Herne. Termin für Physiotherapie? Manche Patienten werden gleich von diversen Praxen abgewiesen. Kein Personal! Wie die Branche attraktiver werden soll.
Lukas Hörnchen hat als Physiotherapeut - Achtung, Wortwitz - alle Hände voll zu tun. Und damit ist er längst nicht allein. Auch seine Kolleginnen und Kollegen in Herne arbeiten an der Kapazitätsgrenze. Mit teilweise unangenehmen Folgen für die Patienten. Teilweise müssten sie ein halbes Dutzend Praxen abklappern, bis sie einen Termin ergattern. Auch er selbst habe schon welche wegschicken müssen, erzählt der Inhaber des Biele-Standorts an der Bochumer Straße. Eine Ursache für diese Situation: ein eklatanter Fachkräftemangel.
Das Berufsbild müsse attraktiver gemacht werden, fordert Hörnchen in seiner Eigenschaft als Verbandssprecher der selbstständigen Physiotherapeuten in Herne und Umgebung. Doch die Politik gehe die Missstände nicht an, beim Blick in die Wahlprogramme habe er das Gefühl, „dass wir Physiotherapeuten vergessen werden“. Genug zu tun gebe es.
Freie Stellen werden im Schnitt erst nach 253 Tagen wiederbesetzt
Wie ausgeprägt der Fachkräftemangel inzwischen ist, verdeutlicht er mit ein paar Zahlen. Im Durchschnitt dauere es 253 Tage, bis eine freie Stelle besetzt werde. Ausbildungsabsolventen könnten sich die Stellen aussuchen, „sie unterschreiben schon vor dem Abschluss der Ausbildung den Arbeitsvertrag in der Einrichtung, in der sie ihr Examenspraktikum machen“, so Hörnchen. Der Mangel führe eben dazu, dass Patienten weggeschickt werden müssten, weil die nächste Lücke im Terminplan erst in vier Wochen auftauche. Noch dramatischer sei es bei Hausbesuchen, weil der zeitliche Aufwand mit An- und Abfahrt größer sei.
+++ Wollen Sie keine Nachrichten mehr aus Herne verpassen? Dann abonnieren Sie hier unseren kostenlosen Newsletter! +++
Der Ausweg aus dieser Misere? Der Berufs müsse attraktiver werden, unter anderem durch eine bessere Vergütung. So würden „Physios“ in Krankenhäusern um mehrere hundert Euro besser bezahlt, als die Kolleginnen und Kollegen in den Praxen. Daneben müsse es einen Direktzugang zu den Physiotherapeuten geben. Man kennt das: Der Rücken schmerzt, doch für eine manuelle Therapie muss der Hausarzt zunächst eine Verordnung ausstellen. Wieso könne man nicht direkt zum Physiotherapeuten gehen wie zum Augenarzt oder Orthopäden? „Der Patient weiß ja, was er braucht“, sagt der 28-Jährige. Ohne den Umweg über den Hausarzt könne auch Geld gespart werden. „Mit dem Direktzugang hätten wir ein viel größere Autonomie und könnten selbst entscheiden. Bisher wird über unsere Arbeit von jemandem entschieden, der gar kein Physiotherapeut ist.“ Dieser Direktzugang soll über eine Vollakademisierung erreicht werden: Physiotherapeuten sollen mit dem „Bachelor of Science“ abschließen. Wenn Physiotherapie ein Studium sei, könnte sie auch Abiturienten attraktiver werden.
Viele Hürden für die Anerkennung ausländischer Fachkräfte
Ein anderes Problem - was die Physiotherapeuten allerdings längst nicht exklusiv haben: die Anerkennung von ausländischen Fachkräften. Wer im Ausland seine Abschluss gemacht habe, solle in Deutschland schneller anerkannt werden. In diesem Bereich engagiere sich die Physiotherapie Biele bereits mit Anpassungslehrgängen. In anderen Ländern sei Physiotherapie ein Studienfach, doch der Bachelorabschluss werde in Deutschland nicht anerkannt. „Da gibt es große bürokratische Hürden.
Apropos Bürokratie: Auch damit kämpfen Physiotherapeuten, zumal sie nicht vergütet werde. Obendrein müssten sie die Zuzahlungen für die Krankenkassen eintreiben - auf der anderen Seite sei für Physiotherapeuten bislang kein Zugang zur elektronischen Patientenakte in Sicht.
Alles in allem ein dickes Problembündel. Manche Veränderung müsse in ein Gesetz gegossen werden, in dieser Hinsicht sei in der vergangenen Legislaturperiode auch etwas auf den Weg gebracht worden - doch dann sei die Koalition zerbrochen. Hörnchen hofft nun, dass eine neue Koalition diese Themen wieder aufgreift. In einigen Gesprächen hat Lukas Hörnchen Herner Kandidaten jedenfalls die Lage geschildert.