Herne. Patrick Gawliczek ist Kandidat der Herner Linkspartei. Warum er hohe Gewinne bei Lidl beklagt und Heuchlerei bei Waffenlieferungen kritisiert.

Nach einer guten Dreiviertstunde beim WAZ-Interview im Brinker-Café am Schlosspark hat der Bundestagskandidat der Herner Linkspartei den Kaffee auf. „Können wir mal über die wirklich spannenden Themen reden?“, fragt Patrick Gawliczek provokativ. Nämlich? „Die Verteilung von Reichtum und Armut und die Gewinner der Krisen in Deutschland.“

Er sei wütend, dass Millionen von Menschen ärmer geworden seien und von der Politik im Stich gelassen würden. Beispielsweise habe der Eigentümer von Lidl in den vergangenen Jahren sein Vermögen nahezu verdoppelt, gleichzeitig seien die Preise in die Höhe geschossen, rechnet der 32-Jährige vor. Nur ein Teil dieser gestiegenen Preise sei auf „natürliche Erhöhungen“ zurückzuführen, den anderen Teil habe sich der Lidl-Eigentümer „in die eigene Tasche gewirtschaftet“. Vor dem Hintergrund der wachsenden Armut müssten solche Entwicklungen - von der auch andere Superreiche profitierten - eigentlich das wichtigste öffentliche Thema sein, sagt er. „Stattdessen wird gegen Geflüchtete gehetzt.“

Der Eigentümer von Lidl und andere Unternehmer und Konzerne hätten aus der Krise Kapital geschlagen, beklagt der Herner Bundestagskandidat Patrick Gawliczek (Linke).
Der Eigentümer von Lidl und andere Unternehmer und Konzerne hätten aus der Krise Kapital geschlagen, beklagt der Herner Bundestagskandidat Patrick Gawliczek (Linke). © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

Lebensmittelpreise seien ein Schwerpunkte des Linken-Bundestagswahlkampfs - gemeinsam mit Mieten, Frieden und Klimagerechtigkeit, sagt Gawliczek. Auch und gerade in einer armen Stadt wie Herne seien dies relevante Themen. Aufgrund seiner Biografie sei er der „richtige Kandidat“ für den Wahlkreis Herne-Bochum II, sagt der Linken-Bezirksverordnete in Sodingen. „Ich komme aus einer Arbeiterfamilie.“ Der Vater habe im Maschinenbau gearbeitet und sei meistens „prekär beschäftigt“ gewesen, die Mutter habe als Hausfrau immer wieder kleinere Nebenjobs übernommen. „Am Ende des Geldes war häufig noch ein bisschen was an Monat übrig.“

+++ Die Direktkandidaten für die Bundestagswahl 2025 im Wahlkreis Herne/Bochum II: +++

Trotz der schlechten Umfragewerte seiner Partei - sie liegt bislang bundesweit zwischen 3 und 4, zuletzt bei 5 Prozent - ist der gebürtige Horsthauser davon überzeugt, dass die Linke erneut den Sprung in den Bundestag schaffen wird. Sein Ziel lautet: 5 Prozent - in Herne, in NRW und im Bund. Doch auch unabhängig davon geht Gawliczek vom Einzug in den Bundestag aus, weil er an den Gewinn von vier, fünf Direktmandaten im Osten Deutschlands glaubt. Hintergrund: Bei drei Direktmandaten ziehen Parteien auch bei einem Verfehlen der 5-Prozent-Hürde in den Bundestag sein.

Patrick Gawliczek von die Linke möchte in den Bundestag

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    Der sonst eher nüchterne Politiker ist bezogen auf die Linke derzeit fast schon euphorisch. „Meine Partei ist derzeit so lebendig, wie ich sie noch nie erlebt habe.“ Das gelte auch für Herne. Zehn, elf neue Mitglieder seien im vergangenen Jahr eingetreten, viele von ihnen seien jünger und sehr motiviert. Mit derzeit rund 65 Mitgliedern sei die Talsohle überwunden.

    Der Absturz der Linkspartei in den vergangenen Jahren sei hausgemacht gewesen. Durch die Abspaltung des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), aber auch durch weitere interne Streitereien habe die Linkspartei viel Vertrauen verloren. Menschen hätten gar nicht mehr gewusst, wofür die Partei stehe. Unter der neuen Spitze Jan van Aken und Ines Schwerdtner sei man auf einem guten Weg - anders als das BSW, das undemokratisch strukturiert sei: „Wie eine leninistische Kaderpartei, nur ohne Sozialismus.“ Und deutliche Worte findet er auch zur AfD: Diese wolle die Demokratie abschaffen und müsse verboten werden. Umso schlimmer sei, dass CDU/CSU und FDP am Mittwoch im Bundestag den demokratischen Grundkonsens gegen Rechtsextremismus aufgekündigt habe: „Dafür habe ich keinerlei Verständnis. Das ist schäbig und eine riesige Frechheit.“

    Im vergangenen Jahr spalteten sich Sahra Wagenknecht (Bild) und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer von der Linkspartei ab.
    Im vergangenen Jahr spalteten sich Sahra Wagenknecht (Bild) und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer von der Linkspartei ab. © dpa | Hannes P Albert

    Mit ihrer Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine erntet die Linke immer wieder Kritik beim politischen Gegner. Angesprochen auf die Parteilinie, kontert Gawliczek mit einer Gegenfrage: „Warum fragt man nicht auch nach Waffenlieferungen an die Türkei, an Israel oder an Saudi-Arabien?“ Die gleichen „moralischen Grünen“, die die Linke wegen der Absage an Waffenlieferungen für die Ukraine als böse bezeichneten, hätten kein Problem damit, wenn Waffen an den Autokraten Erdogan geliefert würden, der Krieg gegen Kurdinnen und Kurden in Syrien führe. Und angesichts von mehr als 40.000 zivilen Opfern im Gaza-Streifen und Vorwürfen des Völkermords die Waffenlieferungen an den Staat Israel nicht mal in Frage zu stellen, sei ebenso heuchlerisch, sagt er.

