen, zunächst getestet. „Und sie können etwas zur Ruhe kommen.“ Dennoch stehen die Mitarbeiterinnen ständig vor neuen Herausforderungen.

Hier gibt es Hilfe

Frauen und auch Männer, die Gewalt in der Familie erfahren, können sich an die Beratungsstelle in Witten wenden, 02302-52596. Frauen können mit ihren Kindern auch direkt Hilfe im Frauenhaus des EN-Kreises suchen, 02339-6292. An Männer, die gewalttätig sind und ihr Verhalten ändern möchten, richtet sich das Angebot „Toni“ (Tatorientierte nachhaltige Intervention), 02336-4759094.Alle drei Angebote gehören zu „Gesine Intervention“, dem Zentrum für Prävention, Information, Schutz und Unterstützung bei Gewalt gegen Frauen im EN-Kreis. Spenden für das Frauenhaus werden dringend benötigt. Info: www.gesine-intervention.de.Kinder und Jugendliche können die kostenlose „Nummer gegen Kummer“ anrufen, 116 111.

„Stellen Sie sich mal Homeschooling im Frauenhaus vor“, sagt dessen Leiterin. Die derzeit elf Schulkinder bräuchten einen Laptop. Die Mütter, meist Hartz-IV-Empfängerinnen, könnten sich so etwas aber nicht leisten. Zwei neue Geräte wurden zum Glück gespendet. „Aber die Kinder müssen ja auch in Ruhe irgendwo sitzen können.“ Doch Steffens will nicht jammern. „Mit Engagement und Kreativität geben wir den Frauen all unsere Unterstützung.“

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Noch etwas haben die beiden Gesine-Frauen festgestellt: Nicht nur die Gewalt in den Familien hat zugenommen, sondern auch das Interesse der Bevölkerung an dem, „was wir machen“. Masken und viele andere Sachspenden haben sie erhalten, auch Geld. „Und vor allem das brauchen wir dringend“ – um es gezielt einsetzen zu können. „Da muss ja nur mal der Laptop kaputt gehen“, so Steffens.

Expertinnen appellieren: Meldet euch, wenn der Pegel steigt

Auch wenn das Haus voll ist und Gespräche in der Beratungsstelle derzeit nicht persönlich stattfinden können, appellieren Steffens und Stolte an Frauen ebenso wie Männer: „Meldet euch! Schickt eine Mail oder ruft an, wenn der Pegel steigt! Wir sind für alle da.“ Manchmal, sagen sie, könne schon ein 15-minütiges Gespräch für die Betroffenen ein Lichtblick sein. Was beide dennoch ahnen: „Die Probleme sind mit dem Ende der Pandemie nicht vorbei.“ Im Gegenteil: „Sie werden uns noch sehr lange begleiten.“

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