Herne. Im Herner Lidl-Lager herrscht offenbar weiter ein Klima der Angst. Ein Mitarbeiter wirf dem Betriebsrat vor, ihn bei Schikane im Stich zu lassen.

In Herne-Süd wächst das neue Lidl-Lager weiter empor. Es ist ein Vorzeigeprojekt für den Konzern, doch auf dem lastet seit vergangenem Frühjahr ein böser Vorwurf: Drangsalierung des Betriebsrats und jener Mitarbeiter, die ihm nahestehen. Nun hat ein Kollege sein Schweigen gebrochen und geschildert, wie er schikaniert werde. Sein Vorwurf: Der Betriebsrat mit seinem neuen Vorsitzenden lasse ihn im Stich.

Verdi machte vor einem Jahr auf die Zustände im Lager aufmerksam

Zum Hintergrund: Im März 2024 schlug Verdi-Sekretär Azad Tarhan Alarm: Seit das Lager einen neuen Betriebsleiter habe, drangsalierten die Führungskräfte den mehrfach wiedergewählten Betriebsratsvorsitzenden und seinen Stellvertreter, unter anderem mit Kündigungen, die jedoch vom Arbeitsgericht abgeschmettert wurden. Tarhans Verdacht: Der Betriebsrat soll aufgelöst oder gefügig gemacht werden. Dazu muss man wissen, dass der Betriebsrat - ebenso wie die Belegschaft - zerstritten ist. Nachdem ein Betriebsrats-Mitglied, das dem amtierenden Vorsitzenden die Mehrheit sicherte, das Unternehmen verlassen hatte, wurde ein neuer Vorsitzender gewählt - der bei vielen Mitarbeitern im Verdacht stand, dass er bei Problemen nicht ihre Interessen vertritt, sondern die des Arbeitgebers.

Nun hat eine Hilfskraft ihre Erfahrungen mit den neuen Kräfteverhältnissen im Betriebsrat geschildert: Die Lidl-Abteilungsleiter hätten ihn seit einiger Zeit „auf dem Kieker“, erzählt Mehmet Yilmaz (sein richtiger Name ist der Redaktion bekannt). Schon bei einer anderen Gelegenheit im vergangenen Herbst habe er sich vom Betriebsleiter und Gruppenleitern erniedrigt gefühlt. Nach diesem Vorfall hätten die Drangsalierungen erst richtig begonnen. Wenn er gearbeitet habe, sei er von den Gruppenleitern gezielt lange beobachtet worden, selbst einigen Kollegen sei die offensichtliche Kontrolle aufgefallen. Plötzlich seien Kleinigkeiten, die früher nie ein Problem dargestellt hätten, bemängelt worden.

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Abteilungsleiter soll Hilfskraft angerempelt und beleidigt haben

Bei einer Betriebsversammlung am 21. November habe sich dann ein Vorfall ereignet, der Yilmaz immer noch empört, wenn er ihn schildert: Bei der offenen Fragerunde habe er versucht, seine Fragen zu stellen, doch er sei ständig unterbrochen worden und gar nicht zu Wort gekommen. Der Betriebsrat teilt dazu mit, dass einem Mitarbeiter die Möglichkeit geboten worden sei, sein Anliegen im Anschluss direkt mit dem Betriebsrat zu besprechen. Was für Yilmaz aber viel schwerer wiegt: Beim Hinausgehen aus dem Raum sei er von einem Abteilungsleiter bewusst geschubst und angerempelt worden, dafür gebe es mehrere Zeugen. „Das war körperlich sehr unangenehm für mich.“ Eine Entschuldigung habe es nicht gegeben. Vielmehr habe ihn der Abteilungsleiter noch mit den Worten „Du Lutscher“ beleidigt. Auch dafür gebe es mehrere Zeugen.

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Deshalb habe er sich mit einer ausführlichen Stellungnahme beim Betriebsrat gemeldet. Reaktion: Der Betriebsrat habe die Beschwerde ohne die Angabe eines Grunds abgelehnt. Auch seine Nachfrage sei ignoriert worden. Yilmaz: „Der Grund ist ganz einfach: Der Betriebsratsvorsitzende handelt ganz im Sinne des Arbeitgebers.“

Dazu stellt der Betriebsrat fest, dass der Vorsitzende ein gleichberechtigtes Mitglied des Betriebsrats sei und keine Entscheidungen eigenmächtig treffe. Alle Entscheidungen würden demokratisch gefasst. Die Ablehnung der Beschwerde sei mit der Mehrheit der Stimmen im Betriebsrat beschlossen worden.

Betriebsrat: Haben Sachlage umfassend geprüft - doch ein Zeuge des Vorfalls widerspricht

Weiter nimmt der Betriebsrat wie folgt Stellung: „Gemäß Paragraf 85 des Betriebsverfassungsgesetzes ist der Betriebsrat verpflichtet, Beschwerden von Arbeitnehmern entgegenzunehmen und, falls er sie für berechtigt erachtet, beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinzuwirken. Der Betriebsrat hat die Beschwerde des Mitarbeiters sorgfältig geprüft und ist zu dem Schluss gekommen, dass sie nicht begründet ist. Daher wurde durch Mehrheitsbeschluss entschieden, keine weiteren Schritte einzuleiten. Eine gesetzliche Verpflichtung, dies gesondert gegenüber dem Beschwerdeführer zu begründen, besteht nicht.“ Im Rahmen der internen Untersuchungen habe der Betriebsrat alle relevanten Parteien angehört und die Sachlage umfassend geprüft.

Doch genau dieser Darstellung widerspricht ein Mitarbeiter entschieden. Er sei Zeuge des Vorfalls gewesen und sei eben nicht um eine Stellungnahme gebeten worden.

Hilfskraft wurde erst mit Hausverbot belegt und ist nun gekündigt worden

Yilmaz erzählt, dass seine Beschwerde nicht nur ignoriert worden sei, sondern auch unangenehme Folgen gehabt habe: Kaum habe er wenige Tage später seine Schicht begonnen, sei er sofort wieder beobachtet worden. „Ich muss extrem aufpassen, was ich mache. Ich darf noch nicht einmal mit Kollegen reden.“ Fast eine Stunde lang sei er ununterbrochen beobachtet worden, so etwas störe die Konzentration auf die Arbeit. „Man will mich provozieren. Entweder dass ich handgreiflich werde oder dass ich aufgebe.“ Der WAZ liegen weitere Schilderungen vor, die darauf hindeuten, dass jene Mitarbeiter, die man nicht mag und die nicht gehorchen, beim kleinsten Anlass drangsaliert werden.

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Anfang des Jahres seien die Schikanen eskaliert. Er sei laut Dienstplan für Samstag, 18. Januar, von 8 bis 13 Uhr zum Dienst eingeteilt gewesen. Doch kaum habe er seine Arbeit aufgenommen, habe man ihm gesagt, dass der Plan geändert worden sei und er gar nicht eingeteilt sei. Er solle nach Hause gehen. Das habe er abgelehnt, so Yilmaz, die Planänderung habe er nicht erhalten. Die Situation sei soweit eskaliert, dass ihm ein Hausverbot erteilt worden sei. Allerdings: Schriftlich habe der Arbeitgeber dieses Hausverbot nicht mitteilen wollen. Stattdessen habe Lidl sogar die Polizei gerufen. „Ich ließ mir das Hausverbot von den Beamten bestätigen und verließ anschließend das Gebäude“, sagt Yilmaz im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Dieses Hausverbot hält er für Schikane, denn an jenem Samstag habe ein Umbau stattgefunden, bei dem jede Arbeitskraft benötigt worden sei. Inzwischen hat Lidl Yilmaz sogar gekündigt, doch dagegen werde er juristisch vorgehen, sagt er. „Ich will nicht hinnehmen, dass solche Dinge passieren und einfach hingenommen werden.“

Das Unternehmen selbst äußerte sich auf Anfrage der Herner WAZ-Redaktion nicht. Unter anderem aus datenschutzrechtlichen Gründen mache Lidl zu internen Personalangelegenheiten und zu laufenden Verfahren grundsätzlich keine Angaben, heißt es.

>>> So bewertet Verdi die Situation im Lidl-Lager

Verdi-Sekretär Azad Tarhan hält die Situation im Herner Lidl-Lager nach wie vor für unzumutbar.
Verdi-Sekretär Azad Tarhan hält die Situation im Herner Lidl-Lager nach wie vor für unzumutbar. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Verdi-Sekretär Azad Tarhan beobachtet die Situation im Lidl-Lager nach wie vor genau und kommt zu folgender Einschätzung: „Die Zustände im Lidl-Lager sind nach wie vor unzumutbar. Kollegen und Kolleginnen, die sich kritisch äußern, werden beleidigt und beschimpft. Die neuste Masche bei Lidl scheint zu sein, dass unliebsamen Beschäftigten, die einfach nur ihrer Arbeit nachgehen wollen, ein Hausverbot erteilt wird. Das ist nicht nur rechtlich unhaltbar, sondern auch menschlich unwürdig. Der Geschäftsführer hat seine Führungsebene offensichtlich nicht im Griff. Hier wird sich benommen, wie die Axt im Walde. Ich frage mich, was noch passieren muss, damit im Zweifel von der obersten Lidl-Leitung wieder Recht und Ordnung im Herner Lager durchgesetzt wird.“