    Gawliczek räumt auf Nachfrage ein, dass er beim Thema Waffenlieferungen an die Ukraine „geschwankt“ habe, sprich: für Waffenlieferungen gewesen sei (die WAZ berichtete). Ab dem Moment seiner Wahl zum Bundestagskandidaten trete seine persönliche Meinung jedoch in den Hintergrund, betont er. Er vertrete nunmehr die Parteilinie, weil er ja bei der Bundestagswahl für die Linke und deren Programm antrete. Dieses beinhalte auch die Forderung nach mehr Diplomatie und Friedensinitiativen für die Ukraine, bei denen insbesondere China eine Schlüsselrolle spielen müsse.

    Jan van Aken (re.) ist seit 2024 Co-Vorsitzender der Linkspartei. Im März 2013 unterstützte der Hamburger als Bundestagsabgeordneter die Linke in Herne beim Bundestagswahlkampf und besuchte mit der Stadtverordneten Veronika Buczewski die WAZ-Redaktion.
    Jan van Aken (re.) ist seit 2024 Co-Vorsitzender der Linkspartei. Im März 2013 unterstützte der Hamburger als Bundestagsabgeordneter die Linke in Herne beim Bundestagswahlkampf und besuchte mit der Stadtverordneten Veronika Buczewski die WAZ-Redaktion. © WAZ FotoPool | Klaus Hartmann

    Ebenfalls nicht stehen lassen will Gawliczek den auch gegen die Linkspartei immer wieder mal erhobenen Vorwurf des Antisemitismus. Die Partei habe dazu jüngst einen ausgewogenen Beschluss gefasst, der „alle Seiten berücksichtigt“. Dass es in der deutschen Gesellschaft ein Problem mit Antisemitismus gebe, räumt er ein. Das gelte auch für Teile der außerparlamentarischen Linken in Deutschland, nicht aber für seine Partei. Und was für ihn außer Frage stehe: „Die Hamas ist eine Terrororganisation.“

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    Zur Person: Physiker und Fraktionsgeschäftsführer

    • Patrick Gawliczek ist gebürtiger Horsthauser und lebte heute in Baukau.
    • Der 32-Jährige hat einen Bachelor-Abschluss in Physik, zurzeit ist er Geschäftsführer der Linken-Ratsfraktion.
    • Von 2018 bis 2024 war er Vorsitzender der Herner Linkspartei. Seit 2020 gehört er der Bezirksvertretung Sodingen an, außerdem ist er sachkundiger Bürger im Ausschuss für Bürgerbeteiligung, Sicherheit und Ordnung. Bei der Bundestagswahl am 23. Februar bewirbt sich Gawliczek erstmals um ein überregionales Mandat.
    • Den Schlosspark Strünkede habe er als Treffpunkt für den WAZ-Foto- und Videotermin ausgewählt, weil er dort sehr gerne Zeit verbringe - allerdings nur, wenn es nicht gerade so „a....kalt“ sei wie derzeit, sagt er.
    2018 wurde Patrick Gawliczek - nur ein Jahr nach seinem Eintritt in die Linkspartei - zum Vorsitzenden gewählt. Im WAZ-Interview beklagte er schon damals, dass es „zurzeit an einer linken Zukunftsvision für eine sozialere und gerechtere Politik“ fehle.
    2018 wurde Patrick Gawliczek - nur ein Jahr nach seinem Eintritt in die Linkspartei - zum Vorsitzenden gewählt. Im WAZ-Interview beklagte er schon damals, dass es „zurzeit an einer linken Zukunftsvision für eine sozialere und gerechtere Politik“ fehle. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

    >>> Entweder/oder: Pogendroblem, das königliche Spiel und die Verkehrswende

    Pop oder Punk?

    Patrick Gawliczek: Definitiv Punk.. Zuletzt fand die Punk-Band Pogendroblem ziemlich gut. Ich habe sie dreimal live gesehen, unter anderem beim KAZ-Open-Air in Herne.

    Fußball oder Schach?

    Schach! Ich spiele zwar sehr selten, verfolge aber die internationalen Schachpartien. Ich habe jüngst auch bei der WM mitgefiebert.

    „Das Spiel der Könige“: Patrick Gawliczek ist Schach-Fan und verfolgt internationale Partien - auch von Weltmeister Magnus Carlsen (im Bild im Januar bei einem Einsatz für den Schachbundesligisten FC St. Pauli).
    „Das Spiel der Könige“: Patrick Gawliczek ist Schach-Fan und verfolgt internationale Partien - auch von Weltmeister Magnus Carlsen (im Bild im Januar bei einem Einsatz für den Schachbundesligisten FC St. Pauli). © dpa | Daniel Bockwoldt

    E-Auto oder ÖPNV?

    Natürlich ÖPNV. Wir brauchen keine Antriebswende, sondern eine Verkehrswende und kostenfreien ÖPNV. Das wäre auch locker finanzierbar, fast schon allein durch die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs. Ich habe zwar einen Führerschein, bin aber seit 2016 nicht mehr Auto gefahren.