Mülheim. Flüchtlinge fühlen sich oft nirgends mehr sicher und zu Hause. In Mülheim finden sie jetzt psychologische Hilfe bei zwei Muttersprachlerinnen.
„Ich möchte kein Bürgergeld mehr. Ich möchte arbeiten. Und deutsche Freunde finden. Ich möchte endlich meine Zukunft anfangen. Ich bin doch ein ganz normaler Mensch.“ Die Frau, von der diese verzweifelten Sätze stammen, heißt Yana Diorditsa. Die 39-Jährige stammt aus einem Dorf nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew, sie hat Bomben fallen sehen, musste sich im Keller verstecken. Im März 2022 ist sie mit ihren Kindern, geflohen, lebt seither in Mülheim. Drei Jahre ist sie in der neuen Heimat, Tränen fließen trotzdem noch. Die Erinnerung an alles, was zurückbleiben musste, belastet sie. Aber manchmal auch das neue Leben, in das sie schwer hineinfindet. Hilfe erfährt Yana bei Psychotherapeutinnen der Caritas Mülheim. Sie können bestens nachempfinden, wie es ihr geht.
Nataliia Tyrinova (52) und Yaroslava Kapinus (48) teilen ihre Geschichte. Auch sie kommen aus der Ukraine, auch sie sind 2022 vor dem Krieg geflohen. Die erstgenannte ist Neurologin und Psychotherapeutin, die zweite war früher Botschaftsangehörige und hat sich dann ebenfalls zur Therapeutin ausbilden lassen. Es ist ein großes Glück für beide, dass ihre Fach- und Sprachkenntnisse ihnen den Weg auf den deutschen Arbeitsmarkt geebnet haben. Der Bedarf an Menschen, die Flüchtlingen in der Muttersprache helfen können, ist immens. Und so hat die Caritas die beiden Frauen gern eingestellt; finanziell getragen wird das Projekt vor allem vom Essener Verein „Menschenmögliches“.
Mülheims Ukrainer tauschen sich über eine Telegram-Gruppe aus
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2023 hatte Yana zu Nataliia gefunden, über eine Mülheimer Telegram-Gruppe, in der ukrainische Flüchtlinge alle möglichen Informationen über die Stadt und Dienstleistungen austauschen. Ein Jahr nach der Flucht hatte ihre damals 14-jährige Tochter massive Probleme entwickelt. „Sie war immer aggressiv. Wir konnten gar nicht mehr sprechen, hatten eine wirklich schlechte Beziehung.“
„Der Krieg“, so formuliert es Yaroslava, „nimmt den Familien das gewohnte Leben und damit das Gefühl von Stabilität und Sicherheit.“ Viele mussten Väter, Verwandte und Freunde zurücklassen. Für Teenager, die ohnehin im Wandel sind, sei es besonders schwierig, sich an die neue Realität anzupassen. „Viele leiden unter großem Stress, ziehen sich zurück, verlieren das Interesse an der Schule, schwänzen und fühlen sich einsam.“ Bei Yanas Tochter ging es zum Glück bald bergauf. Die Gespräche mit Nataliia hätten ihr Schritt für Schritt aus der komplizierten Lage geholfen. „Sie wurde offener und empathischer. Irgendwann hat sie gesagt: ,Ich möchte dich umarmen, Mama.‘ Das war unglaublich.“
Arbeitsplatzsuche ist ein weiteres frustrierendes Thema für viele Flüchtlinge
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Es sind nicht immer die großen Kriegstraumata, um die sich die Expertinnen kümmern. Es können auch fast alltägliche Geschichten sein. In einem fremden Land wachsen sie zu gefühlt nicht schaffbaren Herausforderungen heran. Die Arbeitsplatzsuche ist solch ein frustrierendes Thema für Yana, trotz mittlerweile guter Deutschkenntnisse. In der Ukraine hatten ihr zwischenzeitlich ebenfalls nach Mülheim gekommener Mann und sie gute Jobs, er als Kaufmann, sie als Projektmanagerin und später als Schauspielerin.
Jetzt aber will sie niemand beschäftigen, es hagelt Absagen. „Dabei würde ich so gern einfach in einem Büro arbeiten“, sagt die 39-Jährige. „Mein Mann bleibt noch ruhig und zuversichtlich. Ich aber bin anders, ich nehme das persönlich, suche die Fehler bei mir und weine, weine, weine.“ Dass Nataliia ihr zuhört und Mut gibt, sie immer wieder auffängt, sei viel wert: „Ich bin unglaublich dankbar für die kostenlose Beratung.“
„Zu uns kann jeder kommen, Kinder, Teenager und Erwachsene“
„Zu uns kann jeder kommen, Kinder, Teenager und Erwachsene.“ Christiane Thöne, Caritas-Fachdienstleiterin für Kinder, Jugend und Familie, ermutigt unsichere Menschen, sich einfach zu trauen. Es gebe im Grunde keine Einschränkung, „die Fokussierung aber liegt schon auf Menschen, die Ukrainisch sprechen oder Russisch“.

Die 45-Jährige leitet die „Traumapädagogische Begleitung“, die sich seit Sommer 2024 im Caritaszentrum an der Bruchstraße befindet. Nataliia Tyrinova und Yaroslava Kapinus bieten dort Einzelberatungen an, arbeiten aber auch mit Gruppen zusammen, zum Beispiel an der Willy-Brandt-Schule. Die meisten Flüchtlinge finden über Mund-zu-Mund-Propaganda zu ihnen, über Hilfsorganisationen, das Jugendamt, Schul-Sozialpädagogen. In vielen Fällen benötigen sie eine Langzeittherapie, weiß das Duo.
Zweijähriges Kind auf der Flucht vor Bomben verloren
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Oft gibt es sehr Schlimmes aufzuarbeiten, sagt Yaroslava. Zum Beispiel die bedrückende Geschichte einer Ukrainerin, die mit dem Auto vor den Bomben flüchtete und einen Unfall hatte, mit einem russischen Lkw. „Dabei ist ihr zweijähriges Kind gestorben.“ Oder die traurige Geschichte einer Mutter, die nach der Flucht eine Krebs-Diagnose bekommen und sich nicht getraut hat, es den sowieso schon traumatisierten Kindern zu erzählen. Dass die meisten Familien seit Jahren getrennt sich, die Männer nicht ausreisen dürfen, vielleicht sogar an die Front müssen, beschäftige auch viele Patienten.
Manchmal helfe es, den Krieg mal Krieg sein zu lassen – und einfach über den Alltag in Mülheim zu sprechen. In den Therapiestunden mit einem Dutzend Jugendlicher geht es nie um Putins Schergen, um Bomben und Tote, sondern um Probleme vor Ort wie Cybermobbing. Die Teenager sollen sich in Mülheim zurechtfinden, endlich ankommen. „Unser Ziel ist es, sie glücklich zu machen. Und etwas Leichtigkeit in ihr Leben zu bringen.“
Kontakt zu Nataliia Tyrinova unter 0177-2001274 sowie via nataliia.tyrinova@caritas-muelheim.de und zu Yaroslava Kapinus 0176-12001284 sowie via yaroslava.kapinus@caritas-muelheim.de. Weitere Informationen zu Hilfsangeboten auf caritas-muelheim.de.
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