Herne. . Die Physiotherapeuten - auch in Herne - schlagen Alarm. Auf Grund des Fachkräftemangels könne die Versorgung nicht mehr sichergestellt werden.

Das politische Scheinwerferlicht im Gesundheitsbereich war in den vergangenen Wochen und Monaten in erster Linie auf die Pflege gerichtet. Auf Grund des Personalmangels kündigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Einführung von personellen Untergrenzen für Krankenhäuser an. Die Nachricht, dass die Herner Elisabeth-Gruppe ihren fortgebildeten Pfleger freiwillig fünf Prozent mehr Lohn zahlt, sorgte bundesweit für Aufmerksamkeit.

Warteliste mit zehn Patienten

Allerdings: Diese Dramatik beschränkt sich längst nicht nur auf die Pflege, auch die Branche der Heilmittelerbringer - Physiotherapeuten oder Ergotherapeuten - schlägt Alarm und geht in die Offensive. In diesen Tagen sprechen Therapeuten in ganz Deutschland mit Bundestagsabgeordneten in deren Wahlkreisen, um die Situation zu schildern. Paul Ziemiak (CDU) sollte am Freitagmorgen eigentlich bei Christoph Biele zu Gast sein, der in Herne und Recklinghausen sechs Physiotherapie-Standorte betreibt, doch Ziemiak hat zu viel mit dem Innenleben seiner Partei zu tun. Was Biele ihm erzählt hätte, wäre fast eine Kopie der Situation im Pflegebereich gewesen. „Die Lage ist prekär, wir können in bestimmten Bereichen unsere Leistungen nicht mehr erbringen“, erzählte Biele im Gespräch mit der WAZ-Redaktion. Auf der Warteliste seiner Praxis stünden zehn Patienten, die auf Grund von Schlaganfall oder Frakturen dringend auf Physiotherapie angewiesen seien, doch es fehle schlicht an Mitarbeitern. Seine Kolleginnen und Kollegen seien voll ausgelastet, die Suche nach neuem Personal, die permanent liefe, sei vergebens.

Stellen bleiben rund 300 Tage unbesetzt

Björn Pfadenhauer, Geschäftsführer des Bundesverbandes selbstständiger Physiotherapeuten, untermauert Bieles Schilderung mit Zahlen. Bundesweit seien weniger als 1000 Physiotherapeuten arbeitslos gemeldet, Bewerber hätten durchschnittlich die Auswahl zwischen mehr als drei Stellen. Und freie Stellen in den Praxen würden erst nach rund 300 Tagen besetzt werden können. „Der Fachkräftemangel ist dramatisch“, so Pfadenhauer. Viele Physiotherapeuten würden angesichts der schlechten Rahmenbedingen aussteigen, die durchschnittliche Verweildauer im Beruf liege bei weniger als sieben Jahren.

„Das Berufsbild muss attraktiver werden“

Die Gründe dafür gleichen jenen der Pflege: Die Wertschätzung bewege sich in überschaubaren Grenzen - was sich auch in der Entlohnung widerspiegelt. Die sei denkbar niedrig sagen Biele und Pfadenhauer - auch wenn man mit den Krankenkassen bis 2019 eine Erhöhung um bis zu 30 Prozent verhandelt habe. Das klingt im ersten Moment enorm, doch Biele erläutert, warum diese Erhöhung lediglich das wirtschaftliche Überleben möglich mache. Seit den 90er-Jahren habe es keine Vergütungserhöhung mehr gegeben.

Zur geringen Entlohnung komme, dass der Nachwuchs - im Gegensatz zu fast allen anderen Berufen - für seine Ausbildung zahlen müsse. Das Schulgeld schlage mit insgesamt bis zu 25 000 Euro zu Buche. Eine hohe Hürde bei der Nachwuchsgewinnung. Dass das Land NRW nun 70 Prozent des Schulgeldes übernehme, löse das Problem nicht. Pfadenhauer: „Das Berufsbild muss attraktiver werden.“ Paul Ziemiak darf sich auf einiges gefasst machen, sollte er seinen Besuch nachholen.

>> HERNER FÜHRT BUNDESVERBAND

Der Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten wurde 1981 gegründet und vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber Politik, Krankenkassen, Ärzteschaft und anderen Institutionen im deutschen Gesundheitswesen.

Hinzu kommen zahlreiche Dienstleistungen wie Hilfe bei der Existenzgründung, Rechtsberatung oder Fortbildungen.

In der Geschäftsführung gibt es eine erstaunliche „Herner Kontinuität“. Der Vorgänger von Björn Pfadenhauer war Hernes jetziger Oberbürgermeister Frank Dudda.