Essen. NRW-Praxen testen die „ePa“. Sie stehen vor erheblichen Technik-Problemen und bremsen Erwartungen. Trotzdem sehen sie schon jetzt Vorteile.

  • Die elektronische Patientenakte soll die Versorgung der Menschen verbessern. In ihr sollen alle Befunde, Diagnosen und Therapien eines Versicherten gesammelt werden.
  • Derzeit wird die neue Digitalakte in drei Regionen in Deutschland getestet - darunter in NRW.
  • Die Pilotpraxen in NRW berichten von vielen technischen Problemen. Kritik gibt es an dem Zeitplan des Bundesgesundheitsministeriums.

Sie wird als Meilenstein und größtes Digitalisierungsprojekt im Gesundheitswesen gefeiert – doch vier Wochen nach dem Start des Testlaufs für die elektronische Patientenakte herrscht in NRW alles andere als Euphorie. Fachleute bremsen angesichts vieler technischer Probleme und Fehler Erwartungen an einen baldigen bundesweiten Start der sogenannten ePa.

Die Testpraxen seien in weiten Teilen immer noch mit der technischen Machbarkeit der ePa beschäftigt, als dass sie echte Erfahrungen in der Behandlung und Benutzung sammeln zu können, sagt Thorsten Hagemann, Digitalexperte der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, dieser Redaktion. Bis heute gibt es seiner Beschreibung zufolge auch noch Testpraxen, die keine ePa öffnen können. „Wir sind weit weg davon, zu erproben, welchen Nutzen die ePa auf die Abläufe in den Praxen und die Versorgung der Patienten haben wird.“

Lauterbach stellt bundesweiten Start im April in Aussicht - zu früh, sagen NRW-Praxen

In der ePa sollen Ärzte, Ärztinnen, Krankenhäuser und Versicherte künftig Befunde, Diagnosen und Rezepte sammeln können, um so die Behandlung und Versorgung zu verbessern. Die Kassen müssen sie für alle Versicherten einrichten, die nicht widersprechen - private Versicherungen sind dazu nicht verpflichtet worden. NRW gehört mit 130 seiner rund 18.000 Praxen sowie zehn der 340 Krankenhäuser im Land zu den bundesweit drei Modellregionen, die die ePa testen. Der Probelauf sollte ursprünglich vier Wochen dauern. Nachdem Sicherheitslücken gefunden worden waren, wurde die Frist aufgeweicht.

Vergangene Woche hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach dem „Tagesspiegel“ gegenüber erklärt, die Tests liefen erfolgversprechend. Der SPD-Politiker stellte sogar in Aussicht, dass die Digitalakte für alle Patientinnen und Patienten voraussichtlich Anfang April ausgerollt werden könne. Die Kassen haben ihre Vorbereitungen dazu abgeschlossen: Sie haben 70,5 Millionen Akten angelegt.

Dem Eindruck Lauterbachs widerspricht Hagemann: „Wir haben in unserer Modellregion bislang alles andere als gute Erfahrungen gesammelt.“ Eine Frist zu Mitte März, um ab April bundesweit auszurollen, sei Experten der Kassenärztlichen Vereinigung zufolge zu knapp bemessen.

Elektronische Patientenakte: Das Ende Zettelwirtschaft
Für über 70 Millionen Versicherte haben die Krankenkassen bereits eine elektronische Patientenakte angelegt. Mit dem Einlesen der Karte haben Ärztinnen und Ärzte das ganze Quartal Zugriff auf die Akte, es sei denn, Versicherte ändern diese Einstellungen. © epd | Tim Wegner

Das eine Dokument lässt sich in die ePa hochladen, das andere nicht

Die Pilotpraxen sind derzeit stark gefordert. Es seien Fehler im Zusammenwirken aller Systeme identifiziert worden, bei den Systemen der Praxen, in den Aktensystemen für die Versicherten oder in den Fachdiensten der Gematik, der halbstaatlichen Betreibergesellschaft für die Digitalisierung im Gesundheitswesen, so Hagemann. Ihn überrascht das keineswegs: Das gesamte System sei hochkomplex, die vielen Abhängigkeiten ließen sich in keinem Labortest vorhersehen. „Ärgerlich nur, wenn die Erwartungen anders befeuert werden.“

