Mülheim. Setzt das neue Bürgergeld zu wenige Anreize für Arbeitslose, um einen Job anzunehmen? So beurteilt man die Lage beim Mülheimer Jobcenter.
Vor beinahe einem Jahr hat das Bürgergeld Hartz IV abgelöst. Nicht wenige blicken seitdem mit Skepsis auf die neue Grundsicherung für Arbeitsuchende und werfen Fragen auf wie: Ruhen sich Arbeitslose auf dem Bürgergeld aus? Führen die Höhe der Zahlungen und die schwächeren Sanktionen dazu, dass Arbeitslose öfter Arbeit ablehnen?
Seit der Einführung des Bürgergeldes zum 1. Januar 2023 habe das Mülheimer Jobcenter weniger Menschen in Arbeit vermittelt, teilt die Verwaltung auf Anfrage mit. Doch Oliever Vrabec, Leiter des Jobcenters, schränkt ein: „Der alleinige Bezug zum Bürgergeld ist aber stark verkürzt. Die Anzahl der offenen und der neu ausgeschriebenen Stellen sinkt kontinuierlich seit Mai 2022.“
Vermittlungsquote des Mülheimer Jobcenters sinkt
Vergleicht man die Zahlen derer Jobcenter-Kunden, die in den zurückliegenden Monaten in den Arbeitsmarkt integriert worden sind, untermauern die Zahlen Vrabecs Aussage: Waren es im Jahr 2022 noch insgesamt 2517 Menschen, so werden es mit Ablauf des aktuellen Jahres 2271 sein - rund 250 Vermittelte weniger.
Dementsprechend beschreibt auch die Vermittlungsquote eine Kurve nach unten: Lag sie nach Auskunft des Jobcenters im Dezember 2022 mit 2517 Integrationen noch bei 18,8 Prozent, verzeichnete das Jobcenter im Juli dieses Jahres mit 2344 Integrationen eine Quote von 17 Prozent. Mit den für das zu Ende gehende Jahr vorgesehenen 2271 Integrationen wird eine Quote von 16,6 Prozent angestrebt. Im kommenden Jahr will das Jobcenter nach Aussage Vrabecs eine Integrationsquote von 17 Prozent (2329 Integrationen) erreichen.
Teils haben Jobcenter-Klienten den Kontakt zum Amt nahezu abgebrochen
Auch nicht erst seit Einführung des Bürgergeldes bemerkten die Mitarbeitenden im Jobcenter weniger Zuverlässigkeit, mangelnde Verbindlichkeit unter ihren Klientinnen und Klienten, berichtet der Behördenleiter. Bereits während der Corona-Pandemie sei eine Veränderung in der Wahrnehmung von Terminen eingetreten. In dieser Zeit wurden persönliche Vorsprachen im Jobcenter durch andere Formate, etwa durch Beratungen am Telefon, ersetzt. „Für viele Bürgergeldbeziehende sind die Vorteile eines persönlichen Beratungsgesprächs nicht sofort ersichtlich“, hat Vrabec erfahren. Zwar nähmen Termindichte und Termintreue inzwischen wieder zu, erreichten aber längst noch nicht das Vor-Corona-Niveau.
Einen kleinen Teil der ihnen zugewiesenen Menschen erreicht das Jobcenter nach eigenen Angaben so gut wie gar nicht: 2,6 Prozent aller Kundinnen und Kunden seien „nur sehr schwierig zu erreichen bzw. nicht ohne Weiteres von der Teilnahme an Angeboten, die langfristig der Aufnahme einer Arbeit oder Ausbildung dienen, zu überzeugen“.
Mülheimer Bürgergeldbeziehenden können Sanktionen drohen
Nicht nur denjenigen, die den Kontakt zum Jobcenter nahezu abgebrochen haben, können Sanktionen drohen - allerdings in anderem Maße als noch bei Hartz IV. Konnten im vorherigen System Leistungen bei wiederholten Versäumnissen gänzlich gestrichen werden, sind beim neuen Bürgergeld nur schrittweise Leistungsminderungen möglich - maximal um 30 Prozent des Regelsatzes.
Doch der Jobcenter-Leiter betont: Es erfolge nie eine Kürzung der Kosten für Miete und Heizung. Vor einer Leistungsminderung gebe es immer eine Anhörung, in der das Jobcenter mit dem Bürgergeldbeziehenden kläre, ob wichtige Gründe für die Pflichtverletzung vorgelegen haben. In diesem Fall würde keine Leistungsminderung erfolgen. Zahlungen würden auch nicht gekürzt, wenn der Betroffene dadurch zu einem Härtefall würde.
Jobcenter Mülheim: Junge Leute unter 25 Jahren zeigen Folgen der Corona-Pandemie
Das Mülheimer Jobcenter weist darauf hin, dass sich die Rahmenbedingungen mit der Einführung des Bürgergelds verändert haben. Mit ein Grund dafür sei, dass die frühere Eingliederungsvereinbarung durch den sogenannten Kooperationsplan ersetzt wurde. Zu den Gesprächen, die das Ziel haben, einen einvernehmlichen Kooperationsplan, der als roten Faden den individuellen Weg in Ausbildung oder Arbeit abbilden soll, aufzustellen, werde im ersten Schritt immer ohne Rechtsfolgenbelehrung eingeladen, so dass auch bei einem einmaligen Terminversäumnis keine Leistungsminderung erfolge.
Eine Besonderheit ergebe sich bei Jobcenter-Klienten unter 25 Jahren: Sie erhalten im Fall einer Leistungsminderung immer innerhalb von vier Wochen eine Einladung zu einem persönlichen Gespräch. Generell stellten die Mitarbeitenden des Jobcenters fest, dass bei den jungen Menschen die Nachwirkungen aus der Corona-Pandemie noch deutlicher spürbar, schildert Leiter Oliever Vrabec und unterstreicht: „Hier ist es wichtig zu appellieren, dass sie Termine wahrnehmen und vor allem sich auch selbst melden. Und dies nicht nur, um Leistungsminderungen zu vermeiden, sondern weil es um ihre ganz persönliche Zukunft und Perspektiven geht.“
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