Mülheim. In einem Mülheimer Wohnblock leben 25 geflüchtete Jungen neben anderen Mietparteien. Betreuer erklären, wie das ungewöhnliche Haus funktioniert.

Die rot-bräunliche, verwitterte Verkleidung, die vorspringenden Balkone aus Beton, die Backsteinfront im Erdgeschoss, die gläserne Eingangstür: Das klotzige Gebäude an der Mellinghofer Straße 282-284, früher eine Immobilie der SWB, hat sich äußerlich seit langem kaum verändert. Doch es trägt über dem Eingang ein neues Schild: „Munterkunft“. Und es hat sich wieder mit Leben gefüllt.

Für einige Menschen, die das geräumige Eckhaus in Mülheim-Dümpten nun nutzen, ist es ihr Arbeitsplatz. Sie sind Fachkräfte der Interkulturellen Sozialpädagogischen Familienhilfe (ISF). Eine Betreuerwohnung steht für die Nachtstunden bereit. Für die meisten aber ist es in den vergangenen Monaten ein Zuhause geworden. In der „Munterkunft“ leben Jugendliche, die aus ihren Heimatländern unbegleitet geflüchtet sind. Sie werden hier im Auftrag der Stadt Mülheim betreut.

Mülheimer Wohnblock gehörte früher der SWB

Im ehemaligen SWB-Gebäude waren bereits vor einigen Jahren geflüchtete Menschen untergebracht. Die Stadt Mülheim hatte die Wohnungen zu diesem Zweck angemietet. Der Mietvertrag lief Mitte 2020 aus. Danach stand der Wohnblock leer, ehe das städtische Wohnungsunternehmen ihn Mitte 2022 an die ISF Familienhilfe veräußerte, die auf der Suche nach einem geeigneten Standort für sozialpädagogisch betreutes Wohnen war. Ihr Gründer und Geschäftsführer Rachid Garnaoui kaufte das riesige Haus.

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Es beherbergt jetzt 25 Jungen im Alter zwischen 15 und 18 Jahren, die sich aus Kriegs- und Krisenregionen alleine nach Deutschland durchgeschlagen haben. Sie leben in eigenen Wohnungen, zu zweit oder zu dritt. Was es hier nicht gibt: Vollpension, Einkaufs- und Wäscheservice. Die Jungen müssen ihren Alltag alleine regeln, allerdings sind permanent Sozialpädagogen oder Sozialarbeiterinnen anwesend und ansprechbar, auch auf Arabisch oder Englisch. Drei Wohnungen seien regulär vermietet, erläutert Rachid Garnaoui beim Gang durch das verwinkelte, noch nicht komplett hergerichtete Haus. „Es ist wichtig, dass die Jugendlichen normale Nachbarn haben.“ Dass sie die Regeln einer Hausgemeinschaft lernen, denn die „Munterkunft“ ist auch ein Übungsraum, im Idealfall Sprungbrett in ein komplett selbstständiges Leben.

Stadt Mülheim betreut insgesamt 97 geflüchtete Jugendliche

Als „Brückenlösung“ wird ein solches Projekt bezeichnet. Das Landesjugendamt genehmigt sie, weil in der Jugendhilfe nicht genügend Heimplätze für unbegleitete Minderjährige verfügbar sind. Nach eigenen Angaben versorgt und betreut die Stadt Mülheim derzeit 97 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - in enger Zusammenarbeit mit freien Jugendhilfe-Trägern. Damit erfülle man die Aufnahmequote.

„Insgesamt zwei Drittel der minderjährigen Geflüchteten leben innerhalb von Mülheim“, ergänzt Stadtsprecherin Tanja Schwarze. „Die anderen verteilen sich auf Jugendhilfeeinrichtungen in benachbarten Kommunen.“ Neben der „Munterkunft“ seien weitere kleinere Wohnprojekte als Brückenlösung gemeldet. Die ISF Familienhilfe kann bereits entsprechende Praxiserfahrung vorweisen: Schon 2015 bis 2017 hat der Mülheimer Träger Wohngemeinschaften für geflüchtete Jugendliche am Frohnhauser Weg betreut.

Jungen aus Syrien oder Somalia sind „Hoffnungsträger ihrer Familie“

Alle Jungen aus der „Munterkunft“ besuchen tagsüber die Schule oder Berufskollegs. Manche haben Nebenjobs, trainieren in Sportvereinen oder im Fitnessstudio. „Einige wenige machen uns Sorgen, weil sie Probleme haben, die Schule regelmäßig zu besuchen“, berichtet die Pädagogin und Sozialarbeiterin Miriam El Shaer, die die Wohneinrichtung leitet.

Im Gemeinschaftsraum der „Munterkunft“: Rachid Garnaoui, Gründer der ISF Familienhilfe und Hauseigentümer, mit Miriam El Shaer, die das Wohnprojekt leitet.
Im Gemeinschaftsraum der „Munterkunft“: Rachid Garnaoui, Gründer der ISF Familienhilfe und Hauseigentümer, mit Miriam El Shaer, die das Wohnprojekt leitet. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

In den Gemeinschaftsräumen oder am Kickertisch treffen sich Jungen aus Syrien, Afghanistan oder Somalia, aus verschiedenen Kulturen, aber auch mit verbindenden Eigenschaften und Erfahrungen. „Sie sind die Hoffnungsträger ihrer Familie“, sagt Miriam El Shaer. Die man für stark genug hält, sich durchzukämpfen, ein sicheres Land zu erreichen, sodass später weitere Familienmitglieder nachziehen können.

„Sie sind sehr belastbar“, meint Rachid Garnaoui, „denn sie haben einen harten, gefährlichen Weg auf sich genommen.“ Es gehe in der „Munterkunft“ nicht nur darum, eine schulische Perspektive aufzubauen und das selbstständige Wohnen zu trainieren, sondern die Jungen müssten auch traumatische Erfahrungen verarbeiten. „Sie fallen, wenn sie hier angekommen sind, oft in ein kindliches Schema zurück“, beobachten Miriam El Shaer und ihr Team. „Sie brauchen auch ein Gefühl familiärer Geborgenheit.“

Nachbarn sollen persönlich eingeladen werden

Einige Personen aus der direkten Nachbarschaft hatten den Wohnblock lange misstrauisch beobachtet, weil er verlassen und zunehmend ungepflegt wirkte. Damit die „Munterkunft“ ringsherum Akzeptanz findet, habe er an jedem der umliegenden Häuser geklingelt, um sich persönlich und das Projekt vorzustellen, sagt Rachid Garnaoui. Er habe auch eine Rufnummer hinterlassen: „Das sind ja Jugendliche. Wenn etwas sein sollte, können sich die Nachbarn jederzeit melden. Bislang hat das aber noch niemand getan.“ Im Gruppenraum habe schon eine Stadtteilkonferenz stattgefunden. Kürzlich gab es einen Tag der offenen Tür.

Die 25 Jungen im Haus seien „eine sehr ruhige Gruppe, da sie ja alle dasselbe Ziel vor Augen haben“, erklärt der ISF-Leiter. „Sie wissen: Wenn sie sich nicht an die Regeln halten, ist ihr Aufenthalt in Deutschland gefährdet. Sie haben viel zu verlieren.“ Demnächst sollen die Nachbarn persönlich eingeladen werden, um ihnen diese Botschaft noch einmal nahezubringen: „Wir wollen ein Pluspunkt sein. Kein Brennpunkt.“

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