Ein Problem: Die Arztpraxen arbeiten mit unterschiedlichen Computer-Programmen. Bundesweit gibt es 150 Anbieter von Praxissystemen, die mit der ePa verknüpft werden müssen. In der Modellregion ist das bislang bei nur 80 Prozent der Systeme gelungen. „Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Es können bei weitem noch nicht alle Dateien in eine Akte hochgeladen werden, manche PDFs funktionieren beispielsweise, andere nicht. Daran wird an allen Stellen gearbeitet“, so Hagemann weiter.

Aus Praxen heißt es, dass es auch Probleme mit älteren Heilberufsausweisen gibt, von Darstellungsproblemen in den Apps der Patienten ist ebenfalls die Rede. Für den bundesweiten Start keine gute Aussicht: In der Modellregion werden längst nicht alle Praxis-Computerprogramme getestet, die es am Markt gibt.

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Hausarzt in NRW-Testregion: Aktuell funktioniert nichts mehr

Dr. Bahman Afzali gehört zu den Hausärzten in NRW, die die ePa derzeit auf Herz und Nieren prüfen. Die vergangenen vier Wochen beschreibt er als ein Auf und Ab: „Es ist eine Achterbahnfahrt“, so der Allgemeinmediziner. Bis er überhaupt eine erste ePa gesehen hat, musste er mehr als sieben Tage warten. Eine Weile sei es ganz gut gelaufen. „Und jetzt funktioniert nichts mehr, weil es erhebliche Probleme mit meinem Praxisverwaltungssystem gibt“ sagt Afzali.

„Wir können im Moment keine einzige ePa lesen, bekommen jede Stunde ein Update“, so der Facharzt für Allgemeinmedizin. Für ein Rollout im April sieht auch er schwarz: „Wenn ich ernsthaft wetten müsste, würde ich sagen: Die ePa wird bundesweit zum 1. August ausgerollt.“

Dr. med. Bahman Afzali ist Facharzt für Allgemeinmedizin und einer der Gründer des Praxis-DIenstleisters „Docport“.

„Die Medikationsliste hat bei uns sehr gut funktioniert und auch gezeigt, was mit der ePa alles möglich ist. Mich hat wirklich überrascht, wie viel wir nicht über unsere Patienten wissen.“

Bahman Afzali
Facharzt für Allgemeinmedizin

Medikationsliste in der elektronischen Patientenakte zeigte viele Überraschungen

Doch trotz der technischen Probleme sieht der 35-Jährige schon jetzt Vorteile der elektronischen Patientenakte. Die Medikationsliste etwa habe gezeigt, was mit der ePa alles möglich sei. Die Liste wird aus dem eRezept gespeist, es fließen also auch Daten aus Praxen ein, die nicht am aktuellen Modellversuch teilnehmen. „Mich hat wirklich überrascht, wie viel wir nicht über unsere Patienten wissen“, sagt der Hausarzt.

Seine Praxis gebe sich viel Mühe zu dokumentieren, welche Medikamente die Patienten von anderen Ärzten verschrieben bekommen. Doch Patienten merkten sich die Namen der Arzneimittel oft nicht richtig. „Wenn das, was wir erlebt haben, repräsentativ ist, wird allein die Medikationsliste uns alle unglaublich voranbringen“, so Afzali. Mit der ePa sollen Wechselwirkungen leichter ausgeschlossen werden.

Wohl auch wegen dieser Erfahrung ist der Mediziner durchaus guter Dinge. Auch wenn seine Praxis gerade durch das, wie er sagt, „Tal der Tränen“ geht: „Ich bin zuversichtlich und im Kopf schon zwei Schritte weiter. Wir wissen, die ePa kommt für alle. Jetzt will ich darüber sprechen, wie die Daten aufbereitet sein müssen, damit sie tatsächlich eine Arbeitserleichterung bieten.“